Kultur = Kapital
Von unterhaltsam bis künstlerisch komplex: der Braunschweiger Lichtparcours 2016
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Kultur = Kapital
Von unterhaltsam bis künstlerisch komplex: der Braunschweiger Lichtparcours 2016
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Zum vierten Mal gibt es diesen Sommer einen „Lichtparcours“ in Braunschweig. Zur Expo 2000 erlebte das Kunstformat seine Premiere; rund ein Dutzend unscheinbare bzw. schwer zugängliche Orte entlang der Okerumflut verwandelte man in atmosphärische Räume des Übergangs zwischen Landschaft und Stadt. Sagenhafte 500.000 Besucher wurden damals gezählt. Ein 2004 folgender reiner Kunstparcours floppte. Die nächste, kleinere Ausgabe des Jahres 2010, diesmal wieder mit einem illuminierten Parcours, besuchten immerhin 300.000 Interessierte. Ansporn also für den Veranstalter, das Kulturdezernat der Stadt Braunschweig, zu einer vierten Auflage, die mit zwölf neuen Orten und drei alten die bislang umfangreichste ist.
Ohne Licht keine optische Wahrnehmung von Form, Struktur, Oberfläche und Farbe unserer Umgebung. Licht hat zudem symbolische Bedeutungen: Das natürliche Licht wird im religiösen Kontext mit Schöpfung, Geburt und Erlösung gleichgesetzt und wurde nach seiner naturwissenschaftlichen Erforschung zum Sinnbild der Aufklärung. Das künstliche Licht umflort seit seinem Aufkommen im 19. Jahrhundert die emanzipative Aura des (technischen) Fortschritts. Licht gehörte und gehört auch stets zum Programm faszinogener Massenveranstaltungen, sei es als höfisches Feuerwerk des Barock, sei es als Lichtdom der Nazis. Mit diesen Binsenweisheiten im Hinterkopf ist man gut für den Braunschweiger Lichtparcours gewappnet, kann unterhaltsame Illuminationen von künstlerisch Diffizilem scheiden – ohne hier werten zu wollen.
Der prominenteste der teilnehmenden Künstler, der gebürtige Chilene Alfredo Jaar, besetzt auch den prominentesten Ort. Sein Schriftzug „Kultur = Kapital“ – eine Paraphrase des Multiples von Joseph Beuys „Kunst = Kapital“ – prangt am Portikus des Braunschweiger Shopping-Schlosses. Die Arbeit wurde (wie die meisten anderen) von Sponsoren finanziert, in diesem Fall von der Richard-Borek-Stiftung. Diese hatte auch schon kräftig für die Schlossattrappe vor der Einkaufspassage ins Portemonnaie gegriffen und die monumentale Bronzeplastik der Brunonia spendiert, die über dem Schriftzug thront. Es sei dahingestellt, ob Jaars beabsichtigte Systemkritik in diesem Kontext zu verstehen ist.
Zur Rubrik des Unterhaltsamen zählt zweifelsohne der blau leuchtende Kunststoffpavillon von Tobias Rehberger. Rem Koolhaas’ Casa da Música in Porto stand Pate für die Form des solipsistischen Kristalls, der als Kunst-Imbiss an einer Straßenkreuzung bewirtschaftet wird. Der skurrile Schriftzug „Bei Pess u. Puse“ ist das typografisch identische Anagramm einer antiquierten Leuchtreklame an der gegenüberliegenden Fassade, das ursprünglich beabsichtigte direkte Textzitat hat der Eigentümer unterbunden.
Bewährte Standorte im Lichtparcours sind Braunschweigs Grünräume entlang der Oker. Hier versammeln sich neun Objekte, die ähnlich den Follies der klassischen Landschaftsgärten mit dem ästhetischen Überraschungseffekt des Artefakts in der Natur operieren. Ein Novum – und die erfrischende Entdeckung des Parcours – ist eine Intervention am Hafen. Dort fand das niederländisch-englische Duo Studio Drift zwischen Schrotthalden und Wildwuchs einen vor 25 Jahren aufgelassenen Kornspeicher, eine eindrückliche Industriebrache. Die beiden Lichtdesigner Lonneke Gordijn und Ralph Nauta arbeiten bei ihren Aufträgen gern mit Naturanalogien, lassen schon mal eine große Leuchtenformation, per Zufallsgenerator getaktet, wie einen Schwarm fliegender Vögel erscheinen.
Für ihre Braunschweiger Arbeit mit dem Titel „The Portal“ durchfährt eine textil umhüllte, an eine schwimmende Molluske erinnernde Leuchtquelle einen Schacht im Innenraum des gut 40 Meter hohen Speichers. Immer wieder ändert sie abrupt Geschwindigkeit, Richtung und ihr Volumen. Mittels einer raffinierten Spiegelung kann man ihr Agieren im undefinierbar aufgelösten Raum durch ein Fenster der Außenwand verfolgen, nach Einbruch der Dunkelheit wird es großformatig auf den Giebel projiziert. Außen und innen, ein verschlossener Raum und sein unergründbares Geheimnis, eine artifizielle Natur, die sich einen Ort postindustriellen Verfalls erobert – das alles verschmilzt leichtfüßig in anregender Symbiose. Wer will, kann es auch als vieldeutige Metapher lesen für das derzeitige Gleichgewicht unserer Welt.
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