Pulsierende Wand
Der französische Urban-Art-Künstler Alexis Bust Stephens verbindet Tanz mit Malerei und nutzt den öffentlichen Raum, um ihn künstlerisch zu gestalten.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Pulsierende Wand
Der französische Urban-Art-Künstler Alexis Bust Stephens verbindet Tanz mit Malerei und nutzt den öffentlichen Raum, um ihn künstlerisch zu gestalten.
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Eine ganz eigene, für ihn typische Malweise hat der französische Künstler Alexis „Bust“ Stephens: Mit schwungvollen Pinselstrichen verdichtet er die Bewegungen der meist tanzenden, springenden, sich drehenden oder fliegenden Figuren, sodass sie für den Betrachter lebendig erscheinen. Er gehört seit einigen Jahren zu den aufstrebenden Künstlern der französischen Urban Art, wird regelmäßig zu internationalen Festivals eingeladen und erhält viele Aufträge für großformatige Wandgestaltungen, vor allem in Frankreich, aber auch in Deutschland, Portugal, der Schweiz oder in den USA.
Die Übergänge zwischen der ungefragt angebrachten Street Art und der legalen, mittlerweile im Mainstream angekommenen Urban Art, bei der einige der Künstlerinnen zusätzlich zu ihren Wandgestaltungen auch noch auf deutlich kleineren, transportablen Bildträgern arbeiten, die später in Galerien oder Museen landen, sind fließend. Auch Stephens malt auf Leinwänden. Seinen Arbeiten werden derzeit in einer Ausstellung über mehrere Geschosse in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen verteilt gezeigt. Darunter vor allem Gemälde, ein paar Zeichnungen und kleinere Plastiken, eine spannende Bilderschau seiner zahlreichen, sich von „Vandalismus“ in Richtung Auftragsarbeit mit selbst gewählten Motiven bewegenden Wandgestaltungen, ein Video und ein großes, am Eröffnungswochenende bei einer Live-Painting-Action vor dicht besetztem Publikum entstandenes, hier auch dauerhaft verbleibendes Wandbild.
Alexis „Bust“ Stephens wurde 1983 in einem Vorort von Paris als Sohn einer französischen Tanzlehrerin und eines jamaikanischen Schauspielers geboren. Seine Mutter unterrichtet in Sucy-en-Brie, der französischen Partnerstadt Bietigheim-Bissingens. Dadurch kam er bereits in seiner Kindheit mit dem Tanzen in Berührung und trat später auch selber in Hip-Hop- und Breakdance-Formationen bei Performances und Wettbewerben auf. Die Hip-Hop-Szene mit ihren verschiedenen Facetten – Rap, Breakdance oder Graffiti-Writing – war schon immer darauf ausgerichtet, den öffentlichen Raum künstlerisch zu gestalten und eigene Spuren zu hinterlassen. Zusammen mit weiteren jungen Kunstschaffenden aus den Bereichen Tanz, Malerei, Video, Fotografie und Musik gründete Alexis die Gruppe „Bang Crew“, die in halb Europa auf Tour ging, um so an verschiedenen Orten unterschiedliche Projekte zu realisieren, inklusive dem Malen von großformatigen Murals in Lost Places und dem Ankleben von vorher bereits vorbereiteten Paste-ups an bekannten Touristen-Hotspots, in Kombination mit Musik und spontanen Tanzeinlagen.
Alexis war, wie man an den in einer Vitrine präsentierten Skizzen figurativer Darstellungen erkennen kann, scheinbar schon immer ein begnadeter Zeichner. Daher beschloss er während seiner Arbeit mit der „Bang Crew“, seinen Fokus fortan stärker auf die Malerei zu legen. Sein Alias „Bust the Drip“ geht auf seine charakteristische, fast schon tänzerisch-bewegte Malweise zurück – eine Kombination aus dem Slang-Ausdruck „to bust a move“, der im Tanz verwendet wird, und den „Drips“ (verlaufende Farbe), die sein Werk prägen. Seine Mischtechnik aus Ölkreiden und Acrylfarben, teils ergänzt durch gesprayte Akzente, war in seinen frühen Bildern noch pulsierend bunt. In einigen neueren Arbeiten ist die Strichführung reduzierter, und die Farben wirken gedämpfter.
In Deutschland entstand 2024 in Düsseldorf im Zuge der Fußball-Europameisterschaft an einer belebten Straßenachse eine eindrucksvolle großformatige Darstellung eines sich bewegenden Tänzers an der Stirnwand eines bereits von weitem sichtbaren Wohn- und Geschäftshauses. 2021 gestaltete er im Urban Art Konzept-Hotel Liebesbier in Bayreuth ein Gästezimmer mit Pinsel, Spray und Kreide.
Zu seinen bekanntesten Arbeiten in Frankreich gehört die 2020 beim Urban Altitude Festival an der umlaufenden Glasscheibe der Dachterrasse des Tour Montparnasse in Paris entstandene, lediglich temporäre Arbeit „Top of the City“, bei der zwei Figuren den beliebten Blick auf den Eifelturm seitlich „einrahmen“: ein damals ebenso beliebtes Selfie-Hintergrund-Motiv wie das im Rahmen der Ausstellung neu entstandene Wandbild im zweiten Obergeschoss der Galerie. Vor kurzem wurde Alexis damit beauftragt, die vier bei den Olympischen Spielen in Paris (2024) neu eingeführten Disziplinen Skateboard, Sportklettern, Surfen und Breaking für das Olympia Museum in Lausanne bildlich darzustellen, eine seiner wenigen Auftragsarbeiten mit vorgegebenem Thema, die er aber trotzdem – da er aus der Breakdance-Szene stammt – gerne angenommen hat.
Seine kleineren Werke haben teilweise autobiografische Bezüge und zeugen von einer guten Beobachtungsgabe: Man sieht Traceure beim Parkour durch die Banlieue von Paris sowie auf einer „Le Mal de l’Époque“ (Das Übel dieses Zeitalters) bezeichneten Arbeit aus dem Jahr 2023. Darauf sieht man einen – nach der Corona-Zeit – einsam und verloren in einer tristen Vorstadtszenerie bewegungslos herumsitzenden Jungen, der auf sein Handy starrt: ein Sinnbild für unsere heutige Zeit und diese Generation. In einer Bildserie widmet sich Alexis der historischen Persönlichkeit Joseph de Bologne (1745–99), bekannt als „Chevalier des Saint-Georges“. Er war der Sohn eines französischen Adligen und einer versklavten Frau aus Guadeloupe. Bologne war ein außergewöhnliches Multitalent: ein virtuoser Geiger, Komponist und Dirigent sowie ein äußerst erfolgreicher Fechter.
In den sozialen Medien gibt es einen wahren Hype um die (bei illegal angebrachten Werken oft schnell wieder verschwundenen) Arbeiten der Street und Urban Art. Bei vielen dieser Schnappschüsse kann man jedoch weder den städtebaulichen Kontext noch die genaue Haptik der Werke richtig erkennen. Und auch wenn man sich darüber streiten kann, ob diese Arbeiten ins Museum gehören: Die aktuelle Ausstellung schafft das Kunststück, durch die Kombination einer umlaufenden Werk-Bilderschau mit kleineren Originalen Alexis „Bust“ Stephens‘ individuelle Malweise näher vorzustellen und gleichzeitig auch einen guten Überblick über seine ab 2016 geschaffenen Wandmalereien zu vermitteln.
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