Weil Kultur nicht an Staatsgrenzen haltmacht
Für 2018 haben die europäischen Institutionen das „European Cultural Heritage Year“ ausgerufen. Wie wichtig die grenzüberschreitende Kulturerbepflege ist, zeigt sich nicht zuletzt beiderseits der deutsch-polnischen Grenze
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Weil Kultur nicht an Staatsgrenzen haltmacht
Für 2018 haben die europäischen Institutionen das „European Cultural Heritage Year“ ausgerufen. Wie wichtig die grenzüberschreitende Kulturerbepflege ist, zeigt sich nicht zuletzt beiderseits der deutsch-polnischen Grenze
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Zgorzelec war früher die Vorstadt von Görlitz östlich der Neiße, bis die Lausitzer Neiße nach dem Zweiten Weltkrieg zur Grenze zu Polen wurde – und Zgorzelec eine polnische Kleinstadt mit heute ca. 32.000 Einwohnern. Obwohl Polen und die DDR „sozialistische Bruderländer“ waren, kehrten nach dem Krieg beide Teilstädte dem Grenzfluss den Rücken zu. Das änderte sich erst mit dem Beitritt Polens zur EU. 2004 wurde die Altstadtbrücke wiederhergestellt, und beide Flussufer sollten zu einem gemeinsamen Stadtraum entwickelt werden. Der Architekt Adam Cebula aus Zgorzelec konnte als Stadtarchitekt zusammen mit den Kollegen aus Görlitz ein Farbkonzept für die Renovierung der Häuser erarbeiten, das sich heute selbst dort bewährt, wo rekonstruierte Hausfassaden am polnischen Flussufer noch ungenutzte Neubauten verkleiden. Leider fiel die so sinnstiftende Arbeit schon vier Jahre später Einsparmaßnahmen zum Opfer. Gründerzeithäuser in Zgorzelec, die erst danach neu getüncht wurden, erstrahlen schon mal in schreiendem Pink oder Türkis, während das Rathaus, ebenfalls in einem Gründerzeithaus untergebracht, sich in stimmigem Hellgelb zeigt.
Die Kompetenz in Sachen Denkmalpflege, die Görlitz dank der millionenschweren „Görlitz-Stiftung“ erarbeiten konnte, bewährt sich über die Stiftungsdauer hinaus u.a. im Görlitzer Fortbildungszentrum für Handwerk und Denkmalpflege. Sie kommt derzeit auch polnischen Tischlern zugute, die an der denkmalgerechten Restaurierung des einzigen erhaltenen Barockhauses in Rathausnähe in Breslau/Wrocław arbeiten. Das „Oppenheim“-Haus gehörte einst der jüdischen Familie Oppenheim, die das im 13. Jahrhundert errichtete und Ende des 18. Jahrhunderts umgebaute Bürgerhaus am Salzmarkt, heute Plac Solny 4, 1810 erworben hatte. 1890 bis 1940 war dort eine Armenstiftung untergebracht. Die komplexe Geschichte des Hauses erforschte Lisa Höhenleitner in ihrer Masterarbeit an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder und bekam dafür den wissenschaftlichen Förderpreis des polnischen Botschafters. Die laufende Restaurierung wurde angestoßen (und weitgehend finanziert) von Viola Wojnowski, Berliner Unternehmerin in Sachen Einkaufszentren und Frau des Kunsthändlers und Sammlers Erich Marx. Sie hat das Haus gekauft und will es zu einem Begegnungszentrum für junge Künstler aus Berlin und Wrocław umwandeln. Träger des künftigen OP ENHEIM ist die Stiftung „Oppenheim Haus gemeinnützige SE“.
Grenzüberschreitende Kulturarbeit wie diese ist im vereinigten Europa Alltag, erweckt aber viel zu selten breites öffentliches Interesse. Viel zu lang habe Europa versäumt, über gemeinsame Kultur zu sprechen, beklagte Malgorzata Omilansoska, polnische Kulturministerin a.D. mit Lehrstuhl an der Universität Gdansk, bei der Auftaktveranstaltung zur 48. Jahrestagung des Deutschen Nationalkomitees Denkmalschutz (DNK) in Görlitz. Markus Harzenetter, Landeskonservator in Hessen und derzeit Vorsitzender der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, verwies eindrücklich darauf, dass bildende Kunst und Baukultur nie an Staatsgrenzen haltgemacht und immer Impulse von außen empfangen und nach außen gegeben habe. Ein gutes Beispiel dafür ist eben die Stadt Breslau, in der, einer Redensart zufolge, die Steine mal deutsch, mal polnisch sprechen. Oder, ganz anders gelagert: Qingdao in China, gegründet als deutscher Stützpunkt Tsingtau, dessen deutsch geprägte Altstadt längst von den Chinesen als ihr kulturelles Erbe gehütet wird, wie der deutsche Architekt Sebastian Störz, der Qingdao berät, auf der stärker denn je auch von jungen Leuten besuchten internationalen Denkmalmesse in Leipzig berichtete. Solche Beispiele sind allerdings kaum bekannt, eine stärkere Vernetzung von Kenntnissen und der Austausch von Standpunkten, Praktiken und Fragestellungen würde allen helfen.
Über vierzig Jahre nach dem „Europäischen Denkmalschutzjahr“ 1975 ist es an der Zeit, die gemeinsamen kulturellen Werte stärker als bisher ins Bewusstsein zu rücken und sie vor allem auch an die junge Generation weiterzugeben. „Wer erbt das kulturelle Erbe?“ lautet die zentrale Frage und die daraus resultierende Aufgabe. Der europäische Impuls 1975 und das damals geweckte öffentliche Interesse machten die Denkmalschutzgesetze in den meisten Bundesländern erst möglich. Daran wollen die europäischen Institutionen jetzt anknüpfen: Sie haben nach mehrjähriger Vorarbeit das „European Cultural Heritage Year 2018“ ausgerufen, kurz ECHY. Anders als damals ist nicht Denkmalpflege im engeren Sinne das Ziel, sondern das Inwertsetzen des breiten, insbesondere baulichen und archäologischen kulturellen Erbes unter Ausnutzung neuer, digitaler Technologien. Federführend wirkt in Deutschland das DNK. Die Bundesregierung hat im Dezember 2016 ein Förderbudget von 3,5 Mio. Euro bereitgestellt für Projekte unter fünf Leitthemen, darunter „Grenz- und Begegnungsräume“, „die Europäische Stadt“ und „Europa: Gelebtes Erbe“.
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