Bauwelt

Ein Raum könnte viel reicher sein, könnten wir nur anders denken

Zvi Hecker 1931–2023

Text: Golan, Sharon, Berlin

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Foto: Daniel Alka für Kabinet architektury 2018

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Ein Raum könnte viel reicher sein, könnten wir nur anders denken

Zvi Hecker 1931–2023

Text: Golan, Sharon, Berlin

„Der Mensch sollte in der Architektur nach einem Reichtum suchen; der Kubus ist nicht die einzige Möglichkeit. Wir sollten nach Formen suchen, die uns unklar sind, etwas tun, von dem wir nicht wissen, wie wir es tun sollen. […] Ein Raum könnte viel reicher sein, könnten wir nur anders denken“. Für den Architekten Zvi Hecker beanspruchte eine einzige Zeichnung Monate, und doch war sie nie fertig. Sein Werk zeigt seine Fähigkeit, aus dem Gewöhnlichen Besonderes zu schaffen. „Ich bin ein Künstler, dessen Beruf die Architektur ist.“
Zvi Hecker starb Ende Septmeber im Alter von 92 Jahren in Berlin. Obwohl er nur etwa ein Dutzend Gebäude errichtete, könnte jedes als Meisterwerk gewürdigt werden. Die Projekte bilden seine umfangreiche Recherchearbeit ab, die sich nach Abschluss der Konzeptphase auch während des Bauens fortsetzte. Sein Schüler und Freund Eyal Weizman beschrieb Zvis Herangehensweise als archäologisch: „Seine Architektur war nicht innovativ, sie war vielmehr zu entdecken“.
Die Faszination für Geometrie veranschaulicht schon eine seiner frühen Arbeiten: die Strandkabinen für den Club Mediterranée in Achsiv an der Nordspitze der israelischen Küste. Abgestumpfte Tetraeder aus drei sechseckigen Platten mit leicht konvexer Krümmung ergeben die Kabineneinheiten. Jede der dreieckigen Pyramidenhütten bietet Platz für drei Betten, die einzelnen Dreieckspanele können zur Belüftung geöffnet werden. Das Bausystem war kostengünstig, in kurzer Zeit auf- und abgebaut und gut zu lagern. Der Ansatz, zweidimensionale geometrische Muster zu dreidimensionalen Körpern aufzurichten, entstand während seiner frühen Tage als Architekturstudent im südusbekischen Samarkand, wohin er im Zweiten Weltkrieg als polnischer Jude geflohen war.
Nach dem Krieg zog Zvi erstmal zurück in seine Heimatstadt, Krakau, wo er sein Architekturstudium anfing, später wanderte er nach Israel aus und studierte hier weiter. Sein Spiral Apartment House in Ramat Gan aus dem Jahr 1989 beschrieb er als „ein Werk unvollständiger Präzision. Weil es so präzise ist, kann es nicht wirklich fer­-tig sein“. Das Spiralhaus bewegt sich zentrifugal nach oben und adaptiert die Form einer Sonnenblume. Über acht Stockwerke entwickelt sich das Gebäude treppenartig um den mittigen Innenhof empor, wobei jede Wohnung eine Stufe ergibt. Laut seiner Tochter Ella zog Zvi jeden Morgen mit zwei Hämmern, fünf und zehn Kilogramm schwer, auf die Baustelle, um alles zu zerlegen, was nicht seinen Vorstellungen vom Vortag entsprach. Das Ergebnis unterschied sich völlig von den ursprünglichen Plänen. Verkleidet mit billigen und glänzenden Materialien, üppig und rau, muteten die Fassaden an – so sagte ein Freund – als habe ein Sturm allen herumliegenden Schrott aufgewirbelt und in ein Gebäude verwandelt. Zvi Hecker sah Architektur als Abbild der Gesellschaft; in diesem Fall spiegelte das Gebäude das Konsumverhalten des postmodernen Israels jener Zeit wider.
Zvi Hecker zog nach Deutschland, nachdem er einen Wettbewerb für die Heinz-Galinski-Schule in Berlin gewonnen hatte – die erste jüdische Grundschule, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurde. Sie war daher nicht nur funktional, sondern auch symbolisch notwendig. In Charlottenburg am nördlichen Rand des Grunewalds gelegen, sah das Schulprogramm eine Mischung aus großen und kleinen Räumen vor, wobei sich wieder die Sonnenblumenspirale als führende Entwurfsstrategie herausstellte. Sonnenstrahlen fallen in jedes der Klassenzimmer. Für Zvi waren vor allem Kinder seine Auftraggebenden. Sein Entwurf ermutigt sie, sich in den versteckten Ecken auf­zuhalten, fast als wolle er, dass die Lehrkräfte es schwer haben, sie zu finden.
Sein Ruf als schwarzes Schaf der israelischen Architekturlandschaft resultierte aus seiner Leidenschaft für Perfektion und der Treue zu seinen Werken. Zvi selbst verbildlichte dies mit einer Anekdote über die Laboratorien für die Fakultät für Maschinenbau am Technion in Haifa, die er gemeinsam mit dem Architekten Alfred Neumann entwarf. Aus Kostengründen wurden Fensterrahmen eingesetzt, die die geplante Lichtqualität beeinträchtigten. Angeblich hatte Zvi nachts alle Rahmen auf der Baustelle entfernt, die er nicht abgesegnet hatte. Kurz darauf hielt ihn die Polizei an. Was Zvi zunächst unter effizienter israelischer polizeilicher Arbeit verbuchte, stellte sich als den Hinweis auf einen kaputten Frontscheinwerfer heraus.
Für mich war er nie ein schwarzes Schaf, vielmehr die Verkörperung dessen, was es bedeutet, Architekt zu sein – und seine Entwürfe gebäudegewordene geistige Manifestationen. Im Jahr 2000 war ich Architekturstudentin im Master, als Zvi mich als Praktikantin in seinem Büro aufnahm. Heute schreibe ich diese Zeilen in seiner Wohnung in Berlin. Zwischen den trockenen Pinseln auf dem Boden liegt sein letztes großes, ausdrucksstarkes Aquarell, im Regal stehen Unmengen von Skizzen. Auf dem Schreibtisch liegt ein an mich und Ella gerichteter Brief. Zvi möchte sein letztes Werk, die „Casa di Ella“, ausstellen. Die Skizzen des Gebäudes, das er für seine Tochter in den italienischen Abruzzen entwarf, werden im Mai 2024 im Max-Liebling-Haus in Tel Aviv ausgestellt.

Aus dem Englischen von Caroline Kraft

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