Bauwelt

Die Straße und die Stadt

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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    F. Albert Schwartz, „Der Kreuzberg von der Groß­beerenstraße aus“, 1887, Stadtmuseum Berlin
    Aus: Die Eroberung der Straße, Katalog Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006

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    F. Albert Schwartz, „Der Kreuzberg von der Groß­beerenstraße aus“, 1887, Stadtmuseum Berlin

    Aus: Die Eroberung der Straße, Katalog Schirn Kunsthalle Frankfurt 2006

Die Straße und die Stadt

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Seit den 1970ern steht die autogerechte Stadt in der öffentlichen Kritik. Geändert hat sich wenig im Lauf der Jahre. Die sogenannte Verkehrswen­de mit mehr grüner Mobilität, weniger Abgasen und einem flächendeckenden und komfortablen ÖPNV kommt nur schleppend voran. Auch die neuen technologischen Zaubermittel Car-Sharing, Mitfahrdienste und E-Scooter, die den Individualverkehr vielfältiger und energieeffizienter machen, haben am autofixierten Nutzungsverhalten kaum etwas geändert. Das hängt auch mit der naheliegenden Trägheit der öffentlich finanzierten Verkehrsplanung zusammen. Veränderung kommt, wenn überhaupt, nur über gezielte Steuerung zustande, über Push-Elemente wie die Verknappung von Parkraum auf der einen und Pull-Elemente, die Anreize für den Umstieg auf alternative Verkehrsmittel bieten, auf der anderen Seite.
Die Straße bleibt im Verfügungsgriff des motorisierten Individualverkehrs. Angefangen hat es mit den großen städtischen Straßen einmal ganz anders. Ein Foto aus dem Berliner Süden vom Ende des 19. Jahrhunderts zeigt eine hohe Bebauung auf beiden Seiten. Dazwischen schiebt sich die Straße als große, leere Bühne – als heute kaum mehr vorstellbare offene Spielfläche für Handel, persönliche Begegnung und den gemäch­lichen Pferdewagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es mit der Industria­lisierung zum individuellen Massenverkehrsmittel. Das Auto mutierte zum Dominator der Planung. Das schwach motorisierte Vierrad der Vorkriegszeit wurde zur unwiderstehlichen PS-Gewalt, die die langsameren Verkehrsmittel hinwegfegte. Die lassen sich heute, das zeigt die schleppende Umsetzung der Fahrradwegepläne, nur mühsam zurückholen.

Umsteuern ohne Alternative

Der Klimawandel hat den Druck, auf klimafreundliche Verkehrsmittel umzusteuern, unverzichtbar werden lassen. Die letzten zwölf Monate haben dann den Blick noch auf etwas anderes gelenkt: Die Straße ist ab den sechziger Jahren eine Art Sperrbezirk für die Bewohner geworden, ein Ort, der ihnen keinerlei öffentliche Qualitäten mehr bietet, wenn man ampelbeschaltete Fußgängerüberwege nicht dazu zählen will. Diese Ausgabe legt den Fokus nicht auf die Verkehrswende, sondern auf die untergenutzte Raumressource Straße, die gerade als Möglichkeitsraum der Planung wiederentdeckt wird. So wie in den neunziger Jahren die Umnutzung stillgelegter Industrieareale zu einem „urban reset“ an neuralgischen Punkten der Stadt geführt hat, so könnte bald die bauliche Redefinition der Straßenräume für ähnliche Effekte sorgen. Für einen solchen Umbau gibt es keine fix und fertigen Rezepte, und er verschlingt enorme öffentliche Ressourcen, zumal wenn die dinosaurierhaften Verkehrskreisel und aufgeständerten Stadtautobahnen der Nachkriegszeit zur Debatte stehen.
Ein schneller Wandel ist nicht zu erwarten. Aber es gibt mutige Vorbilder. Der erste Teil des Heftes macht auf stadtweite Initiativen von Städten wie Barcelona, Brüssel und Hannover aufmerksam, die sich systematisch um ihr Straßensystem gekümmert haben und neue multifunktionale Formen der Aneignung der brachliegenden Raumressource umsetzen. Im zweiten Teil zeigen wir konkrete Projekte, wie sich Bewohnerstraßen, Verkehrskreisel und Zubringerstraßen verändern lassen. Dass dies ohne Konflikte nicht zu haben ist, zeigt „Ottensen macht Platz“, ein halbjähriges Projekt aus Hamburg, das mit dem deutschen Verkehrsplanungspreis ausgezeichnet wurde – obwohl es vorzeitig abgebrochen wurde.

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