Bauwelt

Entscheidungen sind schwierig

Am Staatsschauspiel Dresden wird (voraussichtlich) am 1. Mai noch einmal „Richtfest“ gegeben, ein Stück über das Geschick einer Baugruppe. Das Publikum folgt einem Höllenritt mit Kartoffelsalat.

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Die Beleuchtung verzaubert Jo Schramms biederes Bühnenbild in eine Szenerie ohne Zeit und Ort.
    Foto: Sebastian Hoppe

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    Die Beleuchtung verzaubert Jo Schramms biederes Bühnenbild in eine Szenerie ohne Zeit und Ort.

    Foto: Sebastian Hoppe

Entscheidungen sind schwierig

Am Staatsschauspiel Dresden wird (voraussichtlich) am 1. Mai noch einmal „Richtfest“ gegeben, ein Stück über das Geschick einer Baugruppe. Das Publikum folgt einem Höllenritt mit Kartoffelsalat.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Zum Höhepunkt schwenken die jungen Eltern eine riesige rote Fahne auf dem Gipfel aus Pappmaschee. Endlich ist der Knoten geplatzt. und alle Mitglieder der Baugemeinschaft Goethe 28 haben sich eingegrooved auf sozialistische Ideale: Eine Baugemeinschaft ist eine Wohngemeinschaft! Solidarität mit den Mittellosen, den Alten, den Kranken, den Schwachen! Aber Halt, am äußeren Rand der Bühne torkelt die Bourgeoisie, krallt Madame ihre Finger in den Arm von Mon­sieur, der wankelmütig den Schein wahren will und, ganz zaghaft, ebenfalls „Hei Hossa“ ruft.
Richtfest, ein Stück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, spielt auf der großen Bühne des Staatsschauspiels Dresden Szenen einer Baugemeinschaft. Die Inszenierung von Tom Küh­nel kommt als Partisanenkampf daher. Fünf Parteien nebst dem Architekten einer Baugruppe tragen Uniformen der roten Armee auf, sind je nach Stellung innerhalb der Gruppe dotiert, und tollen durch ein altmodisch anmutendes Bühnenbild aus Felsen à la Sächsische Schweiz.
Mila und Christian sind junge Akademiker, Berufsanfänger, Eltern eines kleinen und, wie sich im Verlauf herausstellt, eines noch ungeborenen Kindes; Holger und Brigitte Spießbürger, ihre Tochter Judith fühlt sich unsterblich angeödet von ihnen und ist ebenso unsterblich verknallt in Architekt Philipp. Der wiederum versucht sein Möglichstes, und das auf die unmöglichste Art, seine Ideen von Raum und Konzept anzupreisen. Am ehesten findet er Verständnis bei Ludger und Betty (den erwähnten, sich krallenden High-Society-Vertretern) sowie bei Frank und Micha­el, freischaffenden Musikern, Künstlern, die es endlich zu etwas gebracht haben und gern den Pulli über der Brust verknotet tragen – natürlich nur, wenn sie die Uniform ablegen. Zu Anfang mischt auch noch Charlotte, Kneipenwirtin a.D., mit. Nach einem Schlaganfall ist sie aber den Stimmungen der Mitstreiter stumm ausgeliefert und wird zum Symbol der Sprachlosigkeit in dieser düster-brillanten Farce von einem Gemeinschaftsprojekt.
Das hehre Ziel, sich zusammenzuschließen im Bauen, gründet bei den hier auftretenden Klischeefiguren auf so unterschiedlichen Motiven wie Einsamkeit, Geldknappheit und Profilierungswunsch, reicht von Pragmatismus hin zu Idealismus und führt, wie nicht anders zu erwarten, zur Explosion. Die Baugemeinschaft tritt in diesem Stück auf als ein Symptom des Wunsches nach Mittelstand, im Grunde auch nach Mittelmäßigkeit. Die verlotterte Alte sucht genau wie die weit über dem Boden der Tatsachen schwebenden Großverdiener Anschluss an „normale“ Menschen, nur eben aus der entgegengesetzten Richtung. Und wer sind überhaupt die­-se „Normalen“? Die, die Kartoffelsalat neben Antipasti, oder die, die Multivitaminsaft neben Crémant drapieren? Die Menschen, die auf dieser Bühne aufeinandertreffen, stellen Grundsatzfragen zum Wohnen und zum Leben – und können sie nicht beantworten. Sie haben den Wunsch, miteinander zu sprechen, sprechen allerdings noch im vermeintlichen Verständnis aneinander vorbei.
Die Dialoge sind schlagkräftig, witzig, und gleichzeitig treffen die Wortgefechte oft tief in die Magengrube. Jeder kämpft für sich allein – schlicht um seine Existenzberechtigung. Das Haus, das zu bauen Ziel der Gruppe war, löst sich auf in Glasflächen, freie Grundrisse, Ziegelvorsatzschalen – „Zu transparent!“ – und wird zum Albtraum des beinahe bemitleidenswert arroganten Architekten Philip. Die Koryphäe seines Fachs, die er zu beeindrucken sucht, wird am Ende den Flug verpassen und nie erscheinen. Würde das Ende des Stücks nicht vom Schlachtfeld zum Grillabend konvertieren, könnte man von bedingungsloser Kapitulation aller Kriegsparteien sprechen. Und vielleicht kann man das auch so.
Dem Theater gelingt etwas, woran das dargestellte architektonische Projekt scheitert: Es vereint unterschiedliche Gruppen. Im Saal versammeln sich an diesem Abend Zuschauer, die verschiedene Blicke auf das Thema mitbringen. Architekten, Bauherren, Mütter, Söhne, bestimmt auch Eingsame wie die alte Charlotte, und sie lachen miteinander und verkneifen sich das Lachen, fühlen mit oder rollen die Augen. Die Theatermacher nehmen ein für die Beteiligten bitterernstes Thema, die Existenz im Wohnen, und greifen es unterhaltsam gleichwohl nicht fahrlässig auf. Brausender Beifall belohnt die Leistung derer hinter den Kulissen wie auch des Ensembles, das das Gezeter mit augenscheinlicher Freude spielt.

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