Randphänomenal
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin
Randphänomenal
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Landes, Josepha, Berlin
„It’s the edge of the world and all of western civilization“, heißt es in dem Los Angeles gewidmeten Song „Californication“ der Red Hot Chili Peppers. L.A. ist die Stadt der Populärkultur: Man muss nur „Hollywood“ sagen, und jeder hört „Zentrum des Kinos“. Es ist die Heimat von Disney Land, des Westcoast-Gangsta-Rap sowie von Softrock und Westcoast Sound. Auch für die Stadtplanung war Los Angeles Jahrzehnte lang ein Quell der Inspiration – mindestens seit der vom Auto bestimmten Entwicklung nach 1945. Dieses Modell scheint sich überlebt zu haben, doch das macht einen Blick auf die südkalifornische Metropole umso lohnender. Themen, die uns hierzulande beschäftigen – die Städte auf den Klimawandel vorzubereiten, die Mobilität neu zu organisieren, die Wohnungsnot zu lindern – spitzen sich dort auf eine Weise zu, die es noch dringender macht, Lösungen zu entwickeln. Anlass genug, nach Jahrzehnten – die letzte Bauwelt-Ausgabe zu Los Angeles erschien 1989! – nach Kalifornien aufzubrechen.
Die schiere Ausdehnung der „Stadt“, aber auch ihre Polyzentralität machen das Verständnis von Los Angeles schwer. L.A. hat keine Mitte. Wenn es Berlin darin zwar ähnelt, ist seine Downtown doch ein im städtischen Kosmos viel weniger hell strahlender Stern, als dessen Bezirk „Mitte“. Und es dauert, die Beziehung der vielen diesen Fixstern umflirrenden Satelliten untereinander zu entschlüsseln. Jedes dieser Subzentren, von Agoura Hills bis Whittier, ist in sich komplex und von ganz eigenem Charakter – topographisch, sozial, ethnisch. Recht schnell erschließen sich demgegenüber die drängendsten Probleme der Stadt und des County; die mit ihnen verbundenen Phänomene springen geradezu ins Auge: Unübersehbar bleibt die Obdachlosigkeit, die sich in Skid Row im Osten von Downtown konzentriert, von dort aber mittlerweile bis in die einst sakrosankten Suburbs ausgreift. Sie steht natürlich in Zusammenhang mit der niedrigen Dichte der Stadregion, die so viel Potenzial bieten könnte für bauliche Verdichtung – hätte nicht auch sie ihre „Gründe“ im American Way of Live. Und wer steht schon gern im Dauerstau auf den Freeways!? Die noch immer weitgehend auf Individualverkehr beruhende Mobilität in der Metropolregion stellt ein weiteres Puzzleteile zum Bild der „City on the Edge“ dar. Los Angeles ist am Kipppunkt. Immer schon war die „Frontier“ wesentlicher Bestandteil der Amerikanischen Erzählung. Sie bedeutet ein Ziel, das es zu erreichen, und einen Hürde, die es zu überwinden gilt, um den Reiz der Freiheit auszukosten. Wo nun der besiedelbare Raum verzehrt ist, bleibt der digital erschaffene, und es bleiben die Lüfte für weitere Expansion: Los Angeles ist als Stadt am Rand des Möglichen auch eine Stadt der Möglichkeiten. Vermutlich werden sich die hier von der Tech-Branche erprobten Visionen und Szenarien bald überall auf der Welt wiederfinden.
Für diese StadtBauwelt haben wir fünf Handlungsfelder ausgemacht, die die facettenreiche Gegenwart der Metropole auf eine unserem Medium angemessene Art und Weise greifbar machen mögen. Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden, denn in einer Sphäre dieses Ausmaßes ist der persönliche Wegweiser unerlässlich. Unser besonderer Dank gilt Edward Dimendberg, dessen Hilfe, Kontakte und Anregungen den Exkurs überhaupt ermöglicht haben. Außerdem wäre diese Ausgabe weniger stringent ohne Iwan Baans überbordendes Bildarchiv. Es war uns eine Ehre, seine Eindrücke für diese Ausgabe sichten zu dürfen.
Mögen die USA uns Europäern auch vertraut scheinen, man misst dort doch vieles mit anderem Maß – nicht zuletzt Längen und Flächen. Wir ha-ben zum einfacheren Verständnis auf deutsche Einheiten umgerechnet.
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