Bauwelt

Vergessene Ikonen

Kaum einer prägte die Ostmo­derne so sehr wie Ulrich Müther. Viele seiner Bauten stehen seit drei Dekaden leer oder wurden abgerissen. Derzeit werden drei seiner Bauwerke, in Magdeburg, Neubrandenburg und in Wismar, saniert.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Stadthalle Neubrandenburg, 1969.
    Foto: Regionalmuseum Neubrandenburg

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    Stadthalle Neubrandenburg, 1969.

    Foto: Regionalmuseum Neubrandenburg

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    Die Hyparschale in Magdeburg war stark korrodiert, sie wird aktuell mit Carbonbeton saniert.
    Foto: Martin Maleschka

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    Die Hyparschale in Magdeburg war stark korrodiert, sie wird aktuell mit Carbonbeton saniert.

    Foto: Martin Maleschka

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    Die Alte Mensa in Wismar soll demnächst für eine Büronutzung umgebaut werden. Sie hat drei Speisesäle mit Schirmschalen. Im Bild: Großer Speisesaal, 1975.
    Foto: Müther-Archiv Wismar; Archiv der Hochschule Wismar

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    Die Alte Mensa in Wismar soll demnächst für eine Büronutzung umgebaut werden. Sie hat drei Speisesäle mit Schirmschalen. Im Bild: Großer Speisesaal, 1975.

    Foto: Müther-Archiv Wismar; Archiv der Hochschule Wismar

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    Modell des Gebäudes Foto: Müther-Archiv Wismar; Archiv der Hochschule Wismar

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    Modell des Gebäudes

    Foto: Müther-Archiv Wismar; Archiv der Hochschule Wismar

Vergessene Ikonen

Kaum einer prägte die Ostmo­derne so sehr wie Ulrich Müther. Viele seiner Bauten stehen seit drei Dekaden leer oder wurden abgerissen. Derzeit werden drei seiner Bauwerke, in Magdeburg, Neubrandenburg und in Wismar, saniert.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Die kühnen, hauchdünnen Schirm- und Hyparschalen des Ingenieurs und Bauunternehmers Ulrich Müther (1934−2007) gehören zu den herausragenden Betonkonstruktionen der DDR. Durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Architekten konnte er mit seiner Firma für Spezialbetonbau mehr als 70 Schalenbauten realisieren. Einige wurden bereits wieder abgerissen, andere stehen leer, viele sind sanierungsreif. Konstruktive Probleme, Materialermüdung, neue Nutzerwünsche und Vorschriften (Brandschutz, Energieeinsparung) lassen die Instandhaltung, Modernisierung und Umnutzung dieser Gebäude zu einer kniffeligen Aufgabe werden, mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Hyparschale Magdeburg - Sanierung mit Carbonbeton
Die Hyparschale in Magdeburg ist seit dem Abriss des Berliner „Ahornblatts“ Müthers größte noch erhaltene Betonschalenkonstruktion. Sie wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Horst Freytag geplant und 1969 als Mehrzweckhalle für Messen, Ausstellungen und andere Veranstaltungen im Magdeburger Stadtpark auf der Rotehorninsel errichtet. Die Dachkonstruktion besteht aus vier nach außen angekippten hyperbolischen Paraboloiden, die durch Lichtbänder miteinander verbunden sind und zusammen eine Fläche von 48x48 Metern überspannen. Diese vier baugleichen Schalen basieren auf einem von Müther mehrfach variierten Grundmodul, das er für die Gaststätte „Ostseeperle“ in Glowe auf Rügen entwickelt hatte.
Die materialsparende Herstellung der dünnen Betonschalen kam den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der DDR sehr entgegen. Sie wurden in Magdeburg jedoch statt mit der geplanten Stärke von sieben Zentimetern teilweise nur fünf Zentimeter dick ausgeführt. Erste Schäden (Betonabplatzungen, Risse an den schrägen Stützen) traten bereits nach wenigen Jahren auf. Die undichten Oberlichtbänder mussten schon während der DDR-Zeit mit Schweißbahnen überklebt werden. 1997 wurde die Halle für baufällig erklärt, baupolizeilich gesperrt und stand danach 20 Jahre lang leer. Dabei verschlechterte sich ihr Zustand immer mehr. Aufgrund der starken Durchfeuchtung der Betonschalen korrodierte die Bewehrung, außerdem kam es vor allem in den Tiefpunkten des Tragwerks zunehmend zu Bewuchs − außen und innen. Der Stadtpark verlor, als 1999 ein neues Messegelände eingeweiht wurde, seine Funktion als Ausstellungsareal. Für die ab 1998 denkmalgeschützte Hyparschale gab es lange Zeit kein tragfähiges Nutzungs- und Sanierungskonzept, zumal die ersten Instandsetzungsvorschläge noch eine Verstärkung der Schale mit 70 Millimeter starkem konventionellem Spritzbeton vorsahen.
Im Zuge von weiteren Untersuchungen durch das (von Müthers früherem Mentor Hermann Rühle gegründete) Ingenieurbüro Prof. Rühle, Jentzsch & Partner wurde in Zusammenarbeit mit der CarboCon GmbH ein neues Konzept für die Sanierung der tragenden Schalenkonstruktion mit Hilfe von Carbonbeton entwickelt, für das sich die Stadt Magdeburg 2017 entschieden hat. Mit diesem aus Kohlenstofffasern (carbon fibers) und Feinbeton bestehenden Verbundbaustoff sind im Verhältnis zum Stahlbeton, bei dem die Betonschicht die Bewehrung vor Korrosion schützen muss, deutlich leichtere, filigranere und auch tragfähigere Konstruktionen möglich. Die Hyparschale wird mittlerweile nach einem Entwurf der Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp), der für die künftige Nutzung im Innenraum zusätzliche Galerie-Ebenen und begehbare Brücken vorsieht, saniert. Das korrodierte Schalendach wird dabei an der Außen- und Innenseite mit zwei jeweils nur zehn Millimeter dicken Schichten Carbonbeton verstärkt. Dadurch wird die Gebrauchsfähigkeit des Dachs wiederhergestellt und seine Tragfähigkeit im Verhältnis zum bauzeitlichen Zustand sogar noch erhöht, während die Proportionen weitestgehend unverändert bleiben. Mit dieser zunächst nur für die Hyparschale Magdeburg zugelassenen Ausführung, bei der das Institut für Massivbau der TU Dresden als Gutachter zur Erlangung der Einzelfall-Zustimmung fungierte, konnte individuell auf die speziellen Anforderungen dieser Konstruktion reagiert werden. Bei zwei Dachsegmenten ist die Betonsanierung in diesem Jahr bereits abgeschlossen worden, der Rest soll im nächsten Frühjahr durchgeführt werden. Da bei der Instandsetzung mit Carbonbeton die Leichtigkeit und Form der überlieferten Konstruktion erhalten bleibt, könnte es sein, dass dieses neuartige Verfahren, wenn es sich in der Praxis bewährt, viele neue Wege für den Erhalt weiterer maroder Schalenbauten frei macht.
Stadthalle Neubrandenburg – Nutzungsanpassung mit teilweisem Rückbau auf den bauzeitlichen Zustand
Müthers großes Vorbild war der mexikanische Ingenieur Félix Candela, der mit seinem eigenen Bauunternehmen beeindruckende Schalen­konstruktionen ausführte. Sogar die Logos von Müthers Firma erinnerten an Candelas Kirche San José Obrero.
1968 entwickelte Müthers für den Stadtpark in Neubrandenburg dann selber zusammen mit dem Bezirksarchitekten Karl Kraus auch ein durch in der Mitte steil aufragende Hyparschalen bestimmtes Gebäude: die 1969 eingeweihte Stadthalle. Dafür wurden vier zur Gebäudemitte angekippte Schalen des für die Gaststätte in Glowe entwickelten Typs durch Oberlichtbänder so geschickt miteinander verbunden, dass sie sich in einem kronenartigen Aufsatz treffen und einen zeltartigen Raum mit einer Grundfläche von 42x42 Metern überspannen. Die Garderoben, Toiletten, Verwaltungsräume, Küchen und Verkaufsstände wurden dabei in vier kleinen, an den Ecken der Schalenkonstruktion liegenden Anbauten untergebracht.
Diese Halle wurde seit ihrer Errichtung durchgängig genutzt: für Tagungen, Messen, Konzerte und Sportveranstaltungen. Da die bauzeitlichen Eckanbauten nicht ausreichten, um alle erforderlichen Nebenräume für die Technik, Sportgeräte und Umkleiden unterzubringen, entstanden nach der Wende, vermutlich noch vor der Unterschutzstellung im Jahr 1995, weitere containerartige Anbauten. Seitdem das lokale Haus der Kultur und Bildung (Iris Grunds „Kulturfinger“) vor einigen Jahren saniert und zu einem Veranstaltungszentrum umgebaut wurde, wird die Stadthalle vor allem für Schul- und Vereinssport sowie größere Sportveranstaltungen genutzt, mit den üblichen Konfliktfeldern (Unfallschutz, Ballwurfsicherheit) dieser Nutzung.
Dieses unverwechselbare, im Kulturpark stehende Solitärgebäude ist für die Identität der 1945 größtenteils zerstörten, während der DDR-Zeit neu aufgebauten Stadt wichtig und die Stadt Neubrandenburg hat sich entschieden, den Bestand an die neue Nutzung anzupassen und dabei auch teilweise − in enger Absprache mit der Denkmalpflege − wieder mehr auf den ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Denn die neueren Anbauten beeinträchtigen das vorher durch das aufragende Tragwerk und die Symmetrie bestimmte Erscheinungsbild. Die Hyparschalen waren in einem erstaunlich guten Zustand, lediglich im Bereich der Fallrohre, Wasserspeier und Traufkanten waren kleinere Schäden zu erkennen, bei denen eine Betonsanierung erforderlich war. Die Profilglas-Fassaden der vier Anbauten waren zerstört oder verloren gegangen, bei der nicht ballwurfsicheren Fassade der großen Halle hatte es bereits diverse Glasschäden gegeben.
Seit 2020 werden Halle und Anbauten unter Beachtung von Energieeinsparung und Raumakustik durch das lokale Büro Milatz Schmidt Architekten denkmalgerecht saniert. Dabei wurde alles zurückgebaut, was in den 1990er Jahren eingebaut oder verändert wurde. Die noch authentisch erhaltenen Fenster und Profilgläser wurden demontiert für die Aufarbeitung und den Wiedereinbau. An der Hauptfassade (Eingangsseite) der großen Halle werden die meisten der bauzeitlichen Fenster mit ihren türkisblauen Originalgläsern erhalten, an den anderen Fassaden neue, an der überlieferten Struktur und Originalfarbigkeit orientierte Stahlfenster eingesetzt.
In der Halle konnten die blauen gefalteten Original-Wandbekleidungen, die bereits in den 90er Jahren verdeckt wurden, wieder freigelegt werden. Sie werden, da für Sporthallen eine Ausführung als Prallwand erforderlich ist, in Anlehnung an die alten Strukturen in ihrer Substanz vollständig erneuert. In einem zweiten für 2022/23 geplanten Bauabschnitt sollen ein neuer kompakter Erweiterungsbau für Foyer, Garderobe, Umkleide- und Technikräume errichtet und dabei die containerartigen Anbauten entfernt werden, sodass das Gebäude danach an drei Seiten wieder das ursprüngliche Erscheinungsbild haben wird.
Alte Mensa Wismar – Umnutzung zum Büro­gebäude
In Wismar schlagen aktuell die Wellen hoch: Die meist nur „Wobau“ genannte Wohnungsbaugesellschaft der Hansestadt hat mit der „Alten Mensa“ ein jahrzehntelang als Veranstaltungsstätte genutztes Schirmschalengebäude gekauft und will dieses nun zu einem teilweise von der eigenen Verwaltung genutzten Bürogebäude umbauen. Die von den Architekten Arno-Claus Martin und Siegfried Fischer zusammen mit Ulrich Müther konzipierte, 1972 realisierte Mensa sollte während der DDR-Zeit – zusätzlich zur Nutzung durch die nahe gelegene Hochschule – auch als „gesellschaftliches Zentrum“ des damals noch im Aufbau befindlichen Plattenbau-Wohngebiets Friedenshof fungieren. Zum leicht erhöht liegenden Bauwerk gehört auch eine präzise durchgeplante, durch Treppenanlagen und Terrassen strukturierte Freiraumgestaltung. Im Gebäude gibt es neben dem früheren „Mensakeller“ drei unterschiedlich große, sich um das Foyer und den ehemaligen Küchenbereich legende Gasträume mit eindrucksvollen, teilweise gruppenweise angeordneten Schirmschalen. Vier Schirme überdachen den großen Speisesaal, zwei den kleineren Speisesaal, ein früher dekorativ bemalter Schirm die ehemalige Milchbar.
Der „Mensakeller“ etablierte sich sofort als Party-Location. Nach dem Umzug der Mensa in einen Neubau auf dem Campus und der Übernahme der Alten Mensa durch einen neuen Betreiber verwandelte sich das Gebäude in eine Diskothek mit mehreren verschiedenen, über beide Ebenen verteilten Bereichen mit angeschlossenem „Beachclub“ auf den Terrassen. Ein 2009 für diese neuen Nutzungen eingereichter Bauantrag konnte – laut den Angaben der Stadt Wismar – jahrelang nicht abschließend bearbeitet werden, weil der Eigentümer die immer wieder angezeigten Mängel nicht beseitigte. 2018 wurde die weitere Nutzung aufgrund sicherheitstechnischer Mängel (Brandschutz) und immissionsschutzrechtlicher Belange (lärmintensive Veranstaltungen, auch im Außenbereich) untersagt.
Als die Wobau die Immobilie im Sommer 2020 erwarb, standen Gebäude und Umfeld noch nicht unter Denkmalschutz. Mittlerweile ist jedoch ein Verfahren zur Eintragung in die Denkmalliste eingeleitet worden, bei dem das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern vier Elemente besonders hervorgehoben hat: die Schirmschalen (die den Raumeindruck der Speisesäle dominieren), die horizontal gegliederte Fassade, die Freiraumgestaltung und die Ausstattung mit baugebundener Kunst. Laut den Angaben der Wobau soll die äußere Kubatur beim geplanten Umbau weitestgehend erhalten bleiben. Im Zuge der weiterhin im Abstimmungsprozess befindlichen Planungen wird aktuell ein natürliches Belichtungskonzept mit einem offenen Atrium in der Mitte des Gebäudes geprüft. Milchbar und Speisesäle sollen even­tuell mit Glaswänden in kleinere Büroeinheiten unterteilt, dabei die architektonische Qualität dieser Räume aber erhalten werden.
In der Wismarer Bürgerschaft gibt es weiterhin den Wunsch nach einer erneuten öffentlichen Nutzung, möglichst als Veranstaltungsstätte. Mal abgesehen vom Mensakeller ist in diesem Gebäude aber nie eine Nutzung als lärmintensive Veranstaltungs- und Vergnügungsstätte genehmigt worden. Und sie ist an dieser Stelle − mitten in einem Wohngebiet − derzeit planungsrechtlich gar nicht erlaubt. Aber vielleicht wäre in einigen architektonisch interessanten Teilbereichen dieses Gebäudes auch in Zukunft eine andere öffentliche Nutzung denkbar? Die Planungen für den Umbau des Gebäudes sind noch nicht abgeschlossen und mit den entsprechenden Baumaßnahmen soll erst noch begonnen werden. Demnächst soll für das gesamte Areal rund um die Mensa und die benachbarte Sporthalle ein neuer Bebauungsplan erarbeitet werden.
Fakten
Architekten Müther, Ulrich (1934−2007)
aus Bauwelt 26.2020
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