Bauwelt

Gebaute Protestformen

Der Künstler Oscar Tuazon in der Kunsthalle Bielefeld

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Installationsansicht der in der Ausstellung auf ein Drittel ihrer Originalgröße verkleinerten „Water Schools“
Fotos: Philipp Ottendörfer

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Installationsansicht der in der Ausstellung auf ein Drittel ihrer Originalgröße verkleinerten „Water Schools“

Fotos: Philipp Ottendörfer


Gebaute Protestformen

Der Künstler Oscar Tuazon in der Kunsthalle Bielefeld

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Die Drop City und ihre „Hand-built Houses“: Damit begann um 1960 eine Reihe von Aussteigerprojekten im Südwesten der USA. Künstler und Künstlerinnen erprobten alternative Formen des Zusammenlebens, aber auch neue Bauformen, oft mit vorgefundenem Material oder Ausgemustertem. Ihr Markenzeichen wurden Rundkuppelbauten: Domes, oder, in einer addierten Variante, Zomes. Diese geodätischen Kuppeln waren zwar ein starkes Sinnbild der Gemeinschaftsambi­tionen, aber explizit keine formale Attitüde. Vielmehr waren sie kluge statische Minimalkons­truktionen und nutzten die auch im militärischen Bauen erprobte Stabilität zweiachsig gekrümmter, leichter Stab- oder Flächentragwerke.
Die anregende Kraft solcher Lebens- und Baugemeinschaften kann offensichtlich auch in die Gene einer nachfolgenden Generation überfließen. Bestes Beispiel: der Künstler Oscar Tuazon aus Los Angeles. 1975 geboren, hat er prägende Kindheitserfahrungen in einem Kuppelbau erlebt. Fotos dieser mittlerweile runtergekommenen Experimentalbehausung bilden derzeit die stille Referenzgröße in einer Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld, die einen Auszug der mul­tiplen Praxis Tuazons aus Bauen, Minimal Art und politischem Aktivismus zeigt.
Als dritter Teil eines gemeinsamen Vorhabens mit der Bergen Kunsthall und dem Kunstmu­seum Winterthur soll der Blick auf grundlegende gesellschaftliche wie materielle Belange ge­richtet werden. Seit langen Jahren die erste Einzelausstellung Tuazons in Deutschland, ist der Künstler hier dennoch nie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Für die letzte Ausgabe der Skulptur Projekte in Münster schuf er 2017 eine kreisrunde Feuerstätte als Treffpunkt im Niemandsland des Stadthafens. So „monumentalisierte“ er, in seinen Worten, das für ihn neuartige, hierzulande omnipräsente sommer­liche Grillen im öffentlichen Raum. Unter dem auffordernden Titel „Burn the Formwork“ lieferte Tuazon auch gleich das initiale Brennmaterial mit: die Schalung der Betonplastik. Schnell war die örtliche Sprayerszene zur Stelle, ihre handfeste Inbesitznahme aber durchaus im Sinne des Künstlers. Ebenso die Vergänglichkeit, hatte diese Stätte doch über kurz oder lang einer Überplanung des Areals zu weichen.
Prozesshaftes, Raues, Provisorisches, die verständliche, zur Interaktion animierende Form – das sind die Kernqualitäten der Arbeiten Tuazons. Am überzeugendsten kommen sie in neueren Projekten zum Tragen. Dann, wenn sie die engen Konventionen der Kunst verlassen, mehr zu bieten haben als architektonische Skulpturen – und seien diese auch noch so eindrucksvoll wie sein „Building“, ein Langhaus als typischer Two-by-four-Holzbau im Maßstab 1:2.
Da ist etwa Tuazons Serie der „Water Schools“, mit zwei Exemplaren in Bielefeld vertreten, die je auf ein Drittel der Originalgröße verkleinert und aus Karton statt stabilem Sperrholz gefertigt sind. Diese Pavillons in polygonaler und variabler Zellenstruktur dienen als pädagogische Zentren, anwachsende Themenbibliotheken und Versammlungsstätten, selbst in ihrer musealen Modellversion. Sie wollen vermitteln, welch lebenswichtiges und wertvolles Gut das Wasser darstellt, dass es der Allgemeinheit gehört und nicht kommerziellen Ausbeutungsinteressen unterworfen werden darf. Indigene Gruppen in den USA sehen im Wasser und seinen Quellen gar etwas Heiliges. Für das „Cedar Spring Project“ stellte sich Tuazon in die Dienste der politischen und kulturellen Forderungen des Goshute-Reservats, mit Erfolg. Eine geplante Wasserleitung nach Las Vegas scheiterte vor Gericht. Wohl erstmals floss indigenes Verständnis ökologischer Zusammenhänge in die Rechtsprechung ein – auch dank ihrer gebauten Protestform.

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