Geschmack statt Sachlichkeit
1949 wurde Lucien Hervé von Le Corbusier zu seinem Hausfotografen erkoren. Ihrer Beziehung widmet der Zürcher Pavillon Le Corbusier eine Ausstellung, die Grundfragen der Architekturfotografie berührt.
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Geschmack statt Sachlichkeit
1949 wurde Lucien Hervé von Le Corbusier zu seinem Hausfotografen erkoren. Ihrer Beziehung widmet der Zürcher Pavillon Le Corbusier eine Ausstellung, die Grundfragen der Architekturfotografie berührt.
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Ehe Lucien Hervé für Le Corbusier zu fotografieren begann, hatte er bereits ein aufregendes Leben hinter sich. 1910 als László Elkán in der ungarischen Provinz als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren, wanderte er 1929 nach Paris aus, weil Juden und Jüdinnen im damaligen Ungarn repressiv behandelt wurden. Bis zum Zweiten Weltkrieg führte er eine doppelte Existenz: Zum einen zeichnete er, der eigentlich Maler werden wollte, für bedeutende Modehäuser und begann nebenbei mit der Fotografie, zum anderen engagierte er sich für die Gewerkschaften und die Kommunistische Partei, aus der er zweimal ausgeschlossen wurde. Seit 1937 französischer Staatsbürger, geriet er 1940 in Gefangenschaft. Nach der Flucht aus einem deutschen Lager wurde er unter seinem neuen Namen Lucien Hervé ein Aktivist der Résistance.
Vor zwei Jahren war im Zürcher Pavillon Le Corbusier eine Serie von Fotografien zu sehen, die der Schweizer Jürg Gasser 1968 im indischen Chandigarh von den dortigen Bauten Le Corbusiers gemacht hatte (Bauwelt 21.2022). Es waren einfühlsame Aufnahmen, die durch ihre Sachlichkeit faszinierten: Bei ihnen war das Bauwerk vor der Kamera offenkundig wichtiger als der Mensch hinter ihr. Die nun gezeigten Fotografien von Hervé sind in ihrer zugespitzten Subjektivität das genaue Gegenteil – sie kultivieren extreme Standpunkte, schräge Untersichten und harte Kontraste von Licht und Schatten. Schon Klassiker der Architekturfotografie wie etwa Werner Mantz und Hugo Schmölz wollten „Architektur zeigen, wie sie ist“ (Klaus Kinold). Hervé dagegen will Architektur zeigen, wie er sie sieht, nämlich mit den Augen eines Künstlers.
Sein poetisches Selbstverständnis als Fotograf wird im schmalen, aber informativen Katalog dankenswerterweise zitiert: „Wie ein Dirigent oder Pianist wählt er die Klangfarbe der Instrumente und Töne aus, um nach seinem Geschmack die Harmonien zu steigern, wobei er die Intention des Komponisten, in diesem Fall des Architekten, gewissenhaft achtet.“ Dass Hervé die Absicht eines Architekten respektiert hat, mag im Fall von Le Corbusier noch zutreffen, weil dieser – auch als Maler begabt – sich selbst als Künstler verstanden hat. Allerdings hatte sogar er Vorbehalte, wenn er dem Fotografen schrieb: „Verfallen Sie aber nicht plötzlich in ihr Fegefeuerschwarz!“ Hervé hat sich auch an Bauten der Finnen Alvar Aalto und Aarno Ruusuvuori versucht: Besonders da offenbarte sich sein Formalismus.
Es zeichnet die Ausstellungen im Zürcher Pavillon von jeher aus, dass sie dem Publikum eine Peripherie mit Vitrinen und einer Handbibliothek zum Thema anbieten. Auch dieses Mal liegen zahlreiche Dokumente aus, darunter Zeitschriften und Autografen. Die Schau behandelt vor allem die intensive Beziehung zwischen Lucien Hervé und Le Corbusier (der auch sachlich arbeitende Fotografen wie René Burri schätzte).
Zugleich sind Aufnahmen von Bauten weiterer Architekten zu sehen, etwa von Auguste Perret in Le Havre. Besonders eine Vitrine dokumentiert die Grenzen von Hervés Auffassung. Aufgeschlagen ist eine Doppelseite in „L’Architecture aujourd’hui“ vom Juni 1956 mit Bildern des neuen Unesco-Gebäudes in Paris. Stoß an Stoß reihen sich Hervés Fotografien mit stürzenden Linien und beliebig wirkenden Ausschnitten: Im Gewimmel der Ansichten und Fluchten wird die Architektur gerade nicht erklärt.
Zugleich sind Aufnahmen von Bauten weiterer Architekten zu sehen, etwa von Auguste Perret in Le Havre. Besonders eine Vitrine dokumentiert die Grenzen von Hervés Auffassung. Aufgeschlagen ist eine Doppelseite in „L’Architecture aujourd’hui“ vom Juni 1956 mit Bildern des neuen Unesco-Gebäudes in Paris. Stoß an Stoß reihen sich Hervés Fotografien mit stürzenden Linien und beliebig wirkenden Ausschnitten: Im Gewimmel der Ansichten und Fluchten wird die Architektur gerade nicht erklärt.
Lucien Hervé ging es in erster Linie nicht um das Objekt, sondern um die Emotionen, die es bei ihm auslöste. Er hat Architektur nicht dokumentiert, sondern interpretiert, mit Licht und Schatten geradezu umgedeutet. Eine Aufnahme vom historischen Kloster Le Thoronet aus dem Jahr 1951 ist dafür ein schönes Beispiel. Besonders in Erinnerung bleiben Hervés eindrucksvolle Fotografien vom Menschen Le Corbusier. Eine zeigt ihn auf der Baustelle der Unité d’habitation in Marseille, eine andere seine Hände, die einen Stein umfassen. Schade jedoch, dass etliche Bilder keine Originalabzüge sind, sondern auf Wunsch der Witwe vergrößerte Drucke auf Metall, die monumental wirken sollen.
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