Bauwelt

Russische Pelzmützen, Ansichts­karten und Mauer­bröckchen

Was ist das Denkmal und welche Zeitschicht ist ausschlaggebend? Das Pförtnerhaus an der East Side Gallery wurde saniert

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    1986
    Foto: Stiftung Berliner Mauer/Detlef Matthes

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    1986

    Foto: Stiftung Berliner Mauer/Detlef Matthes

Russische Pelzmützen, Ansichts­karten und Mauer­bröckchen

Was ist das Denkmal und welche Zeitschicht ist ausschlaggebend? Das Pförtnerhaus an der East Side Gallery wurde saniert

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Es ist nicht viel mehr als eine Datsche, dieses Pförtnerhaus an der Berliner Mühlenstraße nahe der Oberbaumbrücke: vier Wände, drei Türen, sechs Fenster, Boden, Dach, Vordach. Nichts daran, was gestalterische oder konzeptionelle Ambition verriete; ein banaler Zweckbau, mehr nicht. Und doch – ein Denkmal. Die Stiftung Berliner Mauer hat es 2018 quasi als Beifang der viel besuchten East Side Gallery übernommen, die Wüstenrot Stiftung hat es nun als Besuchsinformation für die East Side Gallery saniert. Sie haben richtig gelesen: Genau jene Institution, die sich in den letzten Jahrzehnten mit der vorbild­lichen Wiederherstellung von Hochkarätern der Baugeschichte wie Mendelsohns Einstein-Turm, Schaurouns Schminke-Villa oder Leos Umlauftank in Berlin hervorgetan hat. Was macht diese Hütte so besonders? Die Architektur ist es nicht, das ist auf einen Blick klar. Was das Gebäude aber in hohem Maße wertvoll macht, ist sein Potenzial als Vermittler: Die Geschichte der Teilung wie die der kommerziellen Verwertung dieser Geschichte nach 1990, die Touristifizierung Berlins und die damit einhergehende Gentrifizierung der Stadt in den letzten dreißig Jahren – all das lässt sich an diesem schlichten Funktionsbau festmachen, aufbereiten und erzählen. Eine vortreffliche Ergänzung zu den Gedenkstätten Berliner Mauer und Notaufnahmelager Marienfelde.
Das Pförtnerhaus ist ein integraler Bestandteil der Berliner Mauer, von der hier an der Mühlenstraße mit einer Länge von rund 1,5 Kilometern der längste Abschnitt in Berlin erhalten ist. Sein Bau im Jahr 1977, als die Mauer erneuert und ausgebaut wurde, war nötig, weil hinter der Mauer, im schmalen Streifen Land zwischen Mühlenstraße und Spree, die Osthafenmühle stand. Dabei handelte es sich um eine von nur zwei industriellen Großmühlen der DDR, sodass ein Abriss, anders als bei anderen Gebäuden im Grenzstreifen (man denke nur an die Sprengung der Versöhnungskirche an der Bernauer Straße im Jahr 1985 oder an die schon viele Jahre zuvor dort abgerissenen Wohnhäuser), nicht infrage kam. Damit die Belegschaft zu ihren Arbeitsplätzen gelangen konnte, wurde eine Tür in die Mauer gebaut, dahinter kontrollierte der Pförtner in seinem Häuschen den Zugang. Doch auch die Grenztruppen gelangten durch diese Tür bzw. durch das daneben für die An- und Ablieferung der Mühle eingelassene Tor in den Grenzstreifen. Außerdem gab es noch eine zweite Tür, ein paar Meter weiter in der Mauer: Sie führte in einen zweiten Raum des kleinen Gebäudes, den die Soldaten der Volkspolizei als Aufenthaltsraum nutzten. Pförtner und VP hatten jeweils eine kleine Toilette im Gebäude, eine Verbindung zwischen den beiden Bereichen gab es nicht. So hatte das Häuschen eine zivile, eine militärische und eine polizeiliche Nutzung, was es zu einem ziemlich singulären Objekt macht.
Mit dem Fall der Mauer begann der zweite, längere Teil seiner Geschichte. Die Mühle war nun frei zugänglich, wurde von der Treuhand an einen westdeutschen Unternehmer verkauft und von diesem umgehend stillgelegt – heute befinden sich ein Themenrestaurant, ein Club und ein privates Mauermuseum in dem sanierten Indus­triebau. Die Mauer wurde im September 1990 auf Initiative des Berliner Senats von Künstlerinnen und Künstlern bemalt und zur „East Side Gallery“. Im Pförtnerhaus eröffnete nur wenige Wochen später ein Souvenir-Geschäft mit den üblichen Angeboten: russische Pelzmützen, Mauerbröckchen, Trabant-Spielzeugautos, Ansichtskarten, gekühlte Getränke und so weiter. Vor allem der Pächter der Jahre 1992 bis 2022 widmete sich mit viel Fantasie der immer weiteren Ausgestaltung des Gebäudes: Nicht nur ließ er die Außenflächen mehrfach neu bemalen, auch baute er eine Wachturmattrappe darauf und montierte ein Schild auf dem Dach, das die Flucht aus der DDR mit dem Heißluftballon abbildete – eine Montage von mit der Teilung verbundenen Geschichten, die mit diesem konkreten Ort allerdings wenig zu tun hatte: Nicht hier war 1961 der Soldat Conrad Schumann mit einem beherzten Sprung in den West-Berliner Wedding geflohen, nicht hier waren 1979 die Familien Strelzyk und Wetzel mit ihrem Ballon in ein neues Leben gestartet, und auch ein Wachturm stand hier nie.
Was also ist das Denkmal, welche Zeitschicht sollte bei der Sanierung ausschlaggebend sein? Von der Substanz aus DDR-Tagen war nach über dreißig Jahren Nutzung als Andenkenkiosk nicht viel übrig, ergab die Bauforschung des Architekturbüros adb Architektur, Denkmalpflege und Bauforschung. Das doppelte WC-Fenster auf der Südseite, zum Grenzstreifen, war zu einer großen Öffnung zusammengelegt worden, die Durchgänge vor dem Haus waren zugemauert. Ebenfalls vermauert war das Fenster des Pförtners zur Mühlenstraße, hatte sich hinter der Wand aber erhalten und konnte somit als Vorlage dienen für den Bau der neuen Fenster. Ebenfalls noch vorhanden waren die ursprüngliche Tür in der Mauer zum Raum der Volkspolizei und ein Gitter vor dem Fenster ihres Raumes zum Grenzstreifen. Das war es auch schon – alle übrigen Oberflächen waren später erneuert worden. Die Gebäudesubstanz insgesamt befand sich in schlechtem Zustand.
Als „substanzielles Denkmal“ taugte das Gebäude also nicht, „künstlerischer Wert“ war ihm ohnehin nicht zu attestieren. Als „didaktisches Denkmal“ aber ließ es sich greifen. Mit der Sanierung wurde es seinem ursprünglichen Zustand wieder angenähert: Die Öffnungen wurden wieder hergestellt, neue Fensterbänke aus Betonwerkstein in Anlehnung an die historischen Planangaben gefertigt, die nötige Installation auf Putz verlegt, da sich in den Wänden keine Schlitze finden ließen. Die den Grundriss in die zwei Bereiche für Pförtner und VP teilende Mauer wurde im Linoleumboden nachgezeichnet – hier wieder eine Wand zu setzen kam nicht infrage, um die neue Funktion als Besuchsinformation zu ermöglichen: Im kleinen Haus muss schließlich auch mal eine Busreisegruppe Platz finden. Dass auf den 30 Quadratmetern Fläche auch noch ein Arbeitsplatz einzurichten war, der heutigen Richtlinien entspricht, ein WC, Platz für einen Server und einen Tresor gefunden werden musste, machte die Planung nicht einfacher, wie Architekt Steffen Obermann einräumt. Ob das Weiß seiner Fassaden genauso oft neu gestrichen werden muss wie die zur Spree zeigende Seite der Mauer? Diese wird immer wieder von der Graffiti-Szene bearbeitet, als ob der Kalender noch immer das Jahr 1990 zeigt. Sollte die Sanierung des Pförtnerhauses die Wahrnehmung der Zeitschicht „Teilung“ an dieser Stelle stärken, hätte sich ein Wunsch an dieses didaktische Denkmal bereits erfüllt.

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