Bauwelt

Industriebrachen in Kasan

Die Projekte der zweiten Architekturbiennale Tatarstan sind im Berliner Architekturforum Aedes aufgebaut. Während der Corona-bedingten Schließzeit wird die Ausstellung auf der Galeriewebsite präsentiert.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Einige Tage lang war die Ausstellung bei Aedes noch live zu sehen.
    Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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    Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Industriebrachen in Kasan

Die Projekte der zweiten Architekturbiennale Tatarstan sind im Berliner Architekturforum Aedes aufgebaut. Während der Corona-bedingten Schließzeit wird die Ausstellung auf der Galeriewebsite präsentiert.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Vor drei Jahren wurde auf Initiative des Architekten Sergei Tchoban (Berlin/Moskau) die Russische Biennale für junge Architekten in der Autonomen Republik Tatarstan ins Leben gerufen. Tatarstan gilt als eine der kulturell anregendsten Regionen außerhalb der Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Und gerade nicht auf die beiden Metropolen konzentriert soll auch die Biennale sein, sondern die Vielfalt der sich zunehmend entwickelnden, jungen Architekturszene in der Russischen Föderation zeigen.
Das ist bei der zweiten Ausgabe der Biennale, die im vergangenen Oktober in der Hauptstadt Kasan abgehalten wurde, noch stärker der Fall. Tchoban, Vorsitzender der Biennale-Jury, kann darauf verweisen, dass rund die Hälfte der nicht weniger als 739 Teilnehmer, die aus allen Teilen Russlands stammen, nicht älter als 35 Jahre ist. Die Teilnehmerzahl hatte sich gegenüber der ersten Biennale verzehnfacht; für die Endrunde wurden 30 Finalisten ausgewählt und auf zwei Modellprojekte verteilt. Die Arbeitsergebnisse sind jetzt im Berliner Architekturforum Aedes aufgebaut – naheliegenderweise, war doch Aedes-Prinzipalin Kristin Feireiss gleichfalls Mitglied der Jury, der zudem Michiel Riedijk aus Rotterdam, Philip Yuan aus Shanghai sowie die drei Preisträger der ersten Biennale angehörten.
Zwei jeweils fünf Hektar große Industriebrachen in Kasan galt es zu bearbeiten, zum ei-nen das Gelände einer Fabrik mit Gebäuden aus unterschiedlichen Perioden entlang der historischen Moskauer Straße, die, wie der Name sagt, den alten Handelsweg markiert. Zum anderen eine Landzunge, die in die breite, zum Kuibyschewer Stausee aufgetaute Wolga hineinragt und auf der sich einer der größten, mittlerweile außer Betrieb genommenen Getreidespeicher Russlands erhebt. Industriebrachen sind ein Thema, das sich nach dem Ende der Sowjetunion und der folgenden De-Industrialisierung in ganz Russland stellt. Es galt bei der Biennale, praxisnahe Vorschläge zum Umgang mit solchen Brachen zu machen und dabei das Erbe der Industriearchitektur sinnvoll einzubeziehen.
Im Architekturforum Aedes, das seinerseits in einem einstigen Gewerbebau zuhause ist, sind die Entwürfe der jeweils vier Preisträger mit formatgleichen Modellen sowie Text-Bild-Tafeln vorgestellt, die der übrigen Finalisten allein mit solchen, von der Decke herabhängenden Erläuterungen. Das Gelände der ehemaligen Fabrik „Santechpribor“, Fotografien zufolge bereits starkvandalisiert, verlangt eine grundlegende Neuordnung. Die Finalisten sehen durchweg dichte Bebauung vor, um die vorhandenen Fabrikbauten in ein städtisches Gewebe einzubinden. Mit dem ersten Preis wurde Aleksandr Alyaev aus­gezeichnet, der das Gelände in drei annähernd gleich große Blöcke aufteilt und dem Bestand öffentliche Funktionen zuweist. Reizvoll ist der mit dem Spezialpreis des Russischen Bauminis­teriums ausgezeichnete Entwurf von Kseniya Vo­-robieva, der den in den ältesten, vorsowjetischen Bauten verwendeten Backstein zum dominierenden Material auch der Neubauten erhebt.
Alle Entwürfe sehen einen Funktionsmix aus Arbeiten, Wohnen, Kultur und Erholung vor; so auch beim Gelände des Getreidespeichers. Dessen dominante Gestalt mit 28 Reihen von jeweils sechs, insgesamt also 168 zylindrischen Behältern von gut 30 Metern Höhe führte zu alternativen Herangehensweisen. Entweder zu Überformung, wie beim Siegerbüro Leto, das dem Speicher eine Parklandschaft aufsetzt, geschützt von einer offenbar transluzenten Einfassung. Oder zu Betonung des Vorhandenen, wie sie das Büro Archifellows vorschlägt, das den Speicher zu einer veritablen Industriekathedrale entkernt, die im Äußeren nur an den bogenförmigen Zugängen im Erdgeschoss kenntlich ist. Andere Entwürfe binden den Speicher stärker in eine städ­tische Struktur ein – am eigenwilligsten das Studio Kamil Tsuntaev aus Machatschkala, das eine der Märchenwelt entnommene Kleinstadt aus Giebelhäusern errichtet. An Ideen mangelt es denTeilnehmern der Biennale jedenfalls nicht, die begriffen wird als Einstieg in die Architektenlaufbahn vor allem außerhalb der Metropolen.
Die Ausstellung im Berliner Architekturforum Aedes ist zurzeit nicht für den Publikumsverkehr geöffnet, kann aber online besichtigt werden unter www.aedes-arc.de

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