Bauwelt

Man hätte die Planung erst beenden sollen, bevor mit dem Bau begonnen wurde

Mit diesen Worten wird die Kulturbehörde der Hansestadt bei der Eröffnung der Plaza zitiert. Die Erkenntnis ist banal wie verspätet gegen­über den Zeiten, als die Elbphilharmonie für die Stadt noch zum Nulltarif zu haben gewesen wäre. Am Ende kostete sie rund 789 Mil­lionen. Etappen und Metaphern während der leidvollen Entstehungsgeschichte

Text: Kähler, Gert, Hamburg

Man hätte die Planung erst beenden sollen, bevor mit dem Bau begonnen wurde

Mit diesen Worten wird die Kulturbehörde der Hansestadt bei der Eröffnung der Plaza zitiert. Die Erkenntnis ist banal wie verspätet gegen­über den Zeiten, als die Elbphilharmonie für die Stadt noch zum Nulltarif zu haben gewesen wäre. Am Ende kostete sie rund 789 Mil­lionen. Etappen und Metaphern während der leidvollen Entstehungsgeschichte

Text: Kähler, Gert, Hamburg

Der vagabundierende Architekturtourismus hat jetzt ein neues Ziel, und das zu Recht. Die Architekturkritiker und diejenigen, die auch irgendwie über Architektur schreiben, überschlugen sich schon bei der Präsentation von zwei Skizzen im Jahr 2003 mit Metaphern, und heute, nachdem der Bau eingeweiht wurde, ist es nicht anders – je gebirgiger die Herkunftsregion des jeweiligen Schreibers, desto maritimer die Analogien; da
ist von einer „Glaswelle“ die Rede, vom „Leuchtturm“ und „Viermaster unter vollen Segeln“, mindestens aber von Architektur-„Glaskrone“, „Hahnenkamm“ und „Tropfsteinhöhle“; auch das „Ufo“ darf nicht fehlen. Niklas Maak hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ganz recht: der „große Metaphernwerfer feuerte auf Autopilot: Manche dachten an einen Eisberg (…), andere an ein ab­straktes Segelschiff, wieder andere bemerkten, dank der beiden Schweizer bekomme Hamburg endlich einen Berg mit romantischen Zacken“. Er ergänzte, der Bau sei ein „mit abstrakten Sturmwellen gekröntes kleines Weltwunder“. Roman Hollenstein sieht in der Neuen Züricher Zeitung das Haus „mit geblähten Segeln die Elbe“ hinuntergleiten und wird an Schweizer Bergketten und wenig erfreuliche Insekten erinnert, wenn er ein „Wespennest des großen Saals“ zu sehen meint. Hanno Rauterberg vermutet in der ZEIT ein „Haus, das nicht stillstehen mag“, was zu Gottfried Knapps in der Süddeutschen Zeitung ge­äußerten Vergleichen mit Schiffsbug, Ozeanriesen und Kulturtanker passt.
Eines ist mal sicher und unbedingt ein Zeichen qualitätsvoller Architektur: Die neue Elbphilharmonie beflügelt die Fantasie, und das schon seit ihrer ersten Präsentation vor 14 Jahren, als BILD feststellte, dass der Kaispeicher A an arabische Lehmbauten erinnere. Diese erste Präsentation war einer der Gründe für viele spätere Katastrophen: Zwei private Investoren wollten die Philharmonie allein auf den Speicher stemmen, durch eine „Mantelbebauung“ aus Hotel und Wohnungen – ein Geschenk an die Stadt, die nur das 40 bis 50 Millionen Euro teure Grundstück herausrücken sollte. Dass das niemals funktionieren würde, war in dem Augenblick klar, als lächerliche Baukosten von 40 Millionen lanciert wurden. Da war der Kaispeicher A noch für 700 Autos vor­gesehen, bei einem vorhandenen Stützenraster von 4 x 4 Metern. Wie das gehen sollte, wussten vermutlich weder die Architekten noch die Investoren – aber es klang schön preiswert. Und keiner hat damals mal leise gesagt: „Es kann sein, dass es doch ein wenig teurer wird“; keiner hatte ein Interesse daran – weder die Architekten noch die Investoren noch die Stadt. Sicher ist: Wenn die heutigen Kosten damals genannt worden wären, wäre das Haus nicht gebaut worden. Es war zu der Zeit, als ein Fertigstellungstermin im Juni 2008 vorgesehen war, zum 100. Geburtstag der alten Musikhalle, die im Übrigen von einem privaten Mäzen vollständig finanziert worden war.
Politiker und die Planer der HafenCity GmbH waren damals gegen den Bau, lag der doch falsch, und eigentlich wollte man mit dem spektakulären Grundstück ja Kohle machen. Wo­rauf das Hamburger Abendblatt einen Monat nach der Präsentation das „Aus für den Musik­tempel“ posaunte: Till Briegleb stellte in der Süddeutschen völlig richtig fest, „eine größere Chance, etwas Bedeutendes zu vermasseln, wird sich für Ole von Beust (dem damaligen Ersten Bürgermeister) so schnell nicht wieder bieten“. Ver­masselt hat der dann nicht den Bau, sondern dessen Management; ein Jahr später kaufte die Stadt den Investoren das Projekt für rund 3,5 Mil­lionen ab, ein weiteres Jahr danach kostete der Bau bereits rund 300 Millionen, von denen die Stadt aber nur 77 Millionen zahlen wollte. Mitte 2006 übernahm die Stadt dann das gesamte Investment, wurde also zum Hotelbetreiber und Wohnungsverkäufer, und hoffte dadurch 15 Millionen zu sparen. Wenige Monate darauf lag das erste Angebot der Baufirma bei 274 Millionen, wobei eine vollständige Planung noch gar nicht vorlag.
Am 1. April 2007, als der Bau schon fast hätte fertig sein sollen – eigentlich –, war dann die feierliche Grundsteinlegung. Einen Tag vorher hatte der Projektleiter gekündigt. Die neue Projektleiterin wurde zitiert mit dem schönen Satz: „Ter­mine und Kosten sind nicht mein Spezialgebiet.“ Die Fertigstellung wurde auf 2011 verschoben – wichtig, weil 2012 Wahljahr war und sich der Erste Bürgermeister im Ruhm der Elbphilharmonie sonnen wollte.
Weiter ging’s: 2008 Baukosten 323 Millionen, 2010 geschätzte Fertigstellung 2012, die 2011 auf 2014 verschoben wurde. Gottfried Knapp schrieb in der Süddeutschen, die Elbphilharmonie „sei mit einem so lächerlich niedrigen Etat kalkuliert worden, dass die Strafen, die für dieses Vergehen bezahlt werden müssen, die ursprünglich genannten Baukosten um ein Mehrfaches übersteigen werden“. Muss heißen: „übersteigen müssten“, denn Ole von Beust hat zwar die „politische Verantwortung“ übernommen, sieht aber keine Schuld bei sich und wird auch nicht in Haftung genommen. Übrigens auch sonst niemand.
Ende 2012 schlug dann der neue Bürgermeister Olaf Scholz den gordischen Knoten der völlig zerstrittenen Parteien aus Baufirma, Architekten und Projektleitung mit Geld anstelle eines Schwertes durch, indem er das Angebot der Baufirma annahm, den Bau fertigzustellen – für weitere 200 Millionen. Und 2013 triumphierte das „Hamburger Abendblatt“ mit der Überschrift „Elbphilharmonie endlich im Zeitplan“. Da hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, es sei besser, den Zeitplan an die Realität anzupassen als umgekehrt.
Und nun steht sie da, mit drei Seiten im Wasser; sie deckt die Sehnsucht der Hamburger nach Ferne und Meer und Weltgeltung und ist von außen im wechselnden Licht ganz wunderbar und rechtfertigt jede Metapher - naja, fast jede. Wenn man die fabelhafte gebogene Rolltreppe hinaufgefahren ist, dann tritt allerdings die profane Welt zutage; beim großen Fenster zur Welt im Westen muss man sich um 180 Grad drehen, um über eine schlichte Rolltreppe das nächste Geschoss zu bewältigen – und steht dann auf der Plaza.
Dass die Fenster durch ihre Bedruckung aussehen, als wollten die Architekten an den in Hamburg allgegenwärtigen Nieselregen erinnern, ist nicht nur ein Schönheitsfehler; es sieht scheußlich aus. Dagegen sind die Treppen, Foyers und Säle makellos und herrlich zu begehen, und die Akustik wird dies wohl auch sein, schließlich war sie teuer genug.
Fakten
Architekten Herzog & de Meuron, Basel
aus Bauwelt 2.2017
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