Bauwelt

Drehscheibe Wien

Am Jahresende geht eine Ära zu Ende: Dietmar Steiner, der langjährige Direktor des Architekturzentrums Wien, tritt in den Ruhestand. Zum Abschluss gibt es eine Aus­stellung, die die letzten 60 Jahre Architektur Revue passieren lässt

Text: Stock, Wolfgang Jean, Wolfgang

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    Links: Blick in die Ausstellung „Am Ende: Architektur“ im Architekturzentrum Wien.
    Fotos: Pez Hejduk

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    Links: Blick in die Ausstellung „Am Ende: Architektur“ im Architekturzentrum Wien.

    Fotos: Pez Hejduk

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    Dort klärt sich sicher auch, wie die anarchische Luftkissenaktion „Gelbes Herz“ von Haus-Rucker-Co (1967/68) ...
    Foto: Archiv Haus-Rucker-Co/Günter Zamp Kelp

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    Dort klärt sich sicher auch, wie die anarchische Luftkissenaktion „Gelbes Herz“ von Haus-Rucker-Co (1967/68) ...

    Foto: Archiv Haus-Rucker-Co/Günter Zamp Kelp

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    ... und das Traditionsörtchen Pundbury (hier auf einem Gemälde von Carl Laubin nach einer Zeichnung von Leon Krier, 1992) in der selben Architekturzeitreise gelandet sind.
    Gemälde: Carl Laubin/Leon Krier

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    ... und das Traditionsörtchen Pundbury (hier auf einem Gemälde von Carl Laubin nach einer Zeichnung von Leon Krier, 1992) in der selben Architekturzeitreise gelandet sind.

    Gemälde: Carl Laubin/Leon Krier

Drehscheibe Wien

Am Jahresende geht eine Ära zu Ende: Dietmar Steiner, der langjährige Direktor des Architekturzentrums Wien, tritt in den Ruhestand. Zum Abschluss gibt es eine Aus­stellung, die die letzten 60 Jahre Architektur Revue passieren lässt

Text: Stock, Wolfgang Jean, Wolfgang

Am Anfang war der Container. Man kann sich kaum mehr vorstellen, wie bescheiden 1993 das Architekturzentrum Wien (AzW) im damaligen „Messepalast“ begann: in einer Halle mit rohen Ziegelwänden, mit einem Kiesbett als Boden, ohne Heizung – und Gründungsdirektor Dietmar Steiner residierte in einem Container. Gleichwohl wagte er noch im gleichen Jahr den großen Einstieg. Unter dem Titel „Europäische Architektur heute“ fand der 1. Wiener Architektur-Kongress statt, der 1994 mit weiteren Länderbeiträgen fortgesetzt wurde. Diese Bestandsaufnahme zeigte eine wesentliche Richtung des AzW an: Wien wurde zu einer Drehscheibe für die Baukultur aus ganz Europa. Besonders verdienstvoll war dabei die Orientierung hin zu Österreichs postkommunistischen Nachbarn mit Andrej Hrausky aus Ljubljana, Ákos Moravánsky aus Budapest und Vladimír Šlapeta aus Prag.
Diese Pionierzeit konnte das AzW rasch überwinden, weil es sich auf seine Geburtshelfer verlassen konnte, drei führende Wiener Sozialdemokraten, darunter der herausragende Planungsstadtrat Hannes Swoboda. Durch die großzügige Unterstützung der Stadt blühte das AzW auf. Neben Ausstellungen, Publikationen und Veranstaltungen entstanden das Archiv sowie die Sammlung („Das Gold des AzW“). Als es 2001 mit zwei weiteren Hallen nochmals eröffnet wurde, nunmehr als eine Säule des neuen Museumsquartiers, wurde auch die erste öffentliche Architekturbibliothek Österreichs eingeweiht.
Auch wenn Dietmar Steiner im Rückblick den Teamgeist hervorhebt, so war er doch der Motor des AzW. Dabei kam ihm sein Temperament ­zugute. In Oberösterreich aufgewachsen und in Wien zum Architekten ausgebildet, beherrscht ­er die Rolle des robusten Pragmatikers ebenso wie die eines gewandten Diplomaten. Auch eine gewisse Schlitzohrigkeit war vonnöten, um ­Offenheit für das AzW-Programm zu erreichen. Man darf ja nicht vergessen, dass im Wien der 90er Jahre die Protagonisten einer erschöpften Postmoderne wie Hans Hollein und Gustav Peichl das Sagen hatten. Hinzu kam, dass an der Stadtspitze die Architekturfreunde weniger wurden. Enttäuscht hat Steiner vor allem der seit vielen Jahren amtierende Bürgermeister Michael Häupl: „Ich kann ganz offen sagen, dass er sich nicht für Architektur interessiert.“
Seit Wochen wird nun im AzW der Abschied von Dietmar Steiner gefeiert. Im Zentrum steht die seiner persönlichen Prägung gewidmete Schau mit dem doppeldeutigen Titel „Am Ende: Architektur“. Ist die Architektur am Ende oder läuft es immer wieder auf Architektur hinaus? Steiner selbst ist skeptisch, wie er unlängst in seinem Bauwelt-Essay „Die sieben letzten Tage der Moderne“ bekundet hat (Bauwelt 16–17.2016). Karoline Mayer, Sonja Pisarik und Katharina Ritter hingegen, die den geglückten Versuch unternommen haben, den Architekturmenschen Steiner zu kuratieren, teilen diese Auffassung nicht. Ihre Ausstellung gliedert sich in vier Teile. Auf der horizontalen Ebene, auf zwanzig Themeninseln, breiten sie auch ihre Funde aus Steiners Archiv aus: Über eintausend Exponate – Modelle, Bücher, Aufsätze, Fotos und Pläne – fügen sich zu spannenden „Zeitreisen“ von der Funktionalismuskritik der späten 50er Jahre bis hin zur heutigen Renaissance des sozialen Bauens.
Umhüllt wird diese Dokumentation von Themen-Tafeln an den Wänden, die hoffnungsvolle Ansätze für eine künftige Architektur präsentieren, von Material und Gesellschaft bis hin zu Theorie und Gesetz. Der lebendige Dietmar Steiner wiederum begegnet einem in dem langen Film, in dem er „seine“ letzten sechzig Jahre der Architektur Revue passieren lässt. Auch die vierte Station hat einen persönlichen Bezug: Anhand von Virtual Reality kann man das von Prinz Charles angeregte Städtchen Poundbury ansehen, dessen Bedeutung Steiner für unterschätzt hält. Diese gezielte Provokation verwunderte auch die meisten Teilnehmer des 20. Wiener Architektur-Kongresses, der Mitte November stattfand. Steiner zu Ehren waren von Jean-Louis Cohen bis Juhani Pallasmaa, von Anna Heringer bis Bruno Reichlin auch fünfzig prominente Vertreter der Architektur gekommen. Der Motor des AzW wird nun aufs Land ziehen, um Archiv und Bibliothek zu ordnen: „Und ich habe endlich genug Zeit für meine Katzen.“

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