Bauwelt

Italo Rota (1953-2024)

Text: Ratti, Carlo

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Foto: Carlo Ratti

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Italo Rota (1953-2024)

Text: Ratti, Carlo

Was ist Architektur? Jeder Gestalter und Planer hat seine eigene Definition. Für Le Corbusier war es „das gekonnte, strenge und großartige Spiel der Volumen unter dem Licht“, für Gio Ponti eine Suche „scharf, essentiell, rein: rein wie Kristall“.Für Italo Rota, der am 13. April verstorben ist, war es etwas viel Umfassenderes: „Architektur ist schließlich eine Projektion des Geistes.“ Er wie­der­holte dies oft, in einem ironischen, schelmischen Ton.
Ich traf Italo zum ersten Mal im Jahr 2010, als wir beide eingeladen wurden, am italienischen Pavillon auf der Biennale in Venedig teilzunehmen. Italo war vielleicht ein paar Jahre älter als ich, aber die frischesten Ideen im Raum waren natürlich immer von ihm. Und nur seine allumfassende Definition von Architektur kann uns helfen, seine fünf Jahrzehnte währende, von stürmi­- schen Veränderungen geprägte Karriere zu interpretieren. Die Breite seiner Interessen war grenzenlos und spiegelte sich in der Vielfalt seiner Projekte wider: Nur Italo konnte eine spek­takuläre digitale Augmented-Reality-Installation auf der Mailänder Triennale für einen koreanischen Tech-Giganten schaffen, und danach ein etruskisches Grabmal zum Gedenken an den Theaterregisseur Luca Ronconi entwerfen - letzteres in Zusammenarbeit mit Margherita Palli, der außergewöhnlichen Bühnenbildnerin und Lebensgefährtin von Italo.
Er wurde in ganz Europa ausgebildet, in Italien, der Schweiz und in Frankreich, wo er mit den unterschiedlichsten Architekten und Einflüssen in Berührung kam, von Franco Albinis Neo-Rationalismus bis zu Vittorio Gregottis Megastrukturen, von Mario Bottas Tessiner Postmoderne bis zu Gae Aulentis Neoliberalismus. Er verbrachte viele Jahre in Paris, wo er mit Aulenti an der Restaurierung des Interieurs des Musée d’Orsay zusammenarbeitete. Doch letztlich vertrat er nur eine Bewegung: die kontinuierliche Avantgarde. Sein Charakter lässt sich am Besten erfassen, wenn man ihn mit dem mittelalterlichen Philosophen Ramon Llull vergleicht, statt mit den eklektischen Post Modern-Impresarios wie Philip Johnson oder Charles Moore.
Die Architektur als Projektion des Geistes schlug sich auch in seiner Sammelleidenschaft nieder – die prächtige Wunderkammer in seinem Mailänder Haus enthält eine der umfangreichsten Sammlungen der architektonischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts – und eine Vielzahl kultureller Interessen, einschließlich der künstlichen Intelligenz, für die er oft nach China reiste.
Seine Liebe zur Welt war intensiv, ebenso wie seine Sorge um die Klimakrise. Wenige Monate vor seinem Tod hinterließ er eine Publikation mit dem pantheistischen Titel „Only Becoming Nature Will Save Us“. Seine Ideen über die Zukunft der Zirkularität in der Designwelt inspirierten die Arbeit, die wir gemeinsam für die Kuratorenschaft der Biennale 2025 in Venedig begonnen hatten.
Ich hatte das Glück, gegen Ende seiner Kar­ri­ere mit ihm zusammenzuarbeiten. Stets war er bestrebt, die Grenzen zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen auszuloten, was sich in Francesco Muttis biophilem Haus in Parma oder dem Entwurf für ein radikales Dekarbonisierungsprojekt in Helsinki widerspiegelte, das wir „Hot Heart“ nannten. Seine Entschlossenheit und seine Vorstellungskraft hätten im Widerspruch zu seiner Großzügigkeit und Sanftmut stehen können – aber sie kamen harmonisch zusammen in dieser zerbrechlichen Gestalt, die in bunten Plisseekleidern und Rotgardewesten durch unser Büro in Turin lief und jede Person in ihren Bann zog, faszinierte und mit Zuneigung erfüllt hatte.
Er war ein Innovator, die wahre Sorte. Er las und studierte viel. Er ging von einer äußerst rationalen Lesart der Realität aus, die er dann mit poetischen und metaphernreichen Ausdrücken umsetzte. Als er vor etwas mehr als einem Jahr von seiner Krankheit überrascht wurde, antwortete er besorgten Freunden: „Mein Körper muss die Symmetrie wiederfinden.“ Wir haben oft gemeinsam darüber gescherzt: „Es ist an der Zeit, hundert Jahre nach Le Corbusier die Symmetrie zu verlieren!“ Jetzt, ohne ihn, ist der Verlust der unsere.
Aus dem Englischen von BF

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