Jugoslawiens Goldene Jahre
Eine sehenswerte Retrospektive im New Yorker MoMA zeigt, wie der „dritte Weg“, den Titos Jugoslawien im Kalten Krieg einschlug, seinen Widerhall in der Architektur und im Städtebau des Landes fand
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Jugoslawiens Goldene Jahre
Eine sehenswerte Retrospektive im New Yorker MoMA zeigt, wie der „dritte Weg“, den Titos Jugoslawien im Kalten Krieg einschlug, seinen Widerhall in der Architektur und im Städtebau des Landes fand
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Während der Tito-Ära entstanden in Jugoslawien, in einer Art Paralleluniversum zwischen den beiden rivalisierenden Machtblöcken des Kalten Krieges, beeindruckende futuristisch-moderne Gebäudekomplexe und gigantische Stadtlandschaften, die bis heute den Geist dieser Zeit verkörpern. Mit rund 400 Exponaten – historische Original-Zeichnungen, Modelle, zeitgenössische und aktuelle Fotografien sowie eine Reihe von Filmen – nimmt die opulente Sonderschau „Toward a Concrete Utopia: Architecture in Yugoslavia, 1948–1980“ im Museum of Modern Art (MoMA) in New York die jugoslawische Architektur jener Jahre genauer unter die Lupe.
Die USA pflegten nach dem Zweiten Weltkrieg eine besondere Beziehung zu Jugoslawien. US-Wirtschaftshilfen glichen die nach Titos Abgrenzung gegenüber Stalin einsetzende Wirtschaftsblockade des Ostblocks aus. Es gab zudem ein breit gefächertes Kulturaustauschprogramm. 1956 wurden mit „Modern Art in the United States“ erstmals Werke aus dem MoMA in Belgrad gezeigt und im Architekturkapitel der Ausstellung die damals stilbildenden Bauten von Ludwig Mies van der Rohe, Philipp Johnson, Frank Lloyd Wright und Eero Saarinen vorgestellt. Bogdan Bogdanović besprach sie ausführlich in der „Politika“, der bis heute führenden serbischen Tageszeitung.
Die MoMA-Schau „Built in the USA: Post-War Architecture“ tourte 1958/59 gar durch ganz Jugoslawien. Deren Einflüsse lassen sich bei vielen der in der aktuellen Schau vorgestellten Bauten ausmachen – auch wenn die jugoslawischen Architekten wie Juraj Neidhardt, Svetlana Kana Radević, Edvard Ravnikar, Vjenceslav Richter und Milica Šterić, um nur einige zu nennen, die internationalen Strömungen mit den lokalen Bautraditionen kombinierten und mit ihren mal kühn geschwungenen, mal funktionalistischen, später auch expressiv-strukturalistischen oder brutalistischen Bauten eine ganz eigene Sprache entwickelten.
Neben typisch ostmodernen Großstrukturen wie der sozialistischen Planstadt Neu-Belgrad mit ihren Repräsentations- und Regierungsbauten, breiten Boulevards und Hochhausblöcken zeigt die von Martino Stierli und Vladimir Kulić kuratierte Ausstellung auch weniger bekannte, aber deshalb nicht weniger aufschlussreiche Projekte. Etwa „Šerefudins Weiße Moschee“ (1969–79) im historischen Zentrum der bosnischen Stadt Visoko unweit von Sarajevo. Die skulpturale Betondachschale des vom Architekten Zlatko Ugljen entworfenen Gebäudes wird von fünf Oberlichtern durchbrochen – Metapher für die fünf Prinzipien des Islam und die fünf täglichen Gebete.
Selbstverständlich reißt „Toward a Concrete Utopia“ auch die staatliche Erinnerungskultur an, von der bis heute die Denkmäler und Gedenkstätten des Architekten, Bildhauers, Essayisten und späteren Bürgermeisters von Belgrad Bogdan Bogdanović (1922–2010) zeugen.
Ansonsten versucht die Ausstellung mit vielen Beispielen aus allen Teilen Jugoslawiens die Idee von der modernen Architektur als Schlüsselinstrument einer neuen Gesellschaft zu verdeutlichen. Weitläufige Magistralen, futuristische Wolkenkratzer und moderne Ferienresorts an der Adria sollten Weltoffenheit und kosmopolitischen Lebensstil signalisieren, Universitäten, Museen und Kulturzentren das neue Gesellschaftssystem repräsentieren. Diese Absicht ist anhand der unzähligen Entwurfsskizzen, Präsentationszeichnungen und zeitgenössischen Fotos bestens nachzuvollziehen.
Mit Ausnahme einiger weniger Dissidenten konnten die Bürger Jugoslawiens in der Tito-Zeit frei durch die Welt reisen. So beleuchtet die Ausstellung auch die internationalen Architekten-Netzwerke. Kenzō Tanges Mitarbeiter-Liste beim Städtebauwettbewerb für den Wiederaufbau der erdbebenzerstörten mazedonischen Hauptstadt Skopje liest sich zwar wie das Who’s who der japanischen Architektur des späten 20. Jahrhunderts (bis hin zu Arata Isozaki). Viele der Bauten wurden jedoch von einheimischen Architekten entworfen und ausgeführt, die mithilfe von US-Stipendien an hochkarätigen amerikanischen Hochschulen ausgebildet worden waren.
Georgi Konstantinovski (Jahrgang 1930) etwa studierte bei Paul Rudolph in Yale und adaptierte die Vorliebe seines Mentors für Sichtbeton an die in Jugoslawien verfügbare Bautechnologie und die deutlich großmaßstäblicheren Raumprogramme der sozialistischen Gesellschaft. NIcht von ungefähr erinnern seine Goce-Delčev-Studentenwohnheime (1969–77) in Skopje an Rudolphs A+A-Gebäude auf dem Yale-Campus.
Das markanteste Beispiel dieses Kulturtransfers aber ist das Museum für Zeitgenössische Kunst (1959–65) in Belgrad, dessen innere Organisation dem MoMA nachempfunden wurde – der Museumsgründer und erste Direktor Miodrag B. Protić hatte sich mehrere Monate lang mit einem Ford-Stipendium in New York aufgehalten. Seit dieser Zeit sammelt das MoMA übrigens zeitgenössische Kunst aus Jugoslawien. So präsentiert „Toward a Concrete Utopia“ auch drei Videoinstallationen der renommierten Filmemacherin Mila Turajlić, eine umfangreiche Serie neu in Auftrag gegebener Fotografien des Schweizer Fotografen Valentin Jeck von den wichtigsten Bauten der Tito-Ära sowie Positionen jüngerer Künstler wie Jasmina Cibic oder David Maljković.
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