Ein sächsischer Bauunternehmer
Anfang des 20. Jahrhunderts waren noch nicht viele Bauunternehmen mit Stahlbetonkonstruktionen vertraut. Der Baumeister Max Gotthilf Richter gehörte zu den ersten. Er realisierte Industriebauten, Geschäftshäuser und Brücken. Sein Nachlass befindet sich im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Ein sächsischer Bauunternehmer
Anfang des 20. Jahrhunderts waren noch nicht viele Bauunternehmen mit Stahlbetonkonstruktionen vertraut. Der Baumeister Max Gotthilf Richter gehörte zu den ersten. Er realisierte Industriebauten, Geschäftshäuser und Brücken. Sein Nachlass befindet sich im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Wie wurden vor hundert Jahren große Stahlbetonkonstruktionen gebaut? Die Leipziger Betonbaufirma Max Gotthilf Richter & Co. realisierte ganz unterschiedliche derartige Projekte, die in zahlreichen Baustellen- und Rohbaufotos überliefert sind und interessante Einblicke in den Ingenieurhochbau der 1920er und frühen 1930er Jahre bieten.
Der Enkel des Baumeisters Max Gotthilf Richter (1873−1962) übergab 2017 dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig zahlreiche Unterlagen zur Firmengeschichte, darunter Fotos von Bauten, die das Unternehmen realisierte, ein aufwendig in Leder gebundenes Fotoalbum sowie eine großformatige, auf hochwertigem Papier gedruckte Broschüre, in der sich neben Gebäudeaufnahmen auch Referenzschreiben von zufriedenen Kunden befinden.
Aufgrund der aktuellen Corona-Krise ist das Museum vorübergehend geschlossen. Sollte ein Besuch demnächst wieder möglich sein, dann sind dort zwei parallel laufende Ausstellungen zu sehen − ein Beitrag zum Jahr der Industriekultur in Sachsen: eine Schau zum Werk des Fotoateliers Hermann Walter (Bauwelt 4.2020) und eine Kabinettsausstellung mit den Fotos der Baufirma Max Gotthilf Richter & Co. Die präsentierten Fotografien sind nicht zuletzt deshalb so sehenswert, weil sie den rasanten Wandel einer Reihe kleinerer Städte zu modernen Industriestandorten dokumentieren, mit Darstellungen von Kraftzentralen, Kesselhäusern und Generatorenhallen, Industriegebäuden und Produktionsanlagen.
Max Gotthilf Richter arbeitete sich im Bauunternehmen des bekannten Leipziger Betonpioniers Max Pommer vom Zeichner zum Prokuristen hoch. Während der Planung des Leipziger Druckereigebäudes für die Firma C. G. Röder (1898), der ältesten mehrgeschossigen, noch erhaltenen Hennebique-Konstruktion Deutschlands, fuhr er im Auftrag von Pommer zu Hennebiques deutschen Generalvertretern und später auch nach Paris, um sich mit dieser neuen Konstruktionsmethode vertraut zu machen. 1911 gründete Richter sein eigenes Bauunternehmen, spezialisierte sich auf Industriebauten und realisierte Projekte in ganz Sachsen, teilweise sogar darüber hinaus. Dafür eröffnete die Firma, neben einer langjährigen Zweigstelle in Dresden, zeitweise auch Niederlassungen in Halle an der Saale, Gera und Chemnitz. Die Kernfirma in Leipzig-Kleinzschocher blieb − trotz schrittweiser Verstaatlichung während der DDR-Zeit − bis zu ihrer Liquidation 1997 bestehen.
Zu den Aufgabengebieten des Unternehmens gehörten Brücken, Kohlebunker, Getreide-Silos, Textilfabriken, Maschinenbaubetriebe und Produktionsgebäude für die Lebensmittelindustrie. Die Betonbaufirma realisierte aber auch Geschäftshäuser in der Leipziger Innenstadt wie das ehemalige Geschäftshaus August Pick & Co. (1915, heute der Hauptsitz der Industrie- und Handelskammer Leipzig). Eines der aufwendiger gestalteten Gebäude ist das UT Connewitz (1912), das älteste noch erhaltene Lichtspieltheater Leipzigs, mit seinem großen, stützenfrei überwölbten Kinosaal (Bauwelt 9.2015).
Im Industriebau setzten sich ab den 1920er Jahren wegen der neuen statischen Möglichkeiten des Stahlbetons weitspannende Konstruktionen und moderne Gestaltungen immer mehr durch. Das Sudhaus der Sternburg-Brauerei (1926) in Lützschena mit seinem patinierten Kupferdach prägt bis heute das Stadtbild im Leipziger Nordwesten. Das wohl bekannteste von Max Gotthilf Richters Firma errichtete Bauwerk ist jedoch der Uhr- und Fahrstuhlturm (1927) der vom Architekten Heinrich Basarke entworfenen Maschinenfabrik Schubert & Salzer in Chemnitz, heute technisches Denkmal der Stadt.
Unabhängig von der derzeit geschlossenen Ausstellung lohnt sich ein Blick in den vom Stadtgeschichtlichen Museum herausgegebenen Begleitband „Neues aus Beton und Stahl. Neubauten der 1920er und 1930er Jahre in Sachsen im Fokus des Ateliers Hermann Walter“, der die Bauten mit gestochen scharfen Baustellenfotos und längeren Texten vorstellt. Das Museum konnte seine Sammlung in den letzten Jahren (neben den Aufnahmen aus dem Richter-Firmennachlass) um etliche weitere eindrucksvolle Fotoserien aus dieser Zeit ergänzen: unter anderem vom Geschehen auf der Baustelle des Grassi-Museums, der Kammgarnspinnerei Stöhr & Co. sowie der von Dyckerhoff & Widmann in Betonschalenbauweise ausgeführten Leipziger Großmarkthalle („Kohlrabizirkus“) − einer ingenieurtechnischen Meisterleistung jener Jahre.
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