Bauwelt

Nusantara in Indonesien: die Inszenierung einer neuen Hauptstadt im Zeitalter der Bildökonomie

Präsident Joko Widodo kündigte 2019 an, die indonesische Hauptstadt von Jakarta in eine neu geplante Stadt in Ost-Kalimantan, Borneo, zu verlegen. Nusantara soll eine Smart City im Wald werden, Kritiker warnen jedoch vor den negativen Auswirkungen des Megaprojekts auf Tierwelt, Umwelt und lokale Gemeinschaften. Auf Bedenken reagiert die indonesische Regierung mit aufwendigen Image-Kampagnen, die gerenderte 3D-Modelle und Fluganimationen zeigen.

Text: Achmadi, Amanda, Melbourne

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    Titik Nol (englisch: „Ground Zero“) bildet das Kerngebiet, in dem die neue indonesische Hauptstadt Nusantara in Ost-Kalimantan, gebaut wird.
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    Titik Nol (englisch: „Ground Zero“) bildet das Kerngebiet, in dem die neue indonesische Hauptstadt Nusantara in Ost-Kalimantan, gebaut wird.

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    Das Gebiet besteht hauptsächlich aus Eukalyptusplantagen. Die Schilder markieren junge Bäume, symbolisch von indonesischen Gouverneu-ren auf dem Gelände, wo das Stadtzentrum errichtet werden soll, gepflanzt.
    Foto: Nick Hannes

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    Das Gebiet besteht hauptsächlich aus Eukalyptusplantagen. Die Schilder markieren junge Bäume, symbolisch von indonesischen Gouverneu-ren auf dem Gelände, wo das Stadtzentrum errichtet werden soll, gepflanzt.

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    Ein Gärtner gießt Peronema Canescens-Pflanzen in einem Gewächshaus in der Baumschule von Mentawir, ...
    Foto: Nick Hannes

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    Ein Gärtner gießt Peronema Canescens-Pflanzen in einem Gewächshaus in der Baumschule von Mentawir, ...

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    ... wo Bäume für die neue Hauptstadt groß gezogen werden.
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    ... wo Bäume für die neue Hauptstadt groß gezogen werden.

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    Assistenten des indonesischen Künstlers Nyoman Nuarta reinigen ein maßstabsgetreues Modell des künftigen Präsidentenpalastes. Das Gebäude ist in der Form eines mythischen Garuda-Vogels – dem Staatssymbol – gestaltet, der seine Flügel ausbreitet. Der skulpturale Kopf auf der Rückseite stellt den hinduistischen Gott Vishnu dar.
    Foto: Nick Hannes

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    Assistenten des indonesischen Künstlers Nyoman Nuarta reinigen ein maßstabsgetreues Modell des künftigen Präsidentenpalastes. Das Gebäude ist in der Form eines mythischen Garuda-Vogels – dem Staatssymbol – gestaltet, der seine Flügel ausbreitet. Der skulpturale Kopf auf der Rückseite stellt den hinduistischen Gott Vishnu dar.

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    Urban+ gewann den internationalen Wettbewerb für den Kernbereich der neuen Hauptstadt. Sofian Sibarani, Leiter des Stadtplanungsbüros, vor Planzeichnungen von Nusantara in den Büroräumen in Jakarta.
    Foto: Nick Hannes

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    Urban+ gewann den internationalen Wettbewerb für den Kernbereich der neuen Hauptstadt. Sofian Sibarani, Leiter des Stadtplanungsbüros, vor Planzeichnungen von Nusantara in den Büroräumen in Jakarta.

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    Plaza Bhinneka und Plaza Sipil sind zwei von drei großen Plätzen im geplanten Nusantara entlang der Hauptachse Sumbu Kebangsaan IKN.
    Rendering: (URBAN+) and Kementerian Pekerjaan Umum dan Perumahan Ra- kyat/PUPR (Ministry of Public Works and Public Housing of Republic of Indonesia)

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    Plaza Bhinneka und Plaza Sipil sind zwei von drei großen Plätzen im geplanten Nusantara entlang der Hauptachse Sumbu Kebangsaan IKN.

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    Details gibt es bisher nicht.

    Rendering: (URBAN+) and Kementerian Pekerjaan Umum dan Perumahan Ra- kyat/PUPR (Ministry of Public Works and Public Housing of Republic of Indonesia)

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    Details gibt es bisher nicht.

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Nusantara in Indonesien: die Inszenierung einer neuen Hauptstadt im Zeitalter der Bildökonomie

Präsident Joko Widodo kündigte 2019 an, die indonesische Hauptstadt von Jakarta in eine neu geplante Stadt in Ost-Kalimantan, Borneo, zu verlegen. Nusantara soll eine Smart City im Wald werden, Kritiker warnen jedoch vor den negativen Auswirkungen des Megaprojekts auf Tierwelt, Umwelt und lokale Gemeinschaften. Auf Bedenken reagiert die indonesische Regierung mit aufwendigen Image-Kampagnen, die gerenderte 3D-Modelle und Fluganimationen zeigen.

Text: Achmadi, Amanda, Melbourne

Weniger als zwei Wochen nach den indonesischen Präsidentschaftswahlen 2019, als das offizielle Ergebnis noch gar nicht bekannt gegeben worden war, leitete Präsident Joko „Jokowi“ Widodo seine zweite und letzte Amtszeit mit der Absichtserklärung ein, eine neue Hauptstadt für Indone­sien jenseits der Hauptinsel Java zu errichten. Ost-Kalimantan, der indonesische Teil von Borneo, der größten, aber am dünnsten besiedelten Insel Südostasiens, wurde als Standort ausgewählt. In einem Instagram-Post anseine 21 Millionen Follower stellte er die Frage, ob Jakarta, die derzeitige Hauptstadt und Zentrum der postkolonialen Geschichte Indonesiens, die Doppelbelastung als Verwaltungs- und Geschäftszentrum des Landes weiterhin bewältigen könne. In seiner jährlichen Ansprache an die Nation skizzierte er in demselben Jahr seine große Vision: „Die Hauptstadt ist nicht nur ein Symbol der nationalen Identität, sondern auch eine Darstellung des Fortschritts der Nation [...]. Es geht um die Verwirklichung von wirtschaftlicher Gleichheit und Gerechtigkeit.“
Die chronischen ökologischen und sozialen Probleme Jakartas − das Ergebnis jahrzehntelanger Misswirtschaft − sind hinlänglich bekannt. Die Raum- und Masterpläne der Stadt sind improvisiert, um flexibel auf Verhandlungen zwischen der Stadtverwaltung, mächtigen privaten Bauunternehmerinnen und Oligarchen reagieren zu können. Außerdem wurde der Bereitstellung einer angemessenen Basisinfrastruktur, wie zum Beispiel sauberes Leitungswasser und ein öffentliches Gesundheitssystem, trotz des explodierenden Bevölkerungswachstums, nie Priorität eingeräumt. Beherrscht vom Prozess des „Nation Building“ und den neoliberalen Mechanismen der Stadtentwicklung, ist Jakarta heute immer noch nicht in der Lage, rund neun Millionen Einwohner und Einwohnerinnen mit Wasser zu versorgen, weshalb die Menschen in hohem Maße auf die Entnahme von Grundwasser angewiesen sind, was wiederum die Hauptursache für das schnelle Absinken der Stadt ist. Vierzig Prozent der Stadtfläche liegen unter dem Meeresspiegel.
Jokowis Vision einer neuen Hauptstadt scheint eine Antithese zu Jakarta zu sein, ironischerweise die Stadt, in der er seine politische Karriere festigte. Es stellt sich folgende grundsätzliche Frage: Kann dasselbe neo­liberale Modell der Stadtgestaltung und dieselbe Ausgestaltung der na­tionalen Identität überhaupt eine andere Art von Stadt schaffen, noch dazu eine, die wirtschaftliche Gleichheit und Gerechtigkeit erreicht?
Die Idee, eine neue Hauptstadt weit weg von Jakarta zu errichten, ist für Stadthistorikerinnen, Stadtplaner und die Öffentlichkeit nicht neu. Präsident Sukarno schlug erstmals 1957 vor, die Hauptstadt nach Kalimantan zu verlegen, als er Palangkaraya, eine Stadt in der geografischen Mitte des Landes, als Hauptstadt der damals neu gegründeten Provinz Zentralkalimantan einweihte. 1997, nur ein Jahr vor seinem Sturz, schlug Präsident Suharto vor, die Hauptstadt nach Jonggol in Westjava zu verlegen. Es überrascht daher nicht, dass Jokowis Ankündigung von politischen Gegnern, Wissenschaftlerinnen, Umweltorganisationen und der Bevölkerung mit Skepsis aufgenommen wurde, da sie an seiner Fähigkeit zweifelten, dieses schon lang diskutierte Vorhaben tatsächlich zu verwirklichen. Doch ungeachtet des Vorbehalts wurde über Jokowis Erklärung in den lokalen und internationalen Medien ausführlich berichtet, was der Ankündigung einen Grad an Glaubwürdigkeit verlieh, den frühere Vorschläge offenbar nie erreichten. Zudem kann er auf Erfolge bei der Umsetzung großer Infrastrukturprojekte verweisen, wie etwa das längst überfällige Schnellbahnsystem in Jakarta und das Errichten von notwendigen Deichen und Dämmen. Seine Präsidentschaft entwickelt sich zum Ende hin zu einer rasanten Kampagne, mit dem Ziel, eine kollektive Vorstellung der neuen Hauptstadt zu kultivieren.
Eine Waldstadt
Die neue Hauptstadt mit einer geplanten Bevölkerung von 1,5 Millionen Menschen soll auf einer Fläche von 253.000 Hektar in einem hügeligen Gelände errichtet werden, das sich über die Bezirke Penajam Paser Utara und Kutai Kartanegara erstreckt. Das Gebiet umfasst Flächen mit Konzessionen für industrielle Forstwirtschaft und Bergbau, Land der indigenen Bevölkerung und Siedlungen für den Wanderfeldbau. Die Region ist berüchtigt für den (illegalen) Kohlebergbau und großflächige Monokulturen. Der abgelegene Ort war der Mehrheit der Indonesier und Indonesierinnen bis dahin weitgehend unbekannt, sodass bei öffentlichen Präsentationen Markierungen auf Karten notwendig waren. Um einen direkten Zugang zu schaffen, wird derzeit eine Mautstraße von Grund auf neu gebaut. Es handelt sich dabei um ein Mega-Infrastrukturprojekt im Herzen Borneos, einem der letzten Randgebiete des Ökosystems Regenwald auf der Welt, mit etwa 15.000 Pflanzenarten. Der nahe gelegene Mahakam-Fluss und der verbleibende Regenwald in Ost-Kalimantan sind der natürliche Lebensraum von unter anderem zwei vom Aussterben bedrohten beziehungsweise gefährdeten Orang-Utan-Arten, dem Irawadidelfin und dem Langnasen-Affen.
2022 erreichte Jokowi einen wichtigen Meilenstein. Das Repräsentantenhaus verabschiedete das Gesetz über die nationale Hauptstadt, eine Rechtsgrundlage für die Verlegung der Hauptstadt mit geschätzten Kosten von 32 Milliarden US-Dollar. Das Gesetz regelt die kleinsten Details für Nusantara, zum Beispiel die Mindestgröße der Wohnräume eines Beamten. Öffentliche Investitionen decken lediglich zwanzig Prozent der Kosten, weswegen Jokowi und seine Regierung auf Roadshow unter anderem nach Singapur gehen müssen, um ausländische und private Investoren zu gewinnen, die die restlichen achtzig Prozent der Kosten übernehmen. Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emi-rate, die angeblich an Investitionen interessiert sind, haben noch keine größeren vertraglichen Verpflichtungen unterzeichnet. Um die erste Phase der Errichtung der neuen Hauptstadt zu überwachen, wurde die „New Capital Authority“ eingerichtet. Hauptziel ist es, die wichtigsten Regierungsfunktionen in die neue Hauptstadt zu verlegen und den Komplex des Präsidentenpalastes am 17. August 2024 einzuweihen, dem 79. Jubiläum des indonesischen Unabhängigkeitstages und das letzten Jahr von Jokowi als Präsident. Doch während Bulldozer und Bagger Hektar um Hektar Plan­tagenwald roden, wurde bis jetzt noch kein einziges Vorzeigebauwerk errichtet. Bereits bis 2045 soll die Stadt fertiggestellt sein.
Was für eine Stadt könnte aus diesem im Eiltempo durchgeführten neo-liberalen Planungs- und Entwicklungsprozess hervorgehen? Im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs für einen Masterplan des Kernbereichs der neuen Hauptstadt wurden 2019 rund dreihundert Entwürfe eingereicht. Der siegreiche Entwurf des in Jakarta ansässigen Stadtplanungsbüros Urban+ trägt den Titel „Nagara Rimba Nusa“ (frei übersetzt: Verwaltung von Wald und Inseln). Urban+ bettet die gegenwärtigen Vorstellungen einer nationalen Identität Indonesiens wieder in die javazentrierte Erzählung des Archipels vom 13. Jahrhundert ein, der Ära des klassischen hinduistischen javanischen Königreichs Majapahit. Die neue Hauptstadt erhielt den Namen Nusantara, ein weiteres Wort aus dem Sanskrit, das „Inseln dazwischen“ oder „Archipel“ bedeutet. Präsident Jokowi wählte den Namen aus über 80 Vorschlägen aus. Nusantara ist ein komplexer alter Begriff, der in verschiedenen historischen Phasen Südostasiens eine Rolle gespielt hat. Er hat mehrere Bedeutungen und geografische Reichweiten, aber im heutigen Indonesien wird er weithin verwendet, um ein Gefühl von Nationalität in Verbindung mit dem Archipelgebiet des Landes zu wecken.
3D-Simulationen statt Präzision und Kontext
Sofian Sibarani, der leitende Architekt und Stadtplaner hinter dem Entwurf, nennt den tropischen Wald und die ursprüngliche Architektur Kalimantans als eine Inspirationsquelle für die Entwicklung der neuen Hauptstadt, die in Indonesien unter der Abkürzung I.K.N. (Ibu Kota Negara) bekannt ist. Der Masterplan, der bis jetzt nur durch eine Reihe von gerenderten 3D-Modellen und Fluganimationen dargestellt wird, zeigt eine organische Verteilung von Gebäudeclustern, die von üppigen tropischen Landschaften sowie mäandernden Flussnetzen und Seen umgeben sind. Im Zentrum der Stadt befindet sich eine monumentale Achse, die von einer Reihe öffentlicher Plätze und Regierungsgebäuden gesäumt wird. Sibarani schlug vor, dass der Bau der Stadt mit der Wiederherstellung des Regenwaldes auf dem Gelände beginnen sollte. In Nusantara sollen ihm zufolge Ideen der Smart City und der Nachhaltigkeit zusammen kommen. Siebzig Prozent des 253.000 Hektar großen Stadtgebiets sollen Grünflächen, nur dreißig Prozent der Fläche bebaut sein. Zum Vergleich: In Jakarta existieren weniger als zehn Prozent Grünfläche. Sibaranis Entwurf umfasst Pfahlbauten und erhöhte Gehwege, sodass die Bewohner und Bewohnerinnen das hügelige Gelände von Nusantara umgehen können. Die natürliche Schichtung eines tropischen Blätterdachs soll nachgeahmt werden was für eine kühlende Brise sorgen und die Versickerung von Regenwasser begünstigen soll, um dem Absinken des Bodens entgegenzuwirken. Außerdem soll Nusantara als 10-Minuten-Stadt angelegt und öffentliche Verkehrsmittel gefördert werden. In Jakarta nutzen 16 Prozent der Bevölkerung öffentliche Verkehrsmittel; in Nusantara strebt Jokowi achtzig Prozent an.
Doch abgesehen von der erklärten Designphilosophie und der Visualisierung von Gebäuden und Freiflächen wurde kaum etwas, über den Standort, die Bedingungen für die einheimische Flora und Fauna und das Ausmaß der für den Bau einer Stadt dieser Größenordnung und ihrer notwendigen Infrastruktur erforderlichen Landrodung und -umwandlung bekannt gegeben. Was die Öffentlichkeit zu sehen bekommt, sind Simula­tionen städtebaulicher Visionen und Drohnenvideos einer Landschaft, die mit immer größeren Baustellen übersät ist. Die kombinierten Darstellungstechniken suggerieren Realismus, aber es fehlt an Präzisierungen und Kontext. Eine Stadt ist mehr als eine räumliche und visuelle Einheit, und ein Masterplan einer Stadt muss über seine Morphologie hinaus verstanden und hinterfragt werden können.
Garuda-Palast
Anfang 2021 verkündete der indonesische Bildhauer Nyoman Nuarta, der die Garuda-Wisnu-Kencana-Statue auf Bali geschaffen hat, überraschend auf seinem Social-Media-Account, dass Präsident Jokowi seine Statue als Konzeptentwurf für den Präsidentenpalastkomplex ausgewählt hat. Der Entwurf des kolossalen vogelähnlichen Gebäudes symbolisiert das nationale Symbol Indonesiens, den Garuda, einen mythischen, adlerähnlichen Vogel aus der Hindu-Mythologie. Der Entwurf, das undurchsichtige Auswahlverfahren und die Tatsache, dass der Bildhauer nicht über die erforderliche berufliche Qualifikation für die Leitung eines derartigen architektonischen Projekts verfügt, führten zu heftiger Kritik seitens des indonesischen Instituts der Architekten und vier weiterer Berufsverbände, einschließlich der Jury des ursprünglichen Wettbewerbs für den Masterplan der Stadt.
Trotz der Kontroverse wird die Statue nun als Leitmotiv für den Bau des Präsidentenpalastkomplexes herangezogen, der den höchsten Punkt der städtischen Achse in Nusantara einnehmen wird. Als vogelähnliche Struktur thront das Gespenst von Jakarta und seinem javazentrischen Paradigma über der neuen Hauptstadt.

Ist die grüne Agenda der Stadt glaubwürdig?
Es ist schwierig, die von Jokowi proklamierte Gleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung, geschweige denn die sozial-räumliche Gerechtigkeit für das regionale Indonesien innerhalb dieser Stadtimagination von Nusantara zu erfassen. Zu stark wird es von der figurativen Symbolik der natio-nalen Identität und des Fortschritts dominiert. Wie werden sich die neue Stadt, ihre Einwohner und Einwohnerinnen, von denen viele aus Java kommen werden, auf die Lebensgrundlage von rund 20.000 Menschen auswirken, die derzeit in dem Gebiet und den umliegenden Regionen leben? Die Dezentralisierung von Java und Jakarta erfordert einen echten Dialog und die Einbindung der Peripherie. Um den Rest Indonesiens in den Vordergrund zu rücken, sollte die Konzeption der neuen Hauptstadt mit einer Reflexion über die vergessene und schwierige Vergangenheit des Landes beginnen, darunter die Marginalisierung und Vertreibung indigener Gruppen durch die ausbeuterische Rohstoffgewinnung auf dem gesamten Archipel. Keiner dieser Dialoge und Überlegungen scheint in der Konzeption der neuen Hauptstadt eine Rolle zu spielen. Die Bereitstellung von Wohnraum für lokale Gemeinschaften ist im Masterplan nicht zu erkennen. Die Zukunft ihrer Kulturlandschaft und die Verbindung zu ihrem angestammten Territorium bleiben unklar. Während Nusantara allmählich Gestalt annimmt, ist immer weniger von der Region Ost-Kalimantan zu sehen und zu erkennen.
Im Hinblick auf die Ökologie wurde kaum erläutert, wie sich die Biodiversität des Regenwaldes auf dem Gelände regenerieren soll, das derzeit mit nicht einheimischen Eukalyptusplantagen in Monokulturen bedeckt ist. Wie wird die Stadt außerdem ihr Ziel erreichen, CO2-neutral zu sein, und wie wird sie ihre schädlichen Auswirkungen auf die ohnehin schon empfindlichen Lebensräume der einheimischen Fauna und die Hydrolo-
gie Ost-Kalimantans, das unter der Knappheit an sauberem Wasser leidet, in den Griff bekommen? Ohne technische Ausarbeitung der ökologischen Nachhaltigkeitsstrategie und der Regenerationsfähigkeit lässt sich kaum beantworten, ob die grüne Agenda der Stadt überhaupt glaubwürdig ist. Die ökologischen und sozialen Kosten für den Bau einer Stadt dieses Ausmaßes an einem abgelegenen Ort, der bereits ein halbes Jahrhundert lang durch ausbeuterische Praktiken der Ressourcengewinnung geprägt ist, werden immens sein. Die neue Hauptstadt wird als Prototyp einer „zukünftigen Smart-Forest-Stadt“ beworben und vermarktet. Es gibt eine Kluft zwischen Jokowis Ambitionen – eine saubere, grüne Stadt für eine saubere, grüne Nation – und der Realität eines Landes, in dem die Zerstörung unberührten Regenwaldes vorangetrieben wird. Besorgniserregend ist, dass die Regierung sich bisher geweigert hat, die Umweltverträglichkeitsprüfung für das Hauptstadtprojekt zu veröffentlichen. Es ist schwer, über den ökologischen Fußabdruck von Nusantara nachzudenken, wenn man im Zeitalter des Klimanotstands lebt. Dass bis Ende nächsten Jahres 60.000 Menschen in Nusantara leben sollen, bereitet selbst Architekt Sibarani Sorgen, denn: Es ist noch kein einziger Wohnturm gebaut. Der örtliche Boden besteht aus dünnem Lehm, der, wenn er unbehandelt bleibt, nicht einfach Wolkenkratzerblöcke tragen kann.
Die indonesische Regierung reagiert auf solche Bedenken mit der Ausweitung ihrer Image-Kampagne in den sozialen Medien und auf ihren Youtube-Kanälen, wo fast täglich aktuelle Informationen über die Bauaktivitäten und den Fortschritt auf der Baustelle zu sehen sind – immer begleitet von einer Liste von Nachhaltigkeitszielen. Im Zeitalter der Bildökonomie ist die Visualisierung von Stadtformen, monumentaler Architektur, üppiger Landschaft und Nachhaltigkeitszielen die Zauberformel, um Kunden, Investorinnen und in diesem Fall die Nation zu überzeugen.
Postkoloniale Städte und geplante Städte
Postkoloniale Hauptstädte wie Jakarta sind mit der Aufgabe der Repräsentation belastet. Sie vermitteln und visualisieren bestimmte Vorstellungen von Nationalismus gegenüber ihren eigenen Bürgern und Bürgerinnen und dem Rest der Welt. Darüber hinaus erinnert uns Abidin Kusno, Professor an der Fakultät für Umweltstudien der York University und derzeit Direktor des York Center of Asian Research (YCAR) daran, dass urbane Formen und architektonische Wahrzeichen mächtige Instrumente zur Verräumlichung und Verstärkung bestimmter Machtverhältnisse sind, wie sie von den herrschenden postkolonialen Regierungen und Eliten angestrebt werden. Diskussionen über den Zustand von Jakartas nationalen Denkmälern und städtische Wahrzeichen machte die Zivilgesellschaft und die Öffentlichkeitschon früher zu passiven Zuschauern, während die Regierung ihre Vorstellungen durchsetzte. Derselbe Prozess hat sich bei der Konzeption von Nusantara abgespielt.
In anderen Ländern sind geplante Hauptstädte wie Brasília oder Canber-ra zwar von monumentalen architektonischen und exemplarischen städ­tischen Räumen geprägt, doch fehlt ihnen oft der urbane und kommunale Charakter. Sie sind zwar symbolträchtig, aber nicht die lebendigsten, lebenswertesten oder beliebtesten Städte in ihrem jeweiligen Land. Vielmehr werden sie oft als Symbole staatlicher Macht oder, in der Sprache unseres visuellen Jahrhunderts, als nationales Branding, als Logo der Nation gesehen, das wenig über ihre gelebte soziale Dynamik oder ihre Region verrät. Die Inszenierung von Nusantara im Indonesien des 21. Jahrhunderts folgt dieser Entwicklungslinie. Wir werden Zeuge der Errichtung einer Hauptstadt als urbanes Spektakel, bei dem monumentale architektonische Formen und urbane Symbole an die Stelle der gelebten sozio-ökologischen Gestaltung eines urbanen Lebensraums treten. Nusantara ist der Prototyp einer Hauptstadt im Jahrhundert der Bilder. Wie der französische Situationist Guy Debord sagte, ist „das Spektakel keine Ansammlung von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.“ Eine neue Hauptstadt für einen Staat mit so vielen Ungleichheiten und Vielfalt stellt sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance zur Neuerfindung dar. Doch klar ist, eine neue Hauptstadt auf Borneo wird nichts an der Tatsache ändern, dass Millionen von Menschen im untergehenden Jakarta zurückbleiben werden.

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