Von Vorgängern lernen
Die Sammlung des Architekturmuseums der TU München ist nicht nur ein Archiv historischer Materialien, sondern auch ein aktives Lerninstrument für Studierende. Die Autorin leitet das Archiv und zeigt anhand von Beispielen, wie es in Seminare, Vorlesungen und Projektarbeiten integriert wird.
Text: Meissner, Irene
Von Vorgängern lernen
Die Sammlung des Architekturmuseums der TU München ist nicht nur ein Archiv historischer Materialien, sondern auch ein aktives Lerninstrument für Studierende. Die Autorin leitet das Archiv und zeigt anhand von Beispielen, wie es in Seminare, Vorlesungen und Projektarbeiten integriert wird.
Text: Meissner, Irene
Wie in jeder Akademie und Bauschule des 19. Jahrhunderts befanden sich auch an der 1868 eröffneten neuen Polytechnischen Schule München (seit 1877 Technische Hochschule, seit 1970 TUM) Sammlungen von Lehrmaterialien für den Architekturunterricht. Studierende lernten damals nicht nur das Zeichnen durch das Abpausen von Vorlagen und das Kopieren von Gipsabgüssen, sondern auch einen Formenschatz historisch bedeutender Bauten und Baudetails kennen. Zu diesen Vorlageblättern zählten in München unter anderem die kunstvoll aquarellierten Blätter Carl von Fischers, des ersten akademischen Architekturlehrers Bayerns an der 1808 gegründeten Akademie der Bildenden Künste, dessen Zeichnungen der neuen Polytechnischen Hochschule mit der Gründung übereignet wurden. Sie bilden den Grundstock und das Herzstück des heutigen Archivs. Die Materialien der „architectonischen Sammlung“ nutzte beispielsweise Gottfried von Neureuther, der erste Lehrer für Höhere Baukunst, nicht nur in Übungen, sondern auch in Vorlesungen, um das „Entwerfen von größeren öffentlichen und Privatgebäuden, sowie von Monumentalbauten“ zu erläutern. Für ihre Entwürfe mussten die Studierenden auch Modelle fertigen, die Integration von Modellen in die Ausbildung und die Einrichtung einer eigenen Modellbauwerkstatt erfolgten allerdings erst in den 1970er-Jahren an der TUM. Aus der Frühzeit hat sich nur ein 1908 entstandenes Studienobjekt des Ulmer Münsters erhalten. Das drei Meter hohe und 2,5 Meter lange, von Moritz Wolff gefertigte Modell im Maßstab 1:60 war einst eines der Schaustücke in den von Friedrich von Thiersch 1912 neu geschaffenen, prunkvoll ausgestalteten Sammlungsräumen, in denen die einzelnen Lehrmittelsammlungen zusammengefasst waren. Das imposante Modell galt als Kriegsverlust, wurde aber im Sommer 2024 im Bayerischen Nationalmuseum wiederentdeckt.
Aufgrund von Veränderungen in der Architektenausbildung verschwand die historische Vorbildsammlung in den 1920er- und 1930er-Jahren zunehmend aus dem Lehrbereich. Die Zeichnungen und Vorlagenwerke wurden durch Lichtbilder und Glasnegative sowie Bücher abgelöst, und der Entwurf konzentrierte sich mehr und mehr auf Konstruktion und Bautechnik. Die Sammlung wandelte sich allmählich in ein Architekturarchiv und wurde sporadisch für historische Forschungen genutzt. Eine rechtzeitige Auslagerung bewahrte die Bestände im Zweiten Weltkrieg vor der Zerstörung. Nach dem Krieg gelangten die Zeichnungen und Fotografien in die Depots der Hochschule und lagerten dort lange ungenutzt. Seit 1975 wurde die Spezialsammlung von Winfried Nerdinger, dem neuen Leiter, systematisch in ein wissenschaftliches Forschungsarchiv mit Museumsaufgaben umgewandelt. Durch eine intensive Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit machte Nerdinger das Archiv bekannt, sodass es 2002 mit eigenen Ausstellungsräumen „zu einem elementaren Bestandteil der Pinakothek der Moderne“ (Matthias Alexander, FAZ, 24.08.2024) werden konnte.
Das Archiv wurde nun auch wieder für die Lehre genutzt, und insbesondere der Modellbau kam immer wieder in direkte Verbindung mit den Lehrveranstaltungen. In einem Seminar über Leo von Klenze untersuchten beispielsweise Studierende 1998 die stets aufs Neue diskutierte Belichtung der großen Galerieräume der Alten Pinakothek. An einem exakten Modell des Rubenssaals konnte Johannes Baumstark in Zusammenarbeit mit dem Lichtstudio von Professor Bartenbach in Innsbruck durch geometrische Analyse und präzise lichttechnische Vermessung nachweisen, dass Klenzes System von Laternen und Hohlkehlen ein gleichmäßiges blendungsfreies Streulicht lieferte. Klenzes einzigartiges Lichtsystem, das Vorbild für zahlreiche folgende Galeriebauten wurde, erzielte nachweislich ein Maximum des Möglichen bei natürlicher Belichtung. In vielen weiteren Untersuchungen konnten über die Unterlagen des Archivs sowie interdisziplinäre Studienarbeiten neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden.
Ein ganz anderes Gebiet erschlossen die Modelle, die im Rahmen eines Seminars über fiktive Architektur in der Literatur von Studierenden für die Ausstellung „Architektur wie sie im Buche steht“ (2006) gebaut wurden. Es ging darum, die literarischen Beschreibungen möglichst genau im Modell zu veranschaulichen und dabei zu
untersuchen, inwieweit das dichterisch Beschriebene überhaupt zu konkretisieren war und welchen Stellenwert die Architektur im Roman einnimmt. Auch hier konnte vielfach mit dem Material im Archiv gearbeitet werden, beispielsweise für das Modell des Rosenhauses aus dem Roman „Der Nachsommer“ von Adalbert Stifter nach den Zeichnungen von Theodor Fischer. Das im Seminar entstandene Modell wurde später an das Literaturmuseum in Wien ausgeliehen und erfreut sich dort großer Beliebtheit. Die Modelle am Architekturmuseum dienen somit häufig auch als Ausstellungsobjekte, obwohl sie zumeist nicht für diesen Zweck angefertigt werden.
untersuchen, inwieweit das dichterisch Beschriebene überhaupt zu konkretisieren war und welchen Stellenwert die Architektur im Roman einnimmt. Auch hier konnte vielfach mit dem Material im Archiv gearbeitet werden, beispielsweise für das Modell des Rosenhauses aus dem Roman „Der Nachsommer“ von Adalbert Stifter nach den Zeichnungen von Theodor Fischer. Das im Seminar entstandene Modell wurde später an das Literaturmuseum in Wien ausgeliehen und erfreut sich dort großer Beliebtheit. Die Modelle am Architekturmuseum dienen somit häufig auch als Ausstellungsobjekte, obwohl sie zumeist nicht für diesen Zweck angefertigt werden.
Ein weiteres Anwendungsgebiet des Archivs in der Lehre ist die Übernahme von historischen Methoden und Konzepten für den Zeichenunterricht. Peter Schmid, Dozent am Lehrstuhl für Entwerfen und Gestalten (Uta Graff), unterrichtet seit vielen Jahren im Bachelor-Studiengang das Fach Architekturzeichnen unter anderem nach den Lehrmethoden, die Hans Döllgast entwickelte, dessen Vorlesungsmanuskripte sich im Archiv befinden. Am Lehrstuhl für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege (Andreas Hild) dienen die berühmten farbig lasierten Aquarellzeichnungen Carl von Fischers dazu, diese Zeichentechnik an einem bestehenden Gebäude und bei einem eigenen Entwurf anzuwenden, um dadurch zu objektivierbaren Ergebnissen zu gelangen (Bauwelt 24.2017).
Neue Aufmerksamkeit für Lehre und Forschung fand die Sammlung des Architekturmuseums auch im Zuge einer veränderten Ausrichtung der Ausbildung auf ein Bauen im Bestand. Insbesondere bei der Professur für neuere Baudenkmalpflege (Andreas Putz) stehen immer wieder Münchner Bauten, zu denen Unterlagen im Archiv aufbewahrt werden, im Zentrum des Unterrichts. Im Hinblick auf die Aufnahme des Münchner Olympiaparks in das Unesco-Welterbe beschäftigten sich Putz und die Studierenden mit den 1972 im Umfeld des Olympiastadions errichteten Kassen und Kiosken von PAS Architekten (Jochem Jourdan, Bernhard Müller), die ihren Vorlass 2021 dem Architekturmuseum der TUM übergaben. Im Seminar ging es unter anderem darum, die Konstruktion zu analysieren und Vorschläge für eine denkmalgerechte Ertüchtigung sowie für eine neue Nutzung zu erarbeiten. Die Ergebnisse fanden Eingang in Katalog und Ausstellung „Die Olympiastadt München“, die 2022 zum 50-jährigen Jubiläum der Olympischen Spiele im Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne gezeigt wurde.
Aufgrund der wachsenden Bedeutung der Forschung bei der universitären Architektenausbildung werden auch zunehmend theoretische Masterthesen angeboten, die dann oft mit einer Entwurfsaufgabe kombiniert werden. So sind in den vergangenen Jahren eine Reihe monografischer Arbeiten zu Architekten entstanden, deren Nachlässe in der Sammlung des Architekturmuseums aufbewahrt werden. Nicht zuletzt beschäftigen sich Studierende in architekturgeschichtlichen Seminaren immer wieder mit den Archivbeständen, zurzeit mit dem Nachlass von Richard Paulick im Seminar über „Architektur und Künste im Exil“.
Die Bestände des Architekturmuseums der TUM sind seit 2009 über MediaTUM online erschlossen. Von gemeinfreien Unterlagen sind die hinterlegten Dateien sichtbar und werden frei zugänglich zum Download bereitgestellt.
0 Kommentare