Bauwelt

Mehr als Provinz

In Detmold beschäftigte sich der Regionale Salon Nr. 12 der Hochschule OWL mit der Lebensqualität und den Entwicklungsperspektiven der „Provinz“ – aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Die Fußgängerzone Lange Straße in Detmold im Juni 2018 – Leerstand ist die Ausnahme, über die Gestaltung des Stadtraums aber ließe sich diskutieren.
Foto: ub

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Die Fußgängerzone Lange Straße in Detmold im Juni 2018 – Leerstand ist die Ausnahme, über die Gestaltung des Stadtraums aber ließe sich diskutieren.

Foto: ub


Mehr als Provinz

In Detmold beschäftigte sich der Regionale Salon Nr. 12 der Hochschule OWL mit der Lebensqualität und den Entwicklungsperspektiven der „Provinz“ – aus durchaus unterschiedlichen Perspektiven

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Das Leben abseits der großen Ballungsräume und Metropolen kann Vorteile bieten. Es ist nicht so teuer, der Alltag ist nicht so hektisch, die Luft ist sauberer, und Erholungsräume liegen vor der Tür. Man müsste also nicht so viel Kenntnis nehmen von all den Säuen, die in den kulturellen und politischen Zentren alljährlich über die Foren getrieben werden – „wat geit meck dat an?!“, wusste bereits der brave Bauersmann bei Wilhelm Busch dieses Lebensgefühl auf den Punkt zu bringen. Allmählich aber scheinen diese Orte eines beschaulich und zufrieden dahinfließenden Lebens mehr und mehr in den Strudel der Entwicklungen zu geraten. Abwanderung, Alterung, Fachkräftemangel, wo es Industrie gibt, oder hohe Arbeitslosigkeit, wo diese fehlt, fortbrechende Versorgungsnetzwerke, eine immer unverhohlenere Landnahme durch neue und al­-te Rechtsextremisten, schließlich die Zerstörung der über Jahrhunderte ausgeprägten Kulturlandschaft selbst durch neue Formen der Energiegewinnung wie durch die Industrialisierung von Ackerbau und Viehzucht bringen gewohnte Strukturen und Sichtweisen ins Wanken.
So bleibt es nicht aus, dass zunehmend auch vor Ort über die eigene Situation diskutiert wird – zum Beispiel an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Detmold, wo am 10. Januar der „Regionale Salon“ des urbanLab der Hochschule über die Bühne ging. Es war nicht die erste Veranstaltung dieser Art. Vorbereitet von Oliver Hall, Johanna Dorf und Carsten Schade, widmete sich die zwölfte Auflage dem Thema: „Mehr als Provinz. Besondere Stadtentwicklung in Klein- und Mittelstädten“.
Die lippische Residenzstadt ist auf den ersten Blick eine Insel der Seligen: Das Stadtbild ist intakt, von Laden- und Wohnungsleerstand fehlt jede Spur, es sind sogar Menschen auf der Straße, selbst an einem regnerischen Januarnachmittag wie diesem. Besagte Bildungsstätte sorgt für den steten Zuzug junger Menschen, was gut ist für Kulturleben, Sport und Gastronomie und einen gewissen Austausch mit der Welt sicherstellt, und mit der Bahn ist man in zwanzig Minuten in Bielefeld, wo es ein größeres Kulturangebotgibt, wo man aber auch in den ICE gen Ruhrgebiet oder Hannover steigen kann, obwohl dort hinzufahren es eigentlich wenig Grund gibt – zumindest wenn man Jürgen Krahl glaubt, der als Präsident der Hochschule den Salon eröffnete und ein hoch gestimmtes Loblied auf „die Provinz“ anstimmte.
Dabei verbietet es sich, so grundsätzlich über das Leben abseits der großen Städte zu sprechen. Die Altmark in Sachsen-Anhalt bietet andere Bedingungen als der oberbayrische Pfaffenwinkel, die Nöte des einen Landstrichs sind von denen des anderen mitunter so weit entfernt wie die der rheinischen Nachbarstädte Duisburg und Düsseldorf. Das machte Regionalforscher Carl-Hans Hauptmeyer von der Leibniz Universität Hannover deutlich, der aber auch Vergleichbares fand: etwa den Bodenseeraum und das Emsland, zwei vergleichsweise stabile und attraktive ländliche Räume. Doch wie auch immerdie Rahmenbedingungen – unerlässlich bei jedweder Entwicklungsmaßnahme sei es, nicht nur gegenwärtige Kennziffern zu Rate zu ziehen, sondern auch historische Voraussetzungen: Ein Projekt, das daran nicht anknüpfe, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Doch nicht nur Regionen können sehr weit voneinander entfernt liegen, auch wenn sie sich räumlich nahe sind, oder in Nähe stehen, obwohl etliche Kilometer zwischen ihnen liegen – die Beschäftigung mit diesen Räumen ist auch eine Aufgabe des generationenübergreifenden Wissensaustauschs. Das wurde deutlich, als Felix Bentlin von der TU Berlin über die Erkenntnisse der „Winterschule 2018“ referierte, als sei dies die erste Beschäftigung von Forschern mit Fragen der Dorfentwicklung, des Naturschutzes und der Kleinstadtförderung überhaupt gewesen. Hier gilt es wohl auch eine mediale Kluft zu überwinden: „Gehen Sie doch mal in eine Bibliothek, da steht alles, was wir vor vierzig Jahren schon zu diesen Fragen erarbeitet haben“, empfahl Carl-Hans Hauptmeyer dem jungen Kollegen, bei aller spürbaren Freude des „Großvaters“ über das Interesse der „Jungen“: Reaganomics und Thatcherism, hierzulande spätestens die deutsche Einheit hätten die Beschäftigung mit den ab den 70er Jahren aufgeworfenen Fragen unterbrochen. Wie es aussieht, blickt das Me­tier auf einen neuen Aufschwung, mit Wahrnehmung weit über die großstädtischen Foren hinaus bis in die „Provinz“ selbst.

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