Konstruktive Kompositionen, Science-Fiction und eine kopflose Giraffe
Der Ausstellungsreihe „Urbane Kommentare“ liegt die Idee der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Stadtraum zugrunde. Einige Arbeiten spiegeln den Wandel von der sozialistischen zur postsozialistischen Stadt wider.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Konstruktive Kompositionen, Science-Fiction und eine kopflose Giraffe
Der Ausstellungsreihe „Urbane Kommentare“ liegt die Idee der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Stadtraum zugrunde. Einige Arbeiten spiegeln den Wandel von der sozialistischen zur postsozialistischen Stadt wider.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst initiierte im letzten Jahr eine neue Ausstellungsreihe mit Arbeiten, die sich mit (ostdeutschen) Stadträumen beschäftigen. Das Spektrum reicht von Architekturdarstellungen bis zu Interventionen im Außenraum. Die diesjährige Schau „Urbane Kommentare“ wird im mittelalterlichen Rathaus in Frankfurt (Oder) gezeigt. Neben der Ausstellung beeindruckt hier auch das durch die gotischen Gewölbe geprägte Ambiente der Räume.
Knapp 60 Arbeiten aus der Zeit von 1950 bis heute sind in der Ausstellung zu sehen − größtenteils Gemälde, Zeichnungen und Fotoaufnahmen. Unter ihnen sind Arbeiten von Künstlern des Sozialistischen Realismus wie Walter Womacka („Aufbau Karl-Marx-Allee“, 1961), die ideologisch begründete Stilrichtung spielt in der Ausstellung dennoch nur eine untergeordnete Rolle. Viele der Arbeiten orientieren sich an der in der DDR verpönten Abstraktion: Die baulichen Strukturen im Bild „Neubau Fassade“ (1986) von Ulf Raecke lösen sich soweit auf, dass die Arbeit − ohne die blaue Markise und die Person auf dem Balkon – ebenso als freie konstruktive Komposition interpretierbar wäre.
Einige Werke zeigen den Wandel der DDR-Städte, mit dunklen Altbauten im Vordergrund, hinter denen strahlend-helle Neubauten emporwachsen. In vielen Arbeiten kann man die ästhetischen Qualitäten und städtebaulichen Schwächen der sozialistischen Moderne auf Anhieb erkennen, durch dicht herangezoomte Fassadendetails oder Schlaglichter auf größere Ensembles. Obwohl der fachkundige Besucher etliche Motive – wie Uwe Pfeifers Gemälde von Halle-Neustadt − sofort verorten kann, geht es der Ausstellung nicht darum, die Baugeschichte der DDR anhand von hervorragenden Architekturdarstellungen nachzuerzählen. Der Fokus liegt vielmehr auf den unterschiedlichen, teilweise utopischen Planungskonzepten sowie der konkreten Atmosphäre, Nutzung und Ausstattung der öffentlichen Räume.
Dabei fällt auf, dass einige der interessantesten Arbeiten von Künstlern und Fotografen stammen, die wie Michael Voll und Ulrich Wüst (Bauwelt 12.2016) ursprünglich Architektur und Stadtplanung studiert haben, ihren beruflichen Schwerpunkt jedoch in den späten 70er-Jahren, als sich die ostdeutsche Bauplanung immer mehr auf das Platzieren und Projektieren von Typenbauten reduzierte, auf andere Gebiete verlagert haben. Von Voll ist eine faszinierende großformatige, an Science-Fiction-Darstellungen erinnernde Stadtlandschaft (1987) zu sehen, von Wüst mehrere Fotoaufnahmen.
Zwei neuere Arbeiten thematisieren den unsensiblen Umgang mit den während der DDR-Zeit entstandenen öffentlichen Räumen und ihren Kunstwerken: Ute Richter ließ 2007 die für einen der Touristengärten der Prager Straße in Dresden geschaffene Figurengruppe „Mütter mit Kindern“ (1970, Karl Schönherr) für mehrere Monate im Berliner Hansaviertel aufstellen. Die Skulptur war zusammen mit dem Garten, der Erweiterung eines angrenzenden Verkaufspavillons zum Opfer gefallen und auf unbestimmte Zeit im städtischen Lapidarium eingelagert worden. In der Ausstellung wird die Aktion in Leuchtkasten-Dias präsentiert. Sie lassen erkennen, dass die beiden Gebiete, in denen die Figurengruppe aufgestellt wurden, trotz der vergleichbaren Hochhaus-Hintergrundkulisse, unterschiedliche Atmosphären hatten: eine durchgestaltete, zur Erholung einladende Grünanlage in der DDR und eine um die Gebäude herumfließende Grünfläche mit Bäumen in West-Berlin.
Erik Göngrich hat in seinen brandneuen leucht-bunten Aquarellen Frankfurts Kunstwerke neu inszeniert, wie die Figurengruppe „Giraffe mit Kind“ (1979, Hans-Detlev Hennig), die vor einigen Jahren Vandalen zum Opfer fiel. Dabei wurden Kopf und Hals des Kälbchens abgetrennt, die beschädigte Skulptur anschließend im städtischen Kunstdepot eingelagert, aber nicht restauriert. Seitdem blickt die übrig gebliebene Giraffenmutter an ihrem angestammten Platz mit einer merkwürdigen, sich ursprünglich hinunter zu ihrem Kind beugenden Haltung ins Leere (Bauwelt 15.2017). Göngrich hat ihr in seinem Giraffen-Porträt ein an Dürers „Feldhasen“ erinnerndes Ersatzkind an die Seite gestellt, und das kopflose, rabiat über dem Rumpf abgeschnittene Original-Kalb daneben gestellt.
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