Bauwelt

Geballte Stadtkritik

Das Berliner Werkbundarchiv – Museum der Dinge feiert Ortswechsel und Jubiläum

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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    Ausstellungsansichten. Vorne im Bild ein Modell des Brückenhauses am Kottbusser Tor in Berlin.
    Foto: JF/Werkbundarchiv – Museum der Dinge

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    Ausstellungsansichten. Vorne im Bild ein Modell des Brückenhauses am Kottbusser Tor in Berlin.

    Foto: JF/Werkbundarchiv – Museum der Dinge

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    Foto: JF/Werkbundarchiv – Museum der Dinge

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    Karton des Gesellschaftsspiels „provopoli – Wem gehört die Stadt?“, 1972. Der Name ist eine Verballhornung des Spiels Monopoly, Hersteller: Horatio-Verlag.
    Foto: Sammlung Werkbundarchiv –Museum der Dinge/Armin Herrmann

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    Karton des Gesellschaftsspiels „provopoli – Wem gehört die Stadt?“, 1972. Der Name ist eine Verballhornung des Spiels Monopoly, Hersteller: Horatio-Verlag.

    Foto: Sammlung Werkbundarchiv –Museum der Dinge/Armin Herrmann

Geballte Stadtkritik

Das Berliner Werkbundarchiv – Museum der Dinge feiert Ortswechsel und Jubiläum

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Bei nicht wenigen Architekten und Planerinnen der älteren Generation dürfte er noch knallig gelb-schwarz aus den Bücherregalen leuchten: PROFITOPOLIS, der Katalog zur legendären Ausstellung, die im Winter 1971/72 im Münchner Museum für angewandte Kunst „den miserablen Zustand unserer Städte“ anprangerte und forderte, „diesen Zustand zu ändern, damit der Mensch wieder menschenwürdig in seiner Stadt leben kann“. Mit vollen Breitseiten ging es gegen Bodenspekulation, soziale Segregation, mono­tonen Großsiedlungsbau und autofixierte Verkehrsplanung. Die große Collage aus Texten und Fotos wanderte anschließend durch 140 Städte des In- und Auslandes, die Bauwelt rühmte sie als die „erfolgreichste Ausstellung zum Bau, die es je in der BRD gegeben hat“ – was Wunder, gehörte doch Chefredakteur Ulrich Conrads zu den am ausgiebigsten zitierten Experten auf den 63 Ausstellungstafeln.
Josef Lehmbrock und Wend Fischer, die beiden Autoren der polemischen Schau, waren Mitglieder des Werkbunds und befeuerten mit ihrer Initiative jene Debatte, in deren Verlauf Julius Posener als amtierender Vorsitzender die einflussreiche Kulturvereinigung auch zu Agitation und Opposition ermunterte, sollte eine Gesellschaft anders nicht zu vernünftiger Lebensweise zu bewegen sein. In dieser aufmüpfigen Tradition will sich das 1973 in Berlin-Kreuzberg gegrün­dete „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“ ausdrücklich verorten, weshalb es sein fünfzigjäh­riges Jubiläum, vor allem aber seinen Umzug nach Berlin-Mitte mit einer Rückschau auf jenes frühe Fanal geballter Stadtkritik feiert. Schließlich war ja auch der Ortswechsel des Archivs keineswegs freiwillig, sondern von der knallharten Gentrifizierung in Kreuzbergs Hinterhöfen erzwungen. Genau ein Jahr blieb den Museumsleuten vom Rausschmiss aus ihrer Fabriketage, um eine neue Adresse zu finden, diese herzurichten und mit Sack und Pack buchstäblich die Seiten zu wechseln: Vom wuseligen alten Westen in den smarten neuen Osten. Aus der proletarischen Gründerzeit in die auftrumpfende DDR-Moderne. Vom Randale-trächtigen Kottbusser Tor an den Business-Hotspot Spittelmarkt, wo ein ehemaliges Kinderkaufhaus unter kommunaler Obhut glücklicherweise leer stand.
Aus diesem Umzugsweg von nur zwei Kilometern zieht die jetzige Ausstellung ihre grandiose Dramaturgie: Mitten durch den relativ schmalen Ausstellungsraum erstreckt sich eine schnurgerade Stellage, auf der zwischen zwei staunenswerten Großmodellen – am Anfang das hassgeliebte Brückenhaus am Kottbusser Tor, am Ende ein 25-Geschosser von der Leipziger Straße – die zentralen Kritikpunkte der berühmten 70er-Jahre-Ausstellung noch einmal aufgerufen werden, nun aber mit Material, Argumenten und Frontverläufen von heute. Fotos, Pläne und teils skurrile Fundstücke aus den Museumsbeständen (nebst einiger Leihgeber) werfen Schlaglichter auf Themen wie bezahlbarer Wohnraum, Immobilienspekulation, Bodenfrage und Gemeinnützigkeit, Neubau versus Substanzerhalt, Streit um motorisierten Verkehr. Es spricht nicht für Lernbereitschaft und Wandlungswille in den hierzulande vorherrschenden Stadtdebatten, dass von den einst skandalisierten Konflikten fünfzig Jahre später kein einziger als gelöst abzuhaken ist. Klimastress und eine zunehmend gefährdete Stadtnatur sind als neue Problemzonen sogar noch hinzugekommen.
An der begleitenden Längswand wird anhand markanter Ereignisse und einprägsamer Design-Ikonen die offizielle Geschichte des Deutschen Werkbunds im Schnelldurchlauf miterzählt.Überraschend werden dabei verwandte Diskurse in der DDR mit erwähnt, etwa zu Funktionalismus oder Altbausanierung. Nach dem Fall der Mauer bricht der Zeitstrahl dann um die Jahrtausendwende ab, beim zähen Streit um eine „Berlinische Architektur“. Auf dem letzten Blatt prangt das rabiat antimoderne „Planwerk Innenstadt“. Man darf also die im Mitteltableau aufgehäuften Zeugnisse für Widerspruch und Andersdenken durchaus als kritischen Kommentar zur systemfrommen Agenda zumindest der hauptstädtischen Werkbundler lesen. Das „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“ fühlt sich Julius Poseners Aufruf zu wachem politischem Gewissen eben nach wie vor verpflichtet.

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