Bauwelt

Gegen Raubbau und Spekulation

Die Schau „Boden für Alle“ im Wiener Architekturzentrum ist eine großartige Recherche zu einem brisanten Zukunftsthema.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    Vergleich des Bevölkerungswachstums und des Bo­denverbrauchs in Österreich zwischen 2001 und 2018 (Quelle: Statistik Austria, Umweltbundesamt).
    Abb.: AzW/LWZ

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    Vergleich des Bevölkerungswachstums und des Bo­denverbrauchs in Österreich zwischen 2001 und 2018 (Quelle: Statistik Austria, Umweltbundesamt).

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    Verbaute Erde − Parkflächen statt Ackerland
    Foto: ÖHV

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    Verbaute Erde − Parkflächen statt Ackerland

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    Stand der Zersiedelung im Rheintal, Luftbild von Dornbirn aus dem Jahr 2017
    Foto: Vorarlberger Nachrichten/Philipp Steurer

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    Stand der Zersiedelung im Rheintal, Luftbild von Dornbirn aus dem Jahr 2017

    Foto: Vorarlberger Nachrichten/Philipp Steurer

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    Über ein Jahrhundert lang versorgte die ENCI-Kalk­grube die Niederlande mit Kalk für die Zementerzeugung. 2018 wurde die künstliche Landschaft in ein beeindruckendes Naturreservat verwandelt.
    Foto: Rademacher/de Vries Architects

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    Über ein Jahrhundert lang versorgte die ENCI-Kalk­grube die Niederlande mit Kalk für die Zementerzeugung. 2018 wurde die künstliche Landschaft in ein beeindruckendes Naturreservat verwandelt.

    Foto: Rademacher/de Vries Architects

Gegen Raubbau und Spekulation

Die Schau „Boden für Alle“ im Wiener Architekturzentrum ist eine großartige Recherche zu einem brisanten Zukunftsthema.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Ein politischer Dauerbrenner ist die heftige Debatte um Grund und Boden, und zwar nicht seit Jahren oder Jahrzehnten, sondern seit Jahrhunderten. Jean-Jacques Rousseau etwa warnte bereits 1755 vor privatem Landbesitz und proklamierte „dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.“ Doch auch die späteren Forderungen zahlreicher Bodenreformer haben nicht gefruchtet. Im Gegenteil: Im Zuge der bürgerlichen Entwicklung wurden Grund und Boden zur handelbaren Ware, seit der Industrialisierung in den großen Städten zum profitträchtigen Spekulationsgegenstand. Nur einmal gelang in westlichen, sprich kapitalistischen Gesellschaften ein epochales Gegenmodell. Es war das bis heute vorbildliche, von Sozialdemokraten erfundene „Rote Wien“ der Jahre 1922−1934 mit seinen großen Gemeindebauten. Damals wur­de die Spekulation nicht nur gestoppt, die Grundstückspreise gingen sogar zurück.
Das Rote Wien ist auch ein Thema der verlängerten Ausstellung „Boden für Alle“ im Wiener Architekturzentrum (AzW), die grundsätzlich den Wert und die Bedeutung des einzigartigen, weil nicht vermehrbaren Bodens untersucht. Über steigende Wohnungskosten und die Zersiedelung der Landschaft hinaus wird der anhaltende Raubbau an der Natur mit seinen Folgen für Landwirtschaft und Klima behandelt. Dabei haben die Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter eine enorme Arbeit geleistet. Ausgehend vom inhaltlichen Schwerpunkt Österreich haben sie auch die internationale Literatur ausgewertet, darunter die Stadtbauwelt 217 zur Bodenfrage (Bauwelt 6.2018). So ergibt sich in der Ausstellung ein gültiges, auf andere Länder durchaus übertragbares Bild: Auf der einen Seite eine präzise Darstellung der Fehlentwicklungen und Versäumnisse, dem gegenüber in den vier Kapiteln „Gutes auf den Boden bringen“ die Dokumentation von alternativen Ansätzen.
Europaweit ist Österreich in etlichen Punkten ein negativer Vorreiter. Das zeigt sich zum Beispiel an der ungebremsten Zunahme von Einkaufszentren in Außenbereichen zulasten des innerörtlichen Handels und damit des sozialen Lebens. Es war deshalb eine gute Idee des AzW, auch zu solchen Problemen zahlreiche Protagonisten aus Politik und Wissenschaft zu befragen. Es kostet einige Zeit, die 24 Interviews auf dem Schirm zu verfolgen, aber es lohnt sich. Oft äußert sich ein Dilemma. Darf man die Selbstverwaltung der Gemeinden beschneiden, um eine überörtlich vernünftige Raumplanung zu erreichen? Wie weit kann man Investoren entgegenkommen, ohne das Gemeinwohl zu schädigen? Reichen die gesetzlichen Möglichkeiten aus, um eine weitere Versiegelung des Bodens zu verhindern? Derzeit zeichnet sich, abgesehen von den Großstädten, keine Verkehrswende ab oder ein breites Umdenken bei Bebauungsplänen.
Interessant sind die Seitenblicke zu den europäischen Nachbarn, bei denen bereits mehr geht als in Österreich. In der Stadt Basel hat das Volk beschlossen, dass öffentlicher Grund nicht mehr verkauft werden darf. In Südtirol ist die Raumplanung weitaus restriktiver als im Bundesland Tirol. Der frühere Wiener Planungsstadtrat Hannes Swoboda weist im Interview auf den inzwischen viel zitierten Artikel 161 in der 1946 vom SPD-Juristen Wilhelm Hoegner entworfenen Bayerischen Verfassung hin: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ Eine späte Folge aus diesem Verfassungsauftrag ist das seit 1994 in München geltende Verfahren der „sozialgerechten Bodennutzung“ (SoBoN) mit einer teilweisen Abschöpfung der Wertsteigerungen durch die öffentliche Hand.
Solche Beispiele ermutigen, lösen aber nicht das Grundproblem. So konnten etwa in Kitzbühel bei der Umwidmung von Grün- in Bauland exor­bitante Gewinne von mehreren tausend Prozent realisiert werden. Auch die Münchner SoBoN hat die Spekulation auf dem überhitzten Wohnungsmarkt nicht eingedämmt. Etwas besser geht es Städten wie Ulm und Helsinki mit einer klugen Bodenvorratspolitik. Das Grundproblem wird erst dann gelöst sein, wenn – siehe Rotes Wien – die Kapitallogik beim Verwerten von Grundstücken aufgehoben ist. Wie das Wohnen darf Grund und Boden keine Ware sein. Erst dann könnte auch auf dem Land ein gesellschaftlicher und ökologischer Wandel einsetzen: weg vom schädlichen Verbrauch, hin zu einem vernünftigen Gebrauch der Flächen.
Die Ausstellung ist naturgemäß textlastig. Was einige bei der Lektüre stören kann, ist der häufig vorkommende Genderstern. Doch die Schau kann man mit dem vorzüglichen Katalog mit nach Hause tragen und den Kuratorinnen und den Gestaltern von Ausstellung und Buch muss ein Kompliment ausgesprochen werden, denn selten ist ein so „trockenes“ Thema so lebendig vermittelt worden.

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