Bauwelt

Dorfergrün aus Hinterbichl

Der Naturstein für das Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

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    Der Stein fand am Haupteingang und als Boden- und Treppenbelag Verwendung.
    Foto: Stefan Müller

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    Der Stein fand am Haupteingang und als Boden- und Treppenbelag Verwendung.

    Foto: Stefan Müller

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    Der Dorfergrün ist ein olivgrüner Chloritgneis, der durch gelblichen Epidot durchzogen ist.
    Foto: Wolf-Dieter Gericke

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    Der Dorfergrün ist ein olivgrüner Chloritgneis, der durch gelblichen Epidot durchzogen ist.

    Foto: Wolf-Dieter Gericke

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    Der Dorfergrün wird in einem kleinen Osttiroler Steinbruch abgebaut. Der Ort als Raumfigur mit senkrecht geschnittenen Wänden.
    Foto: Wolf-Dieter Gericke

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    Der Dorfergrün wird in einem kleinen Osttiroler Steinbruch abgebaut. Der Ort als Raumfigur mit senkrecht geschnittenen Wänden.

    Foto: Wolf-Dieter Gericke

Dorfergrün aus Hinterbichl

Der Naturstein für das Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

In diesem Jahr feiert der Serpentine Pavillon das Baumaterial Schiefer. Entworfen hat ihn der japanische Architekt Junya Ishigami: Ein luftig und doch archaisch wirkendes Gebäude, das Landschaft metaphorisch nachbildet und gleichzeitig Baukunst sein will. Zu sehen ist ein „hohler“ Hügel aus Schieferplatten, der auf dünnen Stelzen steht.
Aufgrund der immer lauter werdenden Debatten um nachhaltiges Bauen mit nachhaltigen Materialien hat der Naturstein an Bedeutung gewonnen: Sein „Leistungsprofil“ überzeugt. Aber nicht jeder Projektentwickler, der seinen Architekten abfordert, mal eben signalhaft ein Bauprojekt mit zwei oder drei Partien Steinplatten zu tapezieren, um den oberflächlichen Eindruck von „Wertigem“ zu wecken, wird deshalb schon zum überzeugenden Botschafter des Natursteins.
Wer ein engeres Verhältnis zu diesem Baumaterial entwickeln will, sollte bei Gelegenheit mit festem Schuhwerk den einen oder anderen Steinbruch erwandern. Die Wege dort sind kurz. Steinbrüche, die ihr Material nicht der Zementherstellung opfern müssen, sind eher klein. Überraschend jedoch, welches Talent zu monumentalen Auftritten sie im Zusammenspiel mit der Umgebung und ihrer je eigenen Raumfigur und Plastizität entfalten.
Jener Naturstein, den das Büro Thomas Müller Ivan Reimann Architekten bei ihrem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim einsetzte, stammt von weit oben, aus den Osttiroler Bergen. In Hinterbichl besitzt das Stuttgarter Unternehmen Lauster Steinbau zwei kleine Steinbrüche. Vor einem Jahrhundert belieferte es noch Großbauprojekte mit dem berühmten Cannstatter Travertin – den Flughafen Tempelhof, Poelzigs IG-Farben-Haus in Frankfurt, in den 1980er Jahren dann Stuttgarts Neue Staatsgalerie; heute dient der alte Steinbruch einer anderen Firma nur noch als Deponie.
In Hinterbichl baut Lauster den Chloritgneis „Dorfergrün“ ab; etwas weiter oben den Serpentinit mit der Bezeichnung „Tauerngrün“. Die Namensähnlichkeit des eingangs erwähnten „Serpentine Pavillon“ und des genannten Steins rührt schlicht daher, dass das alte Wegenetz in Kensington Gardens sich durchs Grün „schlängelte“, während „Tauerngrün“, der dunkle Serpentinit, eine hellere Musterung in Schlangenlinien aufweist.
Wie Theaterbühnen im Standby-Modus wirken diese kleinen Steinbrüche: scheinbar baumeisterlich gestaltete, tektonische Raumfiguren mit senkrecht geschnittenen Wänden, die wider die Realität suggerieren, sie seien nicht von oben nach unten, sondern von ihrer tiefen Sohle nach oben ausgeführt – aus mächtigen Quadern, etwa gleich groß dimensioniert wie die Steine der Cheops-Pyramide.
Wo die Blöcke aus „Dorfergrün“ aus dem Fels geholt werden, tut sich derzeit eine kantige Grube im Boden auf. Der Steinbruch wurde nicht an einem Steilhang, sondern auf einem abgeflachten Plateau unter zwei aufsteigenden Bergflanken angelegt; dort hinauf führt eine Straße, an de­-ren Ende „Tauerngrün“ in dem zweiten Steinbruch gewonnen wird.
In fernerer Zukunft, wenn Topografie und Geologie den Abbau von Dor­fergrün nicht mehr erlauben, wird sich hier eine kleine Senke auftun, de­-ren sich dann die Natur bemächtigen wird. Regen- und Grundwasser werden den Steinbruch mit seinen Stufen, Podesten und Rampen allmählich fluten und einen von Felsen und neuem Grün gefassten Teich entstehen lassen: Je nach Wasserstand wird auch der dann erinnern an die Reste einer unregelmäßig geschnittenen Naturbühne – geschaffen für Frösche, Bergmolche und Wasservögel.
Die schonenden Abbaumethoden der modernen Natursteinindustrie haben deren Steinbrüchen zu einer Ästhetik ganz eigener Art verholfen. Außen – an ihren Flanken – zitieren sie sinnfällig den Verwendungszweck ihrer Produkte, indem sie eine zuvor naturwüchsige Landschaft mit ihren vor- und rückspringenden Konturen und ihrem Schattenspiel in kubistische Architekturbilder und Stadtpanoramen umformen. Dort aber, wo der Abbau des Steins schon in das Innere des Berges verlagert wurde, tun sich nie gesehene Kathedralen auf: magische Orte, die das verschlungene Geäder eines mächtigen Gebirges freigeben, dessen mineralisches Chaos zugleich gebändigt wird von klar und deutlich konturierten Raumkanten in drei Dimensionen. Die vierte Dimension eines solchen „Stein-Bergwerks“ gestaltet das Wasser. Wo es der Schwerkraft folgt, entstehen an und auf den Schnittflächen des Steins monumentale, abstrakte Lithographien von bester künstlerischer Qualität; ständig im Wandel begriffen, sobald eine Partie abgetrocknet ist und eine andere feucht wird. Schöne Steine können süchtig machen! Es genügen schon die Ausflüge in die weitere Umgebung. Für Carrara ist dann immer noch Zeit.
Fakten
Architekten Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, Berlin
aus Bauwelt 15.2019
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