Fehlstellen
Das saai in Karlsruhe macht sich auf die Suche nach weiblichen Perspektiven im eigenen Archiv. Aktuell befinden sich nur sechs Frauen unter den 248 Personen, zu oder von denen Objekte vorliegen. Unsere Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am saai.
Text: Ebert, Mechthild
Fehlstellen
Das saai in Karlsruhe macht sich auf die Suche nach weiblichen Perspektiven im eigenen Archiv. Aktuell befinden sich nur sechs Frauen unter den 248 Personen, zu oder von denen Objekte vorliegen. Unsere Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am saai.
Text: Ebert, Mechthild
Das saai Archiv für Architektur und Ingenieurbau am KIT in Karlsruhe zählt zu den umfassendsten Architekturarchiven Deutschlands. Die Sammlung baut auf einem alten, vermutlich zu Lehrzwecken dienenden Bestand der Architekturabteilung des Karlsruher Polytechnikums – heute KIT – auf und wurde in den 1970er Jahren durch Schenkungen bedeutender Nachlässe erweitert. Als die Landesregierung Baden-Württemberg 1989 die Gründung des saai (Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau) beschloss, legte sie folgende zentrale Aufgaben fest: „Nachlässe und sonstiges erreichbares Material bedeutender Architekten und Bauingenieure, die einen Bezug zur Baugeschichte in Baden-Württemberg haben, zu erwerben und archivieren; dieses Material wissenschaftlich auszuwerten und der Benutzung zur Verfügung zu stellen [...]“.1 Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert; die Bestände reichen jeodch bis ins 18. Jahrhundert zurück. Neben personenbezogenen Beständen befinden sich im Archiv auch thematische Sammlungen, wie eine Kinder- und Jugendbuchsammlung.
Erweitert wird das Archiv kontinuierlich durch Schenkungen von Vor- und Nachlässen, wobei sowohl angefragte als auch angebotene Bestände nach Prüfung durch das saai übernommen werden. Das Material kommt dabei in unterschiedlichen Zuständen und Umfängen ins Archiv: manche Sammlungen sind organisiert und vorkatalogisiert, andere kommen unsortiert in Umzugskartons, einige werden in sehr kurzfristigen Aktionen übernommen und andere nach langer Vorbereitungszeit für alle Beteiligten.
Das Archiv wird nicht nur durch die Sammlung, sondern auch durch die Sammler geformt, sie bilden unterschiedliche Positionen ab und sind nicht objektiv. Die selektive Wahrnehmung der Menschen – Architektinnen, Erben, Büropartner, Stiftungen, Forscherinnen – von denen das Archiv Bestände erhält, nehmen Einfluss. So sind immer wieder Bestände vorsortiert, Dokumente werden bewusst zurückgehalten oder aus der Not heraus entsorgt.
Was sich bei der Betrachtung der Bestände im saai aufdrängt ist die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit. So befanden sich 2024 nur sechs Frauen unter den 248 auf der Webseite2 genannten Personen, zu oder von denen Objekte vorliegen. Ein kurzer Blick in Richtung anderer Architekturarchive und -sammlungen3 zeigt, dass das saai keine Ausnahme ist.
Die sechs Frauen im saaai waren im 20. Jahrhundert in Deutschland als Architektinnen tätig. Für zwei von ihnen wird nur eine untergeordnete Rolle vermittelt. Von Marlene und Hans Poelzig liegen ein Armlehnstuhl und ein Nachttisch vor, die für das Haus Poelzig in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung entworfen wurden. Die Miturheberschaft Marlene Poelzigs wird im Bestandsverzeichnis zu Hans Poelzig vermutet.4
Die Karlsruher Architektin Maria Verena Gieselmann war nach ihrem Diplom 1950 zunächst angestellt und selbstständig tätig. Nach ihrer Heirat mit Reinhard Gieselmann 1957 ordnete sie ihre Interessen denen ihres Mannes unter, kümmerte sich um die zwei Kinder und war Mitarbeiterin in seinem Architekturbüro.5 Ihr Bestand umfasst ausschließlich Unterlagen zu einer Stipendienreise in die USA in den 1950er Jahren. Durchsucht man hingegen den Bestand ihres Vaters Alfred Fischer – ebenfalls Architekt und am saai vertreten – taucht ihr Name vereinzelt auf: auf den Rückseiten von Fotografien gemeinsamer Projekte, in einem Fotoalbum, welches
er von ihr zu seinem 75. Geburtstag erhielt oder unmittelbar im Findbuch des Bestandes.6
er von ihr zu seinem 75. Geburtstag erhielt oder unmittelbar im Findbuch des Bestandes.6
Als gleichberechtigte Partnerinnen führten Johanna Meffert und Ingrid Goetz gemeinsam mit ihren Ehemännern Architekturbüros. Erstere war während des Kriegseinsatzes und der anschließenden Gefangenschaft ihres Mannes Martin Meffert von 1943–49 eigenständig für die Leitung verantwortlich. Goetz führte nach dem Tod ihres Ehemannes Karlheinz Goetz neben der Erziehung ihrer Kinder ihr eigenes Architekturbüro und war später Professorin an der TU Berlin.
Eigenständige Nachlässe bilden die von Hilde Axster-Trappmann und Herta-Maria Witzemann. Über ihr gesamtes Berufsleben war Axster-Trappmann in unterschiedlichen internationalen Büros angestellt oder arbeitete als freie Architektin in verschiedenen Konstellationen. Witzemann studierte in Wien und München und war im Anschluss im Atelier von Oswald Haerdtl, bevor sie nach Stuttgart ging und dort angestellt oder als Partnerin in unterschiedlichen Bürogemeinschaften als Innenarchitektin tätig war. Außerdem war sie Professorin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und Präsidentin des Bundes Deutscher Innenarchitekten.
Zusammenfassend sind die Bestände sehr divers und scheinen in Teilen eine andere Textur – hinsichtlich des inneren Aufbaus und Zusammenhangs – aufzuweisen. Einige Biografien erschließen sich erst über Sekundärquellen und Cross-Readings. So ist auch nicht auszuschließen, dass noch mehr Frauen anderen Beständen zugeordnet sind.
Auf der Suche nach Gründen für den geringen Frauenanteil im saai ist zuerst festzustellen, dass Frauen erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland zum Architekturstudium zugelassen wurden. Die jüngsten im Archiv vertretenen Architekten und Architektinnen machten ihren Abschluss in der 1970er Jahren. Im Sommersemester 1975 lag der Anteil weiblicher Studierender bei knapp 22 Prozent,7 im Wintersemester 2023/ 2024 bei 58 Prozent.8 Nun bilden die Bestände im Archiv logischerweise einen Zustand ab, der in der Vergangenheit liegt, aber auch hier stimmt der Anteil nicht mit dem der weiblichen Studierenden überein.
Weiter ist zu beachten, dass Frauen in der BRD erst ab 1958 ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten durften, „[…] soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar […]“9 war. Somit lässt sich nicht erwarten, dass Frauen die gleichen Karrieren machen konnten und ihre Nachlässe denen von Architekten der Nachkriegszeit in allen Belangen gleichen.
Der verschwindende Anteil an Beständen von Frauen wird von weiteren Faktoren beeinflusst. So fasst Karin Hartmann in ihrem Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“ aus dem Jahr 2022 zusammen, wie Frauen und andere marginalisierte Gruppen in der Architektur Diskriminierung erfahren, durch bestimmte Narrative ausgeschlossen und strukturell benachteiligt werden. Dabei zeigt sie nicht nur aktuelle Probleme im Berufsleben wie die Teilzeitfalle, sondern auch die Wahrnehmung weiblicher Figuren in der Architekturgeschichte auf.
Darüber hinaus kann man sich fragen: Welche Rolle spielen die Personen, die das Archiv leiten oder pflegen beim Aufbau der Sammlung und bei der Bearbeitung und Organisation der Archivalien? Haben sich die bestehenden Strukturen eines hauptsächlich von Männern geprägten Umfelds – einer deutschen Technischen Universität – und eines hauptsächlich von Männern geführten Archivs übertragen?
Archive können aktiv werden und diesen Fehlstellen auf unterschiedliche Art und Weise begegnen. Festzuhalten ist, dass sich die bestehenden Lücken nicht schließen oder rein statistisch betrachtet aufholen lassen. Sie können allerdings beforscht und sichtbar gemacht werden.10
Ein Beispiel dafür ist die aktive Unterstützung von Forschung: Die Ausstellung „M*1:1 * Verborgene Ansichten und weibliche Perspektiven in der Architektur“ und das ihr vorausgegangene Forschungsprojekt sind nicht nur für den Wissenstransfer und die Sichtbarkeit von Architektinnenbiografien – vier der Architektinnen aus dem saai wurden im Rahmen des Projekts vorgestellt – von großer Bedeutung, sondern auch für die Reflexion von Prozessen und Praktiken im Archiv und für eine Diversifizierung der Perspektiven.11 Als Konsequenz der Ausstellung hat das saai ein Modell des Projekts Forum Eckenberg Gymnasium von Dea Ecker (Ecker Architekten), einer der vertretenen Architektinnen, übernommen.
Alternative Formate, wie thematische Schwerpunkte und Cross-Readings könnten zukünftig zur Diversifizierung des Archivs beitragen, zum Beispiel durch eine Priorisierung von Frauen und marginalisierten Gruppen bei Bestandsübernahmen, unterstützt durch die aktive Recherche zu Vorlässen, Oral Histories zu den bestehendenLücken und der Suche nach noch existenten Nachlässen. Potential könnte auch die Erweiterung der in den Metadaten aufgeführten Personengruppen durch die Einbeziehung von Angestellten, die neben der „Strahlkraft“ ihrer berühmten Chefs bisher oft unerwähnt bleiben, haben. Im Ansatz bereits durch die Benennung von Autoren und Autorinnen (Plänen, Fotos etc.) im Rahmen des Digitalen Katalogs von Egon Eiermann12 getestet. Eine weitere Möglichkeit könnte die Auseinandersetzung mit dem Archiv als Ort des Wissens auf einer Metaebene und die Reflektion der eigenen Entstehungsgeschichte darstellen. Die aufgezeigten Methoden können einen Weg für eine bessere Sichtbarkeit von Fehlstellen aufzeigen und darüber hinaus zu einem besseren Verständnis des Archivs und Archivierens in seiner Komplexität beitragen.
1 Der vom Verwaltungsrat der Universität Karlsruhe gemäß § 28 Abs. 5 UG 1989 beschlossenen Ordnung wurde vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg durch Erlass 29. Januar 1990, Az.: I-515.4/11, zugestimmt.
2 Auf der Webseite des saai wird der „Bestand“ in „Personen“, „Themen“ und „Büros“ unterschieden. Zwischen Personen und Büros bestehen Überschneidungen in dem Sinne, dass Partner*innen teilweise auch als Einzelpersonen aufgeführt sind. Thematische Bestände sind solche, die beispielsweise die Lehre, ein bestimmtes Bauwerk oder eine geschlossene Sammlung betreffen.
3 Archive wie das gta, das CCA oder auch das Az W haben einen signifikant kleineren Anteil an Frauen als Männern unter ihren Beständen.
4 https://www.saai.kit.edu/downloads/bestand_poelzig_hans.pdf aberufen am 01.12.2024
5 Vgl. Kerstin Renz, „’Ideas that may be of benefit to your own country.’ Two German women architects and the American Cultural Exchange Program during the early post-war years” in Women Architects and Politics. Intersections between Gender, Power Structures and Architecture in the Long 20th Century, Mary Pepchinski, Christina Budde (Hrsg.), Bielefeld: transcript Verlag, 2022, S.109-126, S.120f.
6 Vgl. Mechthild Ebert, Anna-Maria Meister, „The Powers of Metadata: Stories of Archival Knowledge Constructions”, in Architecture Archies of the Future Tenth Annual Conference November 2023, Jaap Bakema Study Center, Rotterdam, 2023
7 https://bak.de/wp-content/uploads/2024/11/Studierende_Architektur_bisWS2023_2024.pdf, abgerufen am 30.11.2024
8 Ebenda
9 Bundesgesetzblatt Teil 1 Ausgegeben zu Bonn am 21. Juni 1957 Nr. 26, S. 609
10 Das Forschungsprojekt „Architektur-Pionierinnen in Wien“ hat sich der Sichtbarkeit von Absolventinnen der Wiener Architekturausbildungsstätten verpflichtet.
11 Im Forschungsprojekt Gender Equity 1 des KIT wurde die Situation von Frauen an der Architekturfakultät in Karlsruhe untersucht und Ursachen für die Diskrepanz zwischen weiblichen Studierendenzahlen und der Repräsentation dieser in den Führungsebenen nachgegangen.
12 http://eiermann.saai.kit.edu abgerufen am 1.12.2024
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