Bauwelt

Poröse Städte träumen

Liu Jiakun gewinnt den Pritzker-Preis

Text: Meyer, Ulf, Berlin

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    Das West Village vereint mehrere Typologien – Gebäude, Infrastruktur, Landschaft und öffentlichen Raum. Ansteigende Wege für Radfahrer und Fußgängerinnen umschließen das fünfgeschossige Projekt.
    Foto: Arch-Exist

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    Das West Village vereint mehrere Typologien – Gebäude, Infrastruktur, Landschaft und öffentlichen Raum. Ansteigende Wege für Radfahrer und Fußgängerinnen umschließen das fünfgeschossige Projekt.

    Foto: Arch-Exist

Poröse Städte träumen

Liu Jiakun gewinnt den Pritzker-Preis

Text: Meyer, Ulf, Berlin

Das internationale Interesse an chinesischer Architektur hat in den letzten Jahren spürbar nachgelassen. Geopolitische Spannungen und eine veränderte Wahrnehmung Chinas haben dazu beigetragen, dass das Land heute als autoritär und wirtschaftlich dynamisch, jedoch ohne demokratische Öffnung gesehen wird. Chinesische Städte haben sich innerhalb einer Generation von fahrradfreundlichen Orten zu dicht bebauten Metropolen mit ausgedehnten Hochhaussiedlungen und Schnellstraßen gewandelt. Vor zwanzig Jahren war die Stimmung eine andere: China wurde in Europa vielfach als aufstrebendes Land wahrgenommen, in dem eine vielversprechende Baukultur heranwuchs. Trotz der Dominanz staatlicher Großbüros für Architektur, den sogenannten „Design Instituten“, entstand Ende des 20. Jahrhunderts eine Generation unabhängiger und gut ausgebildeter Architektinnen und Architekten, die außerhalb der Planwirtschaft arbeiteten. Liu Jiakun gehörte zu diesem Kreis. Sein Werk wurde nun mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. In Europa – und außerhalb Chinas – wurden seine Arbeiten erstmals 2001 in einer Ausstellung bei Aedes in Berlin präsentiert.
Die Ausstellung „Tu Mu – Young Architecture from China“, die unter anderem von Eduard Kögel und dem Autor dieser Zeilen kuratiert wurde, präsentierte damals – ohne es vorherzusehen – unter anderem die Werke von zwei Architekten, die später mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet werden würden. Wang Shu war im Jahr 2012 der erste chinesische Architekt, dem diese Ehrung zuteil wurde (I. M. Pei zählt als US-amerikanischer Architekt). Die Entscheidung der Jury rückte damals ein Werk in den Fokus, das sowohl polarisierte als auch faszinierte. Wenn ein derart verschlossener Entwerfer solche Meisterwerke hervorbringen kann, welche Plethora von wei­teren Hundertschaften an Star-Architekten wäre dann vom riesigen Reich der Mitte in Zukunft noch zu erwarten? Doch die Serie blieb aus, Wang Shu blieb über längere Zeit eine singuläre Erscheinung in dieser Hinsicht. Mit der Wahl von Liu Jiakun lenkt die Jury nun erneut die Aufmerksamkeit auf einen chinesischen Architekten, dessen Werk einen eigenständigen Beitrag zur zeitgenössischen Architektur leistet.
In der Megastadt Chengdu, die heute mit 22 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu den größten Städten der Welt zählt, hat Liu Jiakun Gebäude geschaffen, die das Verhältnis von Dichte und Freiraum auf neue Weise definieren. Das „West Village“ aus dem Jahr 2015, ein poröses, gemischt genutztes Stadtquartier, bildet einen wohltuenden Kontrast zum dichten Geflecht der umgebenden Hochhäuser. Rad- und Fußwege umschließen das Viertel und verleihen ihm den Charakter einer Stadt in der Stadt. Sein Opus magnum zeigt, dass urbane Dichte, das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Ort und neue Formen des großstädtischen Zusammenlebens keine Gegensätze sein müssen. Die schlanken Gebäudezeilen, die den Baublock umrahmen, beherbergen Restaurants, während sich im Inneren Sport- und Spielplätze befinden. Das Ensemble fungiert als öffentlicher Raum.
Lius frühes Verständnis für die Kraft einfacher Architektur ist auch auf seine Zeit als junger Mann in Tibet zurückzuführen – eine Region, deren Bautraditionen er ohne Nostalgie studierte. Seit der Gründung seines Büros im Jahr 1999 hat er rund dreißig Gebäude entworfen, vor allem Hochschulen und Museen, ausschließlich in China, wie das Luyeyuan Stone Sculpture Art Museum (2002), das Department of Sculpture, Sichuan Fine Arts Institute (2004), Museum of Clocks (2007), Shuijingfang Museum (2013), Suzhou Museum of Imperial Kiln Brick (2016) oder zuletzt die Renovierung des Tianbao-Höhlenbezirks der Stadt Erlang (2021). Seine Architektur weicht wohltuend von der gängigen chinesischen Bau­ästhetik ab. Liu Jiakun: „Ich strebe immer danach, wie Wasser zu sein – einen Ort zu durchdringen, ohne eine feste Form zu haben, und in die Umgebung und den Ort selbst einzudringen. Mit der Zeit verfestigt sich das Wasser allmählich und verwandelt sich in Architektur.“ Fürihn hat Architektur die Kraft, menschliches Verhalten zu formen und ein Gefühl von Gemeinschaft zu fördern – wer könnte dem widersprechen?

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