Bauwelt

In einer jahrhundertelang von Männern dominierten Zunft

„Frau Architekt“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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    Almut Grüntuch-Ernst
    Foto: Edgar Rodtmann/Grüntuch Ernst Architekten

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    Margarete Schütte-Lihotzky, gezeichnet von Lino Salini, 1927

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    Margarete Schütte-Lihotzky, gezeichnet von Lino Salini, 1927

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    Sigrid Kressmann-Zschach (links) wird von der Schauspielerin Catarina Valente mit einem „Goldenen Kleeblatt“ für den Bau des Kudamm-Karrees ausgezeichnet, 1969
    Foto: Ullstein Bild Dtl.

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    Sigrid Kressmann-Zschach (links) wird von der Schauspielerin Catarina Valente mit einem „Goldenen Kleeblatt“ für den Bau des Kudamm-Karrees ausgezeichnet, 1969

    Foto: Ullstein Bild Dtl.

In einer jahrhundertelang von Männern dominierten Zunft

„Frau Architekt“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Nein, nein, beruhigte Bauwelt-Chefredakteur ­Ulrich Conrads im August 1979 seine Leser, die Zeitschrift hätte es nicht nötig, „sich mit einem Doppelheft in die Welle der Frauen-Emanzipations-Literatur zu werfen“. Und doch tat sie es. Ausgabe 31/32 im Jahr 1979 war die erste in der damals 70-jährigen Geschichte der Bauwelt, die sich dem Thema „Frauen in der Architektur“ widmete. Nicht nur waren die Artikel fast ausschließlich von Frauen geschrieben, hatte die exklusiv mit männlichen Architekten besetzte Redaktion zur „Sammlung, Auswahl und Überar­beitung der Beiträge“ mit Margrit Kennedy eine Frau hinzugezogen – die Aufsätze und Essays berührten auch genau die Themen, die die Diskussion um den Genderaspekt in der Architektur seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmten. In einer Buchbesprechung schrieb der Redakteur Günther Kühne: „Beim Blättern springen einem ein paar Sätze ins Gesicht, die man auf Anhieb bestätigen kann, dabei aber eingestehen muss, bisher noch nicht über ihren Inhalt nachgedacht zu haben: Kennen Sie andere alleinstehende selbständige Architektinnen? Oder: ‚Ich hab’ noch nie bei einem Preisrichterkollegium eine Frau gefunden‘.“ Margrit Kennedy meinte, Mann betrete in diesem Heft „Neuland“.
Keine zehn Jahre später war es damit offenbar vorbei. Der Titel von Heft 4/1986 zeigte eine am Boden liegende halbseidene Dame, die, spärlich bekleidet, von Dollarscheinen überhäuft war. Nicht genug damit, denn darüber hinaus wurde mit lasziv bekleideten Geschäftsfrauen in Eigenanzeigen für das Blatt geworben. „Zum Kotzen“ sei diese ebenso „saublöde“ wie „reaktionäre“ Ausgabe, hieß es in Leserbriefen. Eine Leserin meinte, das Heft „mit den geilen Weibern“ gehöre den Redakteuren um die Ohren geschlagen.
Nun könnte man beide Anekdoten in der weit entfernten Vergangenheit verorten und ansonsten schmunzeln. Freilich, dass Frauen im Architektenberuf weniger Chancen haben als ihre männlichen Kollegen, daran hat sich nicht so viel verändert. Auch wenn viele männliche Architekten das gar nicht so sehen wollen (was wiederum Teil des Problems ist). Zwar gibt es seit Jahren an deutschen Architekturhochschulen mehr weibliche als männliche Studierende. Zwar machen Frauen in der Regel überdurchschnittliche Examen. Doch schon bei den eingetragenen Architekten steht die Quote bei etwa 30 zu 70. Laut Kammerlisten sank die Zahl der selbstständigen Architektinnen in den letzten fünf Jahren sogar. Nach wie vor verdienen Frauen als Architekt schlechter als Männer, werden die höher dotierten Professuren an Männer vergeben, schaffen es wenig Frauen in die erste Reihe, wo sie im Rampenlicht stehen, ihre Bauten ausgezeichnet werden, spannende Aufträge winken. Mit wenigen Ausnahmen wie die 2016 verstorbene Zaha Hadid.
Dem vielfältigen Komplex „Frau Architekt“ widmet sich nun das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main. In Kooperationen mit Museen, mit Symposien und Werkberichten, mit Vorlesungsreihen an der FH Frankfurt und der TU Darmstadt. Und mit einer historischen Ausstellung, in deren Zentrum 22 Lebensgeschichten von erfolgreichen Architektinnen in Deutschland stehen – 22 mitreißende, faszinierende, mitunter verwundernde Erzählungen, die mit Modellen, Fotos und Zeichnungen illustriert werden.
Etwa von Emilie Winkelmann, die in der Baufirma ihres Großvaters in die Lehre ging, als Gasthörerin die Königlich Technische Hochschule in Hannover besuchte und 1907 in Berlin das erste von einer Frau geleitete Architekturbüro in Deutschland eröffnete. Etwa von Marie Frommer, die 1919 als erste Architektin in Deutschland einen Doktortitel erhielt, in Berlin ein erfolgreiches Büro unterhielt, 1939 wegen ihrer jüdischen Abstammung nach New York flüchten musste, wo sie Wohnungen für Angehörige der US-Army entwickelte. Etwa von Karola Bloch, Frau des Philosophen Ernst Bloch, die in den Aufbaujahren der DDR typisierte Kindertagesstätten plante.
Die Schillerndste unter den von Wolfgang Voigt, Christina Budde und Gastkuratorin Mary Pepchinski vorgestellten schillernden Frauen war ohne Zweifel die aus Leipzig stammende Sigrid Kressmann-Zschach. Weniger wegen ihrer eher durchschnittlichen architektonischen Begabung, sondern ihres außerordentlichen Geschäftssinns und des gewaltigen Medienechos halber. Laut Spiegel „regierte“ sie in den 60er und 70er Jahren „mit Sex und Energie West-Berlins Bauwirtschaft“. Die Bauwelt warf ihr eine „unzulässige Verquickung von Werbung, geschäftlichen Interessen und Architektentätigkeit“ vor, der Baumeister prangerte ihre „Wildwest-Verfahren“ und „frühkapitalistischen Methoden“ an. Der Spiegel zitierte ihre Tochter Corina („Was mir so imponiert – Mutter ist unheimlich eman­zipiert!“), während die Yellow Press sich um die körperlichen Vorzüge der „schönen Multimillionärin“, der „sächsischen Soraya“ und der „170 Zentimeter großen und 112 Pfund schweren Arbeitgeberin im Minirock“ kümmerte. Kaum eine Schlagzeile, die ohne erotische Konnotation, ohne sexistische Untertöne auskam.
Dass in der damals ebenso subventionierten wie verfilzten Frontstadt auch männliche Immobilienzocker mit ähnlichen Geschäftsmethoden agierten, weckte weitaus weniger öffentliche Aufmerksamkeit. Auch über deren physiognomischen Charakteristika und Maße erfuhr man nichts. Kressmann-Zschachs Unternehmen hatte 300 Mitarbeiter und entwickelte unter dem Signum „Büro SKZ“ Großprojekte wie das Kudamm-Karree oder den Steglitzer Kreisel. Letzterer bedeutete wegen Bauverzögerungen und Kostensteigerungen ihren Ruin.
Kressmann-Zschachs systemimmanent weniger skandalträchtiges Pendant im Osten war Iris Dullin-Grund (siehe auch „Betrifft“ ab Seite 10). Dullin-Grund – befreundet mit Ernst May und Hermann Henselmann – avancierte zur Stadtarchitektin von Neubrandenburg. Bereits 1966 brachte der westdeutsche Stern unter dem Titel „Eine Genossin macht Karriere“ eine mehrseitige Reportage über sie. Vielfach porträtiert und fotografiert, als „Frau von heute“ in der DDR gefeiert, war sie Vorbild der „Kati“ im Film „Spur der Steine“ und für die Architektin „Franziska Linkerhand“ in Brigitte Reimanns gleichnamigem, 1972 erschienenen Roman, der – auch wegen seiner deutlichen, in der DDR äußerst seltenen Kritik an den Plattenbauten – zum Kultbuch wurde.
Die 22 Lebensgeschichten, die vom Kaiserreich ausgehend über das Dritte Reich, die DDR und die alte BRD mit den Porträts der Berliner Architektinnen Gesine Weinmiller und Almut Grüntuch-Ernst bis in die deutsche Gegenwart reichen, haben eines gemeinsam: Alle 22 Frauen stammen aus einem gut betuchten bis äußerst wohlhabenden Elternhaus, das – kultur- und kunstinteressiert – dem Berufswunsch der Töchter keine Steine in den Weg legte. Wo sich immer jemand fand, der sie schon früh unterstützte. Wo immer Geld da war, die Kinder anständig unterzubringen. Und natürlich mussten diese Frauen talentiert, fleißig, bestens vernetzt und eloquent sein, um sich in einer von Männern jahrhundertelang dominierten Zunft mit all ihren frauen- und familienfeindlichen Ritualen und Inszenierungen durchzusetzen.
Die Ausstellung beantwortet nicht die Frage, ob es eine weibliche Architektur gibt. Sie beantwortet auch nicht die Frage, ob Architektur menschlicher, ökologischer, sensibler wäre, wenn es mehr Frauen in der ersten Reihe gebe (Beides, so wird nahegelegt, eher nicht). Aber sie zeigt Strategien, wie Frau dahin kommt. Auch wenn die Auswahl der Frauen diskussionswürdig ist (z.B. fehlt Elisabeth von Knobelsdorff, die 1911 als erste Frau in Deutschland das Architekturstudium mit Diplom abschloss), auch wenn die sowohl unterhaltsame als auch hervorragend präsentierte Schau ziemlich Berlin-lastig ist, bietet sie dennoch den idealen Hintergrund zu der nicht nur aktuellen, sondern auch notwendigen, international breit geführten Diskussion, wie Chancen von Frauen in „Männerberufen“ wie etwa in der Architektur verbessert werden können.

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