Fröhliche Anarchie
Von Plug-In City bis Hidden City: Das Berliner Museum für Architekturzeichnung richtet Peter Cook zum 80. Geburtstag eine bunte Retrospektive aus
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Fröhliche Anarchie
Von Plug-In City bis Hidden City: Das Berliner Museum für Architekturzeichnung richtet Peter Cook zum 80. Geburtstag eine bunte Retrospektive aus
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Die 60er Jahre waren die hohe Zeit des Technik-Optimismus. Alles schien machbar. Warum nicht auch Städte, die man nur einstöpseln muss, oder solche, die wandern? Wie jede Strömung erzeugte auch der bierernste „Alles ist machbar“-Wahn sein Gegenstück einer fröhlichen Anarchie. Dafür stand Archigram, die britische Gruppe, deren Name sich aus „Architecture“ und „telegram“ zusammensetzt. Archigram war zugleich der programmatische Titel der Zeitschrift, die die Gruppe herausgab: Sie enthielt weniger Texte als vielmehr Collagen, Comics und Zeichnungen – und garantiert nichts, was die Bauindustrie mal eben verwerten konnte.
Peter Cook war Mitbegründer der Gruppe. Kürzlich feierte er seinen 80. Geburtstag. Das Berliner Museum für Architekturzeichnung hat ihm eine Retrospektive eingerichtet. Und wie es sich für das gewichtige Wort „Retrospektive“ gehört, reichen die ausgestellten Zeichnungen und Druckgrafiken von 1968 bis in die Gegenwart. Denn Peter Cook denkt nicht ans Aufhören. Beim Rundgang durch die Ausstellung zeigt er sich so springlebendig, als ob die Swinging Sixties nie vergangen wären.
Archigram glaubte an die Technik ungefähr so wie die Beatles an ihr Yellow Submarine. Und wie der Beatles-Animationsfilm, gezeichnet von Heinz Edelmann, mit den visuellen Möglichkeiten von sinnfrei eingesetzten Formen und Farben spielt, so spielt Peter Cook mit der Urkraft der Natur. Bei ihm wuchert es andauernd, wuchern Häuser und ganze Städte zu. Aber was auf den wunderbaren, psychedelisch mehr als angehauchten farbigen Zeichnungen geschieht, ist kein Naturwachstum, sondern die gezielt anarchische Ausbreitung von Farbe in Flächen und Schlieren und Mustern. Bisweilen geht es auch ganz regelmäßig zu, wie auf dem Blatt Solar City, wo die Haus-Solarzellen-Maschinenobjekte, oder wie immer man sie bezeichnen will, in Reih und Glied stramm stehen wie die Bauwerke auf einem futuristischen Blatt von Antonio Sant’Elia.
Kaktus, übernehmen Sie!
Vor 34 Jahren hatte Cook schon einmal eine Ausstellung in Berlin, bei Aedes noch in Charlottenburg unter der S-Bahn. Zu Berlin hat er eine nostalgische Beziehung. Im wunderschön gestalteten Katalog der aktuellen Schau erinnert er sich seines Erstbesuchs 1971, als er, damals 35 Jahre alt, mit Künstlern der britischen Pop-Art zusammentraf. Etwa mit Eduardo Paolozzi, dessen Wandbild an einer riesigen Brandmauer im West-Berliner Zentrum, an der Ecke Kurfürsten-/Budapester Straße, längst Geschichte ist und, wenn die Erinnerung nicht täuscht, den Stadtvisionen von Archigram verblüffend ähnlich sah.
Im Blatt Way Out West: Berlin hat Cook die Erinnerung an den Kurfürstendamm, den Halensee (der am westlichen Ende des Kurfürstendamms liegt) und die wiederum dahinter liegenden, seinerzeit verwahrlosten Gleisanlagen der Reichsbahn zu einem Potpourri verschmolzen. „Man vermische alle diese Eindrücke“, schreibt er, „und leihe sich von dem anderen Westen – Arizona – den Kaktus, dann lasse man diesen Kaktus die Kontrolle über das Berliner Potpourri übernehmen.“ Das betreffende Blatt, Tusche auf Transparentpapier, ist mit 100 mal 50 Zentimetern eines der größeren der Ausstellung, übertroffen vom Entwurf der „Medina Circle Towers“, die als Trias einen Platz in Tel Aviv hätten umstellen sollen.
Hätten. Peter Cook hat naturgemäß wenig bauen können. Er hat es mit jahrzehntelanger Lehrtätigkeit kompensiert und ist auf diese Weise mindestens so einflussreich geworden wie bauende Kollegen. Doch, ein Projekt in der Berliner Ausstellung wurde umgesetzt, der Geschosswohnungsbau im Madrider Stadtteil Vallecas, auf hohe Stelzen gestellt, so dass auf der frei gebliebenen Grundfläche Kioske Platz finden. Die Fensterläden, die auf dem schönen Blatt lustig herumschwingen, was sie in windiger Wirklichkeit besser nicht täten – die wurden gar nicht erst angebracht. Geldmangel. Das alte Lied. Aber Peter Cook, geboren 1936 in Southend-on-Sea und seit Studententagen in London zu Hause, hat sich davon seinen fröhlichen Optimismus nicht verderben lassen.
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