Nicht Ausdruck, sondern Eindruck
Rund 100 Gemälde aus den Jahren 1895 bis 1925 zeigen den bedeutenden Beitrag von Malerinnen zum Schwäbischen Impressionismus in einer Schau in Bietigheim-Bissingen
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Nicht Ausdruck, sondern Eindruck
Rund 100 Gemälde aus den Jahren 1895 bis 1925 zeigen den bedeutenden Beitrag von Malerinnen zum Schwäbischen Impressionismus in einer Schau in Bietigheim-Bissingen
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
In der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen werden derzeit rund 100 Werke von 15 Malerinnen ausgestellt, die den oft in der Kunstgeschichtsschreibung übersehenen, aber bedeutenden Beitrag von Frauen zum Schwäbischen Impressionismus sichtbar machen. Diese Künstlerinnen schufen Landschafts- und Stadtpanoramen, Stillleben, Interieurs und Porträtdarstellungen. Außerdem vermittelt die in Kooperation mit dem Schloss Achberg konzipierte Ausstellung, genauso wie der Katalog, viele Informationen zu den Möglichkeiten der weiblichen Kunstausübung in der Zeit um 1900.
Frauen wurden damals an den meisten staatlichen Kunstakademien in Deutschland nicht zum Studium zugelassen, offiziell aufgrund des Aktzeichnens. Eine große Ausnahme war Württemberg mit seiner Königlichen Kunstschule (der späteren Akademie der Bildenden Künste) in Stuttgart, die es Frauen bereits ab den 1860er Jahren ermöglichte, Malerei zu studieren, zum Unmut ihrer männlichen Kollegen, die die weibliche Konkurrenz fürchteten. Sie wurden dort lange Zeit in eigenen „Damenklassen“ unterrichtet, ihre Arbeiten aber trotzdem ausgestellt, besprochen, häufig auch gelobt und gekauft.
Zudem gründeten 1893 mehrere erfolgreiche Künstlerinnen, darunter die in der Ausstellung präsentierten Anna Peters (1843–1926) und Sally Wiest (1866–1952), den Württembergischen Malerinnen-Verein. Dieser sorgte für mehr gesellschaftliche Anerkennung, hatte eine eigene Darlehns- und Unterstützungskasse und bot im vereinseigenen Künstlerhaus, das aufgrund der starken Nachfrage umgehend aufgestockt wurde, auch Atelierwohnungen an. Die ältesten der vorgestellten Künstlerinnen kamen noch aus dem Realismus. Sie bezogen ab Mitte der 1890er Jahre Lichteffekte in ihre Bilder ein und brachten die Farben dickflüssiger auf. Die Jüngeren begannen bereits mit der hellen Farbpalette des Impressionismus. Bei den meisten dauerte die impressionistische Schaffensphase zehn bis 15 Jahre, später griffen sie auch Einflüsse anderer Stilrichtungen (Expressionismus, Neue Sachlichkeit) auf.
Der Impressionismus veränderte die Kunst an der Schwelle zur Moderne, indem er sich von den Regeln der althergebrachten Malerei löste. Er zeigte, dass Gemälde nicht realistisch und perfekt sein mussten, sondern auch schnell im Freien und bei natürlichem Licht, mit vielen Pinselstrichen und intensiven Farben gemalt werden konnten. Die industrielle Fertigung von Ölfarben in verschließbaren Bleituben ermöglichte unkomplizierte Naturstudien. Die meisten der Künstlerinnen machten dafür Ausflüge in die nähere Umgebung. Die bereits früh erfolgreiche, auf Landschaftsdarstellungen und bäuerliche Szenen spezialisierte Maria Caspar-Filser (1878–1968) schuf während ihrer Italien-Reisen detailreiche Skizzen als Vorlage für ihre späteren Ölgemälde. Ihr wurde 1925 als erster deutscher Malerin der Professorentitel verliehen. Während der NS-Zeit wurden viele ihrer Arbeiten als „entartet“ gebrandmarkt und aus den Sammlungen entfernt – ihr Werk geriet in Vergessenheit.
In Paris konnten sich Frauen bereits im späten 19. Jahrhundert an einigen privaten Kunstakademien einschreiben und durften sogar am Aktstudium teilnehmen. Dafür mussten sie zwar meist doppelt so hohe Gebühren bezahlen wie ihre männlichen Kollegen, bekamen jedoch eine international anerkannte Ausbildung. Von Mathilde Vollmoeller-Purrmann (1876–1943) ist aus ihrer Studienzeit in Paris neben etlichen Architekturdarstellungen auch ein „Männlicher Akt“ mit pastos gesetzten Pinselstrichen zu sehen. Luise Deicher (1891–1973) reiste um 1925 in die Schweiz und in den Mittelmeerraum. Dabei führte sie ein Reisetagebuch mit Feder- und Aquarellzeichnungen, die ihr später als Motivvorlagen für ihre Gemälde dienten.
Von Käte Schaller-Härlin (1877–1973) und Maria Hiller-Foell (1880–1943) sind auch Kirchenausgestaltungen zu sehen: ein Sujet, das lange Zeit Männern vorbehalten war. Denn die Arbeit an Wand und Decke ist anstrengend, außerdem muss man dafür auf hohen Gerüsten herumklettern, was sich damals für Frauen nicht ziemte. Als Käte Härlin 1907 als (noch) unverheiratete Frau die Kanzelwand der evangelischen Pauluskirche in Tailfingen ausmalte, hagelte es massenhaft Beschwerden. Aufgrund ihrer Freundschaft mit dem Architekten Martin Elsaesser erhielt sie weitere Aufträge. Sie entwickelte für die Wandflächen in der St. Blasius-Kirche in Holzelfingen sowie die Wandfelder und Chorfenster der Luther-Kirche in Baden-Baden Lichtental eine etwas modernere Formensprache. 1913 malte sie die Apsis der von Elsaesser entworfenen Stadtpfarrkirche Stuttgart-Gaisburg mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament aus. Maria Hiller-Foell gestaltete die Fenster von mehreren Sakralbauten sowie das raumhohe Hauptaltarbild (1931) der Taborkirche in Freudenstadt. Dabei kann man den in Richtung Abstraktion gehenden Einfluss ihres Lehrers Adolf Hölzel erkennen.
In der Städtischen Galerie werden an einer langen Wand die Arbeiten von Sally Wiest präsentiert. Sie war auf Landschaftsmalerei spezialisiert, wurde daher „Grüne Sally“ genannt und betrieb zusammen mit ihrer Schwester eine Malschule. Ihre beeindruckendste Arbeit in der Ausstellung ist ein mehrteiliges Panoramagemälde aus dem Jahr 1897, das einen Rundumblick von der Dachterrasse des Gebäudes in der Stuttgarter Urbanstraße, in dem sie damals wohnte, auf die darum herum liegende, mittlerweile stark veränderte Stadtstruktur zeigt.
Es werden in der Ausstellung auch Arbeiten von Pietronella Peters, Paula von Waechter, Anna Huber, Johanna Dann, Helene Wagner, Emma Joos, Anna Eichler-Sellin und Marie Sieger gezeigt. Eine – auch aus soziologischer Sicht – interessante Auswahl: Denn die meisten dieser Frauen waren ledig und kinderlos. Sie erhofften sich vermutlich mehr persönliche Freiheiten, obwohl unverheiratete Frauen um 1900 weder ein eigenes Konto führen, noch einen Atelierraum auf eigenen Namen anmieten konnten. Dies musste ihr Vater, Bruder oder anderer Familienangehöriger für sie erledigen. Von den verheirateten Malerinnen (die mit den Doppelnamen) waren vier mit Künstlern oder Architekten verheiratet, eine mit einem Kunsthistoriker und Kunsthändler: mit Partnern, die aus artverwandten Metiers stammten. Was ein bezeichnendes Licht darauf wirft, unter welchen Voraussetzungen eine erfolgreiche künstlerische Betätigung für Frauen möglich war: Als gut vernetzte Einzelkämpferin oder in einer weitestgehend gleichberechtigten Partnerschaft.
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