Bauwelt

Georg Heinrichs

1926–2020

Text: Bernau, Nikolaus, Berlin

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    Georg Heinrichs (1926–2020)
    Foto: Wolf Lücking

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    Georg Heinrichs (1926–2020)

    Foto: Wolf Lücking

Georg Heinrichs

1926–2020

Text: Bernau, Nikolaus, Berlin

Georg Heinrichs war einer der herausragenden West-Berliner Architekten der 1960er bis 1980er-Jahre. Er war kritisch, konnte scharf im Ton und in der Aussage sein: Seine ganze Verachtung galt Serienentwürfen und „Rasterachitekten“, vor allem aber „Quadratlern“ wie Oswald Mathias Ungers: Die Welt, so Heinrichs einmal im Gespräch, sei plastisch, nicht eckig.
Als zweiter Sohn von aus Tallinn ins Deutsche Reich Eingewanderten 1926 in Berlin geboren, wuchs Heinrichs seit 1930 in der damals sensationellen Zehlendorfer Waldsiedlung Bruno Tauts auf. Doch seit 1935 galten für ihn, seine Eltern und den Bruder Sergei als „Mischlinge“ die rassistischen „Nürnberger Gesetze“. Seine Großeltern wurden im Zweiten Weltkrieg während der deutschen Besetzung Estlands umgebracht, sein Bruder starb im Zwangsarbeiterlager. Heinrichs überlebte mit viel Glück, studierte an der in West-Berlin neu begründeten Hochschule für Bildende Künste und wurde selbstbewusst freier Architekt. Im kapitalistischen Markt, nicht in den Versprechungen des Sozialismus sah er die Garantie seiner Freiheit.
Die Karriere begann er mit modernistischen Villen für das liberale West-Berliner Bürgertum. Im Bauboom der Zweiten Nachkriegsmoderne hatte er mit seinem ersten Partner, dem späteren Senatsbaudirektor Hans Christian Müller, mit seiner Frau Ewa Marja und mit den Partnern Wolf Bertelsmann, Erdmute und Allessandro Carlini und Lutz Linneweber ein überaus gut gehendes Büro. Tausende Entwürfe für Sozialwohnungen mit oft raffinierten Grundrissen und charakteristisch horizontal gegliederten, kantigen Fassaden entstanden, in Berlin das Jugendgästehaus des Senats, die Fabriken des Leitz-Konzerns, das Forum Steglitz als erstes Shop-in-Shop-Einkaufszentrum Deutschlands, der Generalplan für das Märkische Viertel und die sensationelle Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße.
Heinrichs Büro war ökonomisch glänzend im subventionsgesättigten Markt West-Berlins verankert, fiel aber immer auf durch die formale Stringenz der Entwürfe. Vorbilder waren sicher Le Corbusiers Strenge und Bewusstsein für Licht und Schatten – dessen Modulor-Relief aus Beton hing an der Wand seines Wohnzimmers – Tauts soziales Verantwortungsbewusstsein, vor allem aber Erich Mendelsohn und Alvar Aalto, die großen formalen Außenseiter der Klassischen Moderne. Für Aalto hatte Heinrichs mit dem Schweizer Karl Fleig 1957 den Bau des Hansaviertel-Hauses organisiert, dessen grandiose, bis heute viel zu wenig rezipierte Grundidee, die Wohnungen um den als Patio gedachten Balkon herum zu organisieren, ist bis in die Grundrisse der Schlangenbader Straße nachspürbar.
Die antikapitalistische Kritik am modernistischen Stadtumbau der 60er und 70er, aber auch die postmoderne Verdammung „der Moderne“ als antistädtischer Bruch mit der Geschichte sowie der gigantische Bauskandal um die Schlangenbader Straße belasteten die Erinnerung an die Leistungen Georg Heinrichs über Jahrzehnte. Er durfte noch erleben, dass eine neue Genera­tion seine Bauten wiederentdeckte, auch als Inspiration – die Ausnutzung der Verkehrsflächen durch Überbauung etwa ist heute wieder aktuell. Und vor zwei Jahren kam die volle Rehabilitierung: Die „Schlange“ steht inzwischen unter Denkmalschutz. Bereits am 20. Dezember starb Georg Heinrichs in seinem Haus, einer 1976 knapp vor dem Abriss geretteten und danach denkmalpflegerisch vorbildlich restaurierten Villa Bruno Pauls in Zehlendorf − inmitten einer legendären Sammlung abstrakter Kunst, den wunderbaren Designer-Möbeln und vielen, vielen Büchern.

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