Bauwelt

Zero-Waste-Stadt Roubaix

Die Strategie der französischen Gemeinde: Pionierfamilien und Workshopleiter als Multiplikatoren

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    Auf dem Marktplatz wird eine Reparaturbegleitung für Fahrräder angeboten.
    Foto: Sebastien Candelier

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    Auf dem Marktplatz wird eine Reparaturbegleitung für Fahrräder angeboten.

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    Das ehemalige Klarissenkloster im Quar-tier l’Épeule bildet das bauliche Zentrum der Zero-Waste-Initiative.
    Foto: Sebastien Candelier

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    Das ehemalige Klarissenkloster im Quar-tier l’Épeule bildet das bauliche Zentrum der Zero-Waste-Initiative.

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    Dosensammel-Automat in der Stadt.
    Foto: Sebastien Candelier

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    Dosensammel-Automat in der Stadt.

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    In der ehemaligen Wollspinnerei Tissel werden unter anderem abgebrochene Baumaterialien zwischengelagert und ausrangierte Fahrräder instandgesetzt.
    Foto: Sebastien Candelier

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    In der ehemaligen Wollspinnerei Tissel werden unter anderem abgebrochene Baumaterialien zwischengelagert und ausrangierte Fahrräder instandgesetzt.

    Foto: Sebastien Candelier

Zero-Waste-Stadt Roubaix

Die Strategie der französischen Gemeinde: Pionierfamilien und Workshopleiter als Multiplikatoren

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Zero Waste basiert in Roubaix auf einer umfangreichen „Agenda 21“, die von der Stadt aufgestellt wurde und seit 2014 an Fahrt aufgenommen hat. Zur Agenda gehören neben der Reduktion und Wiederverwertung von Müll auch Projekte zur Mobilität, Energieeinsparung, Biodiversität und ein groß aufgelegtes Bildungsprogramm an den Schulen. Alexandre Gracin, der zuständige stellvertretende Bürgermeister für nachhaltige Entwicklung, hebt nicht ohne Stolz hervor, dass Roubaix die einzige Stadt in Frankreich ist, die mit einem solchen Programm in dieser Konsequenz das Ziel von Zero Waste vorangetrieben hat. Was ist über diesen Teil der Agenda zur Müllvermeidung und seiner Umsetzung nach zehn Jahren zu berichten?
Die rund 100.000-Einwohner-Stadt Roubaix liegt unmittelbar an der Grenze zu Belgien. Sie war noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts einer der Welthauptstädte der Textilindustrie und ist geprägt von seinen vielen Backstein-Industriebauten und -Wohnquartieren. Auch für diese Stadt im Nordosten Frankreichs hatte der Niedergang der Industrie gravierende Folgen. In der Konsequenz leben noch heute 46 Prozent der Menschen von Roubaix an oder unterhalb der Armutsgrenze. In Frankreich ist das der größte Anteil an armer Bevölkerung in einer Großstadt.
Im Mittelpunkt der Umsetzung von Zero Waste stand die Bildung und Unterstützung kleiner, lokaler Strukturen. Workshopleiter und sogenannte „Zero-Waste-Familien“ wurden als Multiplikatoren geschult, dazu Initiativen von Geschäften und Einkaufszentren gefördert. Zur generellen Müllvermeidung gehört vor allem die deutliche Förderung von Mehrwegsystemen und damit der Reduzierung von Plastikmüll. Auch viele Schulen beteiligen sich an dem Kreislaufsystem. In Workshops, die kostenlos zur Verfügung gestellt werden, geht es u.a. um selbst hergestellte Reinigungs- und Kosmetikprodukte, die Reparatur von Elektrogeräten oder Wege der Kompostierung. Insgesamt beteiligen sich immerhin 3500 Familien an der Initiative. Die Mehrzahl von ihnen hat den häuslichen Abfall um mindestens fünfzig Prozent reduzieren können und Kosten im Haushalt gespart. Corona hat die Zielsetzung der Planung ein Stück weit zurückgeworfen, da viele Projekte gestoppt werden mussten.
Baulicher Mittelpunkt der Zero-Waste-Initiative bildet ein Gebäude im Quartier de l’Épeule, westlich des Stadtzentrums: das ehemalige Klarissenkloster. Viele Einwohnerinnen haben noch Erinnerungen an das Klostergebäude, da sie ihre Schulzeit dort verbracht haben. Die Stadt hat das Gebäude erworben und wandelt es sukzessiv um.
Vor diesem Hintergrund gab es 2019 eine Projektausschreibung für eine zunächst temporäre Nutzung. Das Kollektiv Zerm, eine Architektenvereinigung von Roubaix, erhielt den Auftrag, das neugotische Gebäude, das nach dem Weggang der Klarissinnen viele Jahre leer stand, im Rahmen des Projekts „Saisons Zero“ zu einem offenen und beispielgebenden Ort der Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Das städtische Projekt umfasst eine bescheidene Herberge für Jugendliche, die Bereitstellung von Werkstätten und Büros auf Zeit sowie die Organisation von Veranstaltungen in den Sonderräumen des Klosters. Man versteht sich als ein „Laboratorium für angewandte Genügsamkeit“, indem die Prinzipien der Reduzierung des Energieverbrauchs, der Abfallwirtschaft und der Ressourcenoptimierung diskutiert werden, die in Einzelmaßnahmen Gestalt annehmen. Das zeigt sich zum Beispiel durch das Experimentieren mit Heizsystemen und Wärmeisolierungen und den Anbau in den Gärten des früheren Klosters. Das Kollektiv Zerm ist selbst in den Räumen tätig und erhält seit 2019 Unterstützung von der Organisation Yes We Camp, die sich mit temporären Nutzungen beschäftigen und aktiv auf dem Gebiet tätig sind.
An einem anderen Ort, im Norden der Stadt, mit der schönen Adresse „Rue du Nouveau Monde“, sorgt ein „Pole de l’economie circulaire“ für Aufsehen. Es handelt sich um die Wollspinnerei Tissel, die 1980 ihre Produktion einstellte. Für die Umnutzung der alten Fabrikhallen ist zum Teil ebenfalls das Kollektiv Zerm beauftragt. Hier werden viele Baumaterialien zur Wiederverwertung gelagert, Fahrräder instandgesetzt und recycelt und eine Ausbildungsstätte für Handwerksberufe geschaffen.
Es scheint, dass sich die Projekte und Maßnahmen durch großes Engagement und mit konkreten, aber eher überschaubaren Schritten in einzelnen Stadtteilen und mit einzelnen Familien, Geschäften, Betrieben und Verbänden zu einer Gesamtaktion mit Vorbildcharakter entwickelt haben. Die Themen Abfallvermeidung und Wiederverwertung sind im Bewusstsein der Bevölkerung inzwischen tief verankert. Selbst im restlichen Frankreich verbindet man Zero Waste mit Roubaix. Das ist beachtlich, denn bisher wurde die Stadt vor allem mit wirtschaftlichen und sozialen Prob-lemen in Verbindung gebracht.
Bevölkerung
98.892 (Stand 2021)
Zero-Waste-Status
Best Practice
Müllreduktion
25 Prozent der Haushalte konnten ihr Abfallaufkommen um über 80 Prozent reduzieren, 70 Prozent um die Hälfte.

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