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Alte und neue Erfolgsgeschichten

Text: Lindner, Walter J.

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Baumwollherstellung war einst ein wichtiger Wirtschaftszweig in Mumbai. Die meisten der inzwischen stillgelegten Fabriken sind längst mit Büro- und Wohntürmen überbaut. Im Fall von Rechtsstreitigkeiten, wie hier im Stadtteil Parel, kann sich eine Entwicklung jedoch lange hinziehen.
Foto: Sergey Ponomarev

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Baumwollherstellung war einst ein wichtiger Wirtschaftszweig in Mumbai. Die meisten der inzwischen stillgelegten Fabriken sind längst mit Büro- und Wohntürmen überbaut. Im Fall von Rechtsstreitigkeiten, wie hier im Stadtteil Parel, kann sich eine Entwicklung jedoch lange hinziehen.

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Alte und neue Erfolgsgeschichten

Text: Lindner, Walter J.

Tee ist eines der Produkte, die wir heutzutage intensiv mit Indien verbinden, Deutschland bezieht den größten Teil seines Tees von hier. Einige der feinsten Sorten – Assam und Darjeeling beispielsweise – werden in Indien gepflückt und verarbeitet. Auch sie sind ein Relikt der Kolonialzeit. Das Land des mittlerweile so beliebten Chai hatte vor den Briten keine ausgeprägte Teekultur. Chinesischer Tee gelangte durch europäische Handelsorganisationen spät ins Land, wurde dann zuerst als medizinisches Getränk bei Magen- und Verdauungsbeschwerden getrunken, aber schließlich ein wichtiges Produkt für den europäischen Markt.
Deutschlands Teeimport ist denn auch eine Facette der sich intensivierenden Wirtschaftsbeziehungen mit Indien. Das Land hat bereits Frankreich und seine ehemalige Kolonialmacht Großbritannien überholt und ist nun fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt – direkt hinter Deutschland. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien hinkt zwar noch weit hinter dem von China hinterher, holt aber beständig auf. 20 Prozent Zuwachs allein im Jahr 2023 – damit ist Indien auf Rang 10 der wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Wir exportieren Maschinen, Elektronik, Autos, Konsumartikel und Infrastruktur, andersherum umfassen die Importe aus Indien Rohstoffe, Vorprodukte und Konsumgüter. Was es jetzt noch bräuchte, so höre ich es als Botschafter bei meinen Besuchen in den deutschen Firmenzentralen in Indien, ist ein Inves-titionsschutz- und Freihandelsabkommen mit der EU. Auch die scheidende Präsidentin des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien (GIGA), Amrita Narlikar, betonte im Sommer 2023: Nie sei die Vertiefung der Beziehungen zwischen Indien und der EU so dringlich wie gegenwärtig gewesen. Immerhin wurden 2022 die seit 2012 unterbrochenen Verhandlungen über das Abkommen wieder aufgenommen, ein Durchbruch steht aber nach wie vor aus. Beide Seiten haben hohe Hürden und Hemmnisse aufgebaut. Für so manche auf indischer Seite war auch ein überheblicher und belehrender Unterton der Verhandlungsführer der EU-Kommission nicht hilfreich.
Als ich im Februar 2020 beim BMW-Werk 40 Kilometer südlich von Chennai zu Besuch bin, lasse ich mir Indiens Bedeutung auch für deutsche Unternehmen plastisch vorführen, an modernen Förderbändern mit Produktionsrobotern in der voll automatisierten Spritzanlage. Dass sich deutsche Automobilfirmen in Indien engagieren, hat auch mit einer positiven Prognose des Inlandsmarktes zu tun. Trotz der nach wie vor extremen Unterschiede zwischen Arm und Reich ist insgesamt unübersehbar, dass Indien wohlhabender wird. Die Mittelschicht – also jene, die über Geld verfügen, das sie nicht für unmittelbar Überlebensnotwendiges brauchen – wächst. Dabei profitiert das Land zusätzlich von einer demografischen Dividende. Denn während viele westliche Industriestaaten an Überalterung leiden, wird die junge Bevölkerung Indiens gebildeter, kon-sumfreudiger und kaufkräftiger.
Deshalb: So wie man es im Technologiezentrum Mahindra World City nahe Chennai erlebt, kann man es an immer mehr indischen Standorten wahrnehmen. Das Land verfügt über eine der höchsten Wirtschaftswachstumsraten der Welt: 6,8 Prozent sollen es 2024 sein. Zum Vergleich: Für Deutschland ist Stagnation oder – so die pessimistischeren Annahmen – sogar Rezession vorausgesagt. Und auch im Rest der Welt stockt die Konjunktur. Kein Wunder, dass immer wieder die Rede ist von der indischen »Lokomotive der Weltwirtschaft« – oder, wie es die Hindustan Times am 12. Oktober 2023 ausdrückt: »India is sprinting when the world is limping.« Damit ist in der Welt der Globalisierung, Vernetzung, der Handelsverträge und Lieferketten die weltweite Interdependenz gemeint, in der eine gro-ße Wirtschaftsnation durchaus das Wachstum anderer Nationen mitziehen kann. Wenn in Indien etwa der Aufschwung die Nachfrage nach deutschen Automarken erhöht, dann kommt das auch uns zugute. Und wenn Indien attraktive Angebote an Rohstoffen, Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen für den Außenhandel macht, dann kurbelt das den Verbrauch weltweit an.
Kein Zweifel: Dass Indien diesen Weg so offensiv beschreitet, ist nicht zuletzt auch der Wirtschaftspolitik unter Premier Modi zu verdanken. Dass sie wirtschaftsliberal orientiert ist, hat die Regierung insbesondere in der ersten Amtszeit von 2014 bis 2019 durch eine Reihe von grundlegenden – teils riskanten, doch erfolgreichen – Wirtschaftsreformen gezeigt. Diese ökonomischen Reformen bewirkten eine Öffnung des indischen Marktes und haben zu einer freieren Wirtschaftsphilosophie geführt. Ermutigt von den Erfolgen in der ersten Legislatur setzte Modi diesen Wirtschaftskurs des ökonomischen Aufschwungs auch in der zweiten Amtszeit fort. (Anmerkung der Redaktion: Im Juni 2024 hat inzwischen Modis dritte Amtszeit begonnen.) Der Ansatz hat – im Gegensatz beispielsweise zur chinesischen Wirtschaft – auch die Pandemie relativ gut überstanden. Es gibt viele unternehmerische Anreize, massive Staatsinvestitionen in Infrastruktur, Umwelt und Energiewende sowie Flexibilisierungen des Arbeitsmarktes. Letztere werden allerdings von der Opposition und einer Reihe von Gewerkschaften als zu weit gehend kritisiert.
Es zeigen sich aber auch investitionshemmende Faktoren: Viel zu langsam wird die Bürokratie abgebaut, nach wie vor grassiert die Korruption, und Indien verhält sich protektionistisch. In Indien selbst gibt es Kritiker, die einwenden, dass Indien in seinem Aufschwung immer noch auf einem niedrigen Niveau stehe und seine innen-, umwelt- und sozialpolitischen Hausaufgaben schneller machen müsse, um nicht zu einem rigiden kapitalistischen System zu werden, in dem schützende Barrieren fehlen.

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