Bauwelt

Geschichte weiterschreiben

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Geschichte weiterschreiben

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

100 Jahre wäre Karljosef Schattner in diesem Jahr geworden – ein guter Anlass, um an das Wirken des Architekten zu erinnern. Und zwar aus mehreren Gründen. Erstens ist sein Werk singulär in der Architekturgeschichte der Bundesrepublik: Es gibt wohl keinen Zweiten, der sein ganzes Lebenswerk in einer Stadt von gerade 14.000 Einwohnern realisiert hat und damit international Beachtung erlangte. Zweitens ist dieses Werk aufgrund seiner Strahlkraft mittlerweile ein Fall für die Denkmalpflege, was es erfordert, seine Besonderheiten zu (er)kennen. Und drittens sind die Themen, die „der deutsche Carlo Scarpa“ im bayerischen Eichstätt über Jahrzehnte bearbeitet hat, heute in aller Munde. Schattners Werk kreist um noch immer (oder wieder) höchst relevante Fragen: Wie lässt sich eine von Leerstand betroffene Kleinstadt abseits der großen Zentren revitalisieren? Wie kann ihre historische Substanz erhalten und mit neuen Nutzungen weiterentwickelt werden? Wie lässt sich auch gestalterisch die Gegenwart in der Präsenz der Historie formulieren, um eine Musealisierung zu vermeiden? Und wie, sprich: mit welchem Material und welcher Konstruk-tion und Detaillierung, lässt sich nachhaltig bauen im Sinne von Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit? Sie merken es: Debattenstichworte von heute bzw. der jüngeren Vergangenheit sind in Eichstätt nicht weit: schrumpfende Städte, Leerstand, Abrissmoratorium, Wiederverwenden und Wiederverwerten, um nur ein paar ganz vordergründige aufzuzählen. Der Nachwuchs der Profession jedenfalls müsste eine Affi-nität zu Schattners Werk verspüren – höchste Zeit, es neu zu entdecken.

Und heute?

Es war Zufall, dass ich beim Besuch in Eichstätt genügend Zeit hatte, um mit Norbert Diezinger hoch zur Willibaldsburg zu fahren. Das hatte ich nicht geplant – zwar hat Schattner hier in den siebziger Jahren das Jura-Museum eingebaut, an einem Montag aber ist dieses geschlossen. Was ich nicht wusste: Diezinger, in den achtziger Jahren Mitarbeiter von Schattner, hat hier soeben die Burgschänke erneuert: eine Baumaßnahme, die nicht nur perfekt zum zweiten Thema dieser Ausgabe passte, sondern auch die Brücke zum ersten schlägt. Denn nicht zuletzt an so bedeutenden Bauten wie Europas Burgen lässt sich ablesen, wie Architektinnen und Architekten das „Bauen im Bestand“, das bei Schattner meist ein „Bauen im Kontrast“ war, heute praktizieren: etwa mit der Abstraktion historischer Formen wie in Bishop Auckland, mit Bezug auf die Alterungsfähigkeit des Materials wie bei Olomouc und noch immer auch mit dem Kontrast von Perfektion und Verfall wie in Pöltsamaa.

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