Durch zweierlei Linsen – ein Dialog
160 Fotografien von Jacques Henri Lartigue und André Kertész in Cottbus
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Durch zweierlei Linsen – ein Dialog
160 Fotografien von Jacques Henri Lartigue und André Kertész in Cottbus
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Sie wurden beide im Jahr 1894 geboren und sie fingen schon früh – als Autodidakten – mit dem Fotografieren an. Zwischen den Weltkriegen lebten beide in Paris (wo sie sich aber wohl nie begegneten; das geschah erst 1972 in New York, wohin der eine bereits 1936 emigriert war) und sie erfreuten sich beide eines langen Lebens: André Kertész starb 1985, Jacques Henri Lartigue ein Jahr später. Doch trotz der vielen Parallelen hätten ihre Lebensgeschichten und auch ihre fotografischen Handschriften kaum unterschiedlicher sein können: Der eine wuchs in Budapest auf, wo er zunächst vor allem seine Familie, Freunde und das Alltagsleben einfacher Leute ablichtete. Der andere fokussierte hingegen seinen Blick von Anfang an auf die französische Bourgeoisie, deren „Leichtigkeit des Seins“ er ein fotografisches Denkmal setzte.
Eine Ausstellung im Cottbuser Museum Dieselkraftwerk zeigt über 160 Werke beider Fotografen aus acht Jahrzehnten. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Médiathèque du patrimoine et de la photographie, einer vom französischen Kulturministerium unterhaltenen Nachlasseinrichtung, aus deren Sammlung sämtliche präsentierten Modern Prints stammen. Die in schlichten Rahmen gefassten Fotografien sind in vier – lose den Zeitläuften und den jeweiligen Werkabschnitten entsprechende – Kapitel unterteilt, die (auch dank der sparsamen Ausstellungstexte) viel Raum für eigene Assoziationen der Besucher lassen.
André Kertész verschrieb sich früh der „photographie humaniste“, doch weisen ihn seine originellen Bildkompositionen nicht etwa als klassischen Fotoreporter aus, sondern als Lichtbildkünstler. Ein frühes Meisterwerk ist „Le cirque, Budapest, 1920“, das in voyeuristischer Art ein älteres Paar (von hinten) beim Blick durch die Ritzen eines Bretterzauns zeigt. Der Ungar, der 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, liebte das Licht-und-Schatten-Spiel, etwa bei „Le peintre d’ombre, Paris, 1926“, einer Rückansicht eines Anstreichers, der – auf einer Leiter stehend und eine Wand bearbeitend – scheinbar seinen eigenen Schatten malt. „New York, 1950“ zeigt zwei putzende Menschen auf Feuerleitern an der Rückseite eines typischen Ziegelbaus, der durch lange Schatten verfremdet wird.
In einer ganz anderen Welt bewegte sich Jacques Henri Lartigue: Strandpromenaden und Schwimmbäder in Cannes, Monte Carlo und Cap d’Antibes, Parks und Rennstrecken sind die Bühnen, auf denen sich seine Protagonisten regelrecht zur Schau stellten. Auffallend oft springend, wie etwa er selbst als Tennisspieler („Jacques Henri Lartigue, Rouzat, 1920“), eine ganze Reihe von Personen bei der „Schmetterlingsjagd, 1938“ (auf gleich sechs Fotos) und der im eigenen Studio hüpfende Fotograf „Richard Avedon, New York, 1966“. Der Franzose hatte einen besonderen Blick für Exzentriker, wie etwa „Maurice Lartigue im Badereifen, Rouzat, 1911“, einen im Wasser treibenden Dandy im Anzug, oder „Mary Belewsky, Cap d’Antibes, 1941“, die sich eine überdimensionierte Taucherbrille auf die Nase gesetzt hat. Doch er konnte auch ganz anders: „Moto-cross, Bois de Vincennes, 1951“ ist ein ungemein dynamisches Tableau, auf dem zwei Motorradfahrer zwischen zahlreichen Zuschauern einen steilen Abhang hinunterrasen.
So unterschiedlich die Werke der beiden Fotografen in dieser Doppelschau auch erscheinen – manchmal sind sie sich doch sehr ähnlich: Kertész fotografierte schon 1919 seinen nackten, gekünstelt durch eine Wiese tänzelnden Bruder („Mon frère Jenö exécutant un scherzo, 1919“), Lartigue ließ 1942 die ebenfalls nackte Huguette Sabouret durch den Garten des Château des Essarts, Veyvialle, springen, am Rand eines Teichs, in dem sie sich effektvoll spiegelt. Diese Leichtigkeit der Motive unmittelbar nach dem Ersten bzw. mitten im Zweiten Weltkrieg ist frappierend – eben „Ein Schritt zur Seite“.
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