Der Blick aus den oberen Stockwerken
Die Ausstellung „Monet und die impressionistische Stadt“ zeigt die Stadt als Kulisse für die Selbstdarstellung der bürgerlichen Klasse.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Der Blick aus den oberen Stockwerken
Die Ausstellung „Monet und die impressionistische Stadt“ zeigt die Stadt als Kulisse für die Selbstdarstellung der bürgerlichen Klasse.
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
1867, nach knapp zwei Jahrzehnten der Herrschaft des selbst ernannten Kaisers Napoleon III., war die Umgestaltung von Paris bereits weit fortgeschritten. Der Stadtplan jenes Jahres von Eugène Andriveau-Goujon verzeichnet in knalligem Rot die Straßendurchbrüche, die im Stadtzentrum durch die mittelalterliche Stadt geschlagen wurden oder noch ausstanden, und neu angeleg-te Plätze und Boulevards in den Außenbezirken, in denen das wohlgeordnete Bild der imperialen Hauptstadt immer weiter und weiter außen reproduziert werden sollte. Im Ergebnis ist es das Paris, das wir heute kennen und bewundern.
Der Stadtplan hängt als Leihgabe der französischen Nationalbibliothek in der Alten Nationalgalerie Berlin, lichtgeschützt in der halbdunklenApsis hinter dem Hauptsaal im zweiten Obergeschoss. Im Saal selbst ist die nach Zahl der Werke kleine, nach Rang und Qualität der Auswahl aber hochbedeutende Ausstellung versammelt, die Ralph Gleis zu seinem Abschied als Direktor des Hauses eingerichtet hat, unter dem Titel „Monet und die impressionistische Stadt“.
Ausgangspunkt ist das sammlungseigene Gemälde Claude Monets der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois, das der Maler 1867 vom Balkon des gegenüber liegenden Louvre aus gemalt hat. Er konnte dieses Bild der spätgotischen Kirche mit dem belebten und besonnten Platz davor nur malen, weil die vom Pariser Präfekten Baron Haussmann geleitete Umgestaltung der Stadt diesen wie so viele andere Plätze geschaffen hatte. Die Stadt als eine Abfolge von Perspektiven, als Abwechslung von Nah- und Fernsichten, von verheißungsvollen Durchblicken wie jenem auf die neuerbaute Oper durch die nach ihr benannte Avenue, dies alles war erst im Zuge der „Haussmannisation“ möglich geworden.
Eine solche Verzahnung von Stadtbauhistorie und Kunstgeschichte ist nicht neu; sie ist zuletzt in grandioser Form unternommen worden 2010 im Essener Museum Folkwang mit der Ausstellung „Bilder einer Metropole. Die Impressionisten in Paris“. Die Berliner Ausstellung ist wesentlich konzentrierter und hat eben den Vorzug, sich von dem einen eigenen Bild her die Liaison von Kunst und Stadt zu erschließen. Gleis ist es gelungen, die beiden weiteren Bilder auszuleihen, die Monet damals 1867 vom Louvre aus gemalt hat: eine Ansicht der Uferstraße „Quai du Louvre“ und eine des seitwärts gelegenen „Jardin de l’Infante“.
Diese drei Bilder sind seither wohl nie zusammen gezeigt worden, obwohl Monet sie 1869 zum „Salon“ einreichte, wo sie als „unfertig“ abgelehnt wurden. Erst fünf Jahre später fand die erste Ausstellung der Gruppe statt, der später der Name „Impressionisten“ zugeschrieben wurde, ein Begriff, den sie nie selbst verwendeten und der der wechselnden Zusammensetzung der Gruppe nicht gerecht wurde.
Claude Monet jedenfalls leistete mit dem Blick aus der oberen Etage auf Platz und Straße einen wesentlichen Beitrag zur impressionistischen Stadtmalerei, an der er selbst sich allerdings nur noch ein einziges Mal mit der Ansicht der fahnengeschmückten Rue Montorgueil im Jahr 1878 beteiligte. Andere, wie der jüngere Gustave Caillebotte und der ältere Camille Pissarro, führten den Blick von oben fort, von beiden sind in der Ausstellung bedeutende Werke zu sehen. Die impressionistische Stadtansicht ist geradezu auf diesen Blick aus den oberen Stockwerken und von den Balkons der neuerrichteten, repräsentativen Mietshäuser festgelegt. Und zugleich eben auf die neue Aufgabe der Stadt als Kulisse der Selbstdarstellung der bürgerlichen Klasse. Denn Bürger und Bürgerinnen sind es, die da mit hohen Hüten und in farbprächtigen Kleidern flanieren und in Kutschen vorbeiziehen, sie sind es, die die Maler in Pinselschwüngen und Farbtupfern festgehalten haben.
In der Berliner Ausstellung sind es nicht die Impressionisten, die die Veränderungen festhalten, sondern der ältere Barthold Jongkind, der 1868 die Abrissarbeiten an einer typischen Pa-riser Straße festhielt. Jongkind hatte 1854 Notre-Dame noch im Stil herkömmlicher Stadtveduten gemalt, ein bedeutendes Dokument der Zeit vor Haussmanns rigiden Eingriffen. Später war es der eminent produktive Camille Pissarro, der die neuen Boulevards topografisch genau, aber mit der Leichtigkeit des Impressionismus festhielt. Ohnehin hatte die Malerei die Aufgabe naturalistischer Exaktheit an die Fotografie abgegeben, von der in Berlin wunderbare Beispiele der Architekturfotografie eines Édouard Baldus oder Charles Marville zu sehen sind. Von Marville stammen Ansichten der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois in verschiedenen Zuständen ihrer Befreiung von der dichten Umgebungsbebauung.
So schließt sich der Kreis zu Monet und seinem Mal-Ausflug auf den Balkon des Louvre. Die Stadt wurde kein zentrales Thema der Impres-sionisten; davon zu unterscheiden wäre die Begeisterung für die zeitgenössische Technik, für Eisenbahnen, Bahnhöfe und Brücken. Ganz zu sich fand der Impressionismus in der Landschaft, und es ist ein kluger Griff von Ralph Gleis und seinem Team, die hauseigenen Landschaftsbilder von Monet oder Renoir im benachbarten Saal zu versammeln. Erst im sommerlichen Geflirr von Blättern und Gräsern, in der Unbeschwertheit bürgerlicher Freizeitvergnügen, und das heißt eben auch in der Entfernung von der Stadt fanden die Maler wie ihr Publikum ihr ersehntes Refugium.
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