Repräsentanz am Rand
Im bayerisch-schwäbischen Illertissen werten Studio Sozia und Stadtplus das Rathausumfeld behutsam auf. Das alte Feuerwehr-Gerätehaus wird zum Bürgerzentrum, der Marktplatz zum Stadtgarten. Das Projekt könnte beispielgebend für die zukunftsfähige Aktivierung kleinstädtischer Strukturen werden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Repräsentanz am Rand
Im bayerisch-schwäbischen Illertissen werten Studio Sozia und Stadtplus das Rathausumfeld behutsam auf. Das alte Feuerwehr-Gerätehaus wird zum Bürgerzentrum, der Marktplatz zum Stadtgarten. Das Projekt könnte beispielgebend für die zukunftsfähige Aktivierung kleinstädtischer Strukturen werden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Der Umgang mit dem Rathausumfeld Illertissen „könnte zum Vorzeigeprojekt werden“, zitierte die örtliche Presse Johannes Kappler, Professor für Städtebau an der Hochschule München und Teil des Preisgerichts. Das Rathaus-Areal, Herz der Kleinstadt, soll bald Aufwertung erfahren: mehr Grün und mehr Gemeinschaft. Fünf Büros wurden zu diesem in einem nichtoffenen Realisierungswettbewerb mündenden Vorhaben eingeladen, für zehn weitere Plätze gab es über hundert Bewerbungen.
Illertissen zwischen Ulm und Memmingen ist touristisch gut erschlossen, zählt etwa 18.000 Köpfe und entwickelte sich im 12. bis 13. Jahrhundert nach dem Bau der Burg Tissen. Inzwischen Schloss, nach Bränden und Kriegen immer wieder aufgebaut, thront es mitsamt Rokoko-Kapelle und Barocksaal über der Stadt. Sieben Fußminuten darunter liegt das Rathausgebäude. Haupteinkaufsstraße, Stadtkirche und Marktplatz sind in der Nähe, das denkmalgeschützte Rathaus ist wie einige weitere historische Gebäude auf dem Areal Identifikationspunkt. Räumlich stößt es allerdings an seine Grenzen. Auch die denkmalgeschützte, hochwertig sanierte Schranne, ein alter Kornspeicher, wird viel genutzt; als Sitzungssaal, für Ausstellungen oder Veranstaltungen. Die Räume sind überbelegt und unflexibel. Weitere Gebäude auf dem Gelän-de sind aktuell nicht optimal genutzt oder müssen saniert werden, so auch ein L-förmiger, zweigeschossiger 80er-Jahre-Bau. 2022 zog die Feuerwehr hier aus, seitdem steht er leer. Nach einer Machbarkeitsstudie des Würzburger Büros Haines-Leger Architekten + Stadtplaner 2023 soll dem ehemaligen Feuerwehrgebäude eine Schlüsselrolle zukommen: als Zentrum des bürgerlichen Lebens.
Die Stadt Illertissen lobte 2023 den Wettbewerb zur Neuordnung des Rathausareals aus. Sie formulierte den Anspruch, mit der Vorbereitung Illertissens an das Klimakrisen-Stadtleben beispielhaft umzugehen. Gerade Plätzen in Städten komme besondere Verantwortung zu, die gebaute Umwelt müsse sich anpassen. Auch Generationengerechtigkeit findet in der Auslobung Erwähnung; der Freiraum solle für alle Altersklassen als Verweil-, Veranstaltungs- und Erholungsort funktionieren. Bezogen auf die Neu- nutzung des Feuerwehrgebäudes als Ort für Events und Konzerte und der Schranne für repräsentative Veranstaltungen macht die Auslobung klar: „Die Umnutzung eines Gebäudes sichert an sich schon graue Energie und vermeidet die Verwendung von CO2-intensiven Materialien. Dies kann jedoch nur ein erster Schritt sein, gewünscht ist ein Konzept, das bewusst mit dem Vorhandenen umgeht und beim Einsatz neuer Materialien auf Langlebigkeit Wert legt.“
Sichtbaren Fokus auf Grün legen Studio Sozia aus Karlsruhe und Stadtplus Landschaftsarchitektur aus München. Die Erstplatzierten kleiden das alte Feuerwehrgebäude, das wie sie sagen, gut organisiert ist, in ein grünes Gewand, die rote Feuerlösch-Ära ist passé. Verschiedene Bodenbeläge, immer versickerungsfähig, gliedern neben Sitzbereichen den Freiraum. Um eine permanente öffentliche Nutzung auch unter der Woche zu gewährleisten, schlägt das Team ein Nachbarschaftshaus sowie die Unterbringung der Musikschule im Erdgeschoss vor. Der minimale Eingriff und die Ertüchtigung der Bestandsstrukturen sind lobenswert. Dass der Gebäudecharakter so spürbar bleibt, lobte das Preisgericht. Die schrittweise Transformation des Zweckbaus ist nachvollziehbar dargestellt.
Um zu betonen, wie sehr das grüne Feuerwehrhaus der Erstplatzierten überzeugt, vergab die Jury keinen zweiten, sondern zwei dritte Preise. Auch Octagon und Tilia aus Leipzig und Juca Landschaft und Architektur aus Berlin erkennen in ihrem Entwurf „Feuer und Schranne“ das Potenzial des Feuerwehrgebäudes, vereinfachen jedoch die Dachform. So verbessern sich die Dämmeigenschaften des Hauses, die optische Veränderung diskutierte die Jury, wenn sie auch einen Bezug zur Schranne schaffe und „in ihrem Mut und ihrer Eigenständigkeit sehr gewürdigt“ wird. Die Jury lobte die Flexibilität des Freiraums, bewertete aber den Vorplatz der Schranne als etwas übermöbliert und den des Bürgerzentrums als wenig gestaltet.
Einen „fließenden Übergang von Innen und Außen“ zwischen Bürgerzentrum und Platz stellen sich die ebenfalls drittplatzierten Schwabmayer Architekten aus Breisach mit den Freiburgern Böwer Eith Murken und Landschaftsarchitekt Pit Müller vor. Die Verschränkung von Rathaus- und Schrannenplatz durch mehr oder weniger versiegelten Freiraum gefiel dem Preisgericht. Auch die Platzprogrammierung mit Wasserspiel stieß generell auf Anklang. Die zentrale Platzierung des Brückenelements löste allerdings Zweifel hinsichtlich der Nutzungseinschränkung des Freiraums aus. Generell wurde das Konzept der keilförmigen Bodenfläche als etwas starr eingeordnet. Die Neuprogrammierung und -gestaltung des Feuerwehrhauses wirke dafür durchdacht, wirtschaftlich und zukunftsfähig.
Illertissen kann stellvertretend für viele ähnlich große Städte gesehen werden. Mit historischem wie weniger historischem Bestand muss in vielen Siedlungskernen ein sozial und planerisch zukunftsfähiger Umgang gefunden werden. Illertissen ist damit auf einem guten Weg.
Einstufiger nichtoffener Realisierungswettbewerb
1. Preis (25.000 Euro) STUDIO SOZIA Calavetta Häberle Architekten, Karlsruhe mit stadtplus Landschaftsarchitektur, München
ein 3. Preis (12.000 Euro) schwabmayer architekten, Breisach und Böwer Eith Murken Architekten mit Pit Müller Freier Landschaftsarchitekt, beide Freiburg
ein 3. Preis (12.000 Euro) Octagon Architekturkollektiv und TILIA, beide Leipzig mit JUCA Landschaft und Architektur, Berlin
Anerkennung (6000 Euro) Braunger Wörtz Architekten, Blaustein mit silands | Gresz + Kaiser Landschafts-
architekten, Ulm
Ausloberin
Stadt Illertissen
Fachpreisgericht
Christian de Buhr, Susanne Burger, Doris Grabner, Mikala Holme Samsøe, Johannes Kappler (Vorsitz), Minka Kersten, Günter Weber
Stadt Illertissen
Fachpreisgericht
Christian de Buhr, Susanne Burger, Doris Grabner, Mikala Holme Samsøe, Johannes Kappler (Vorsitz), Minka Kersten, Günter Weber
Verfahrensbetreuung
Schirmer Architekten + Stadtplaner, Würzburg
Schirmer Architekten + Stadtplaner, Würzburg
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