Bauwelt

Von öffentlichen Wohnzimmern und Gemeinschaften

Wie zeitgemäß sind unsere Wohngrundrisse noch? Und wie öffentlich sollen wir wohnen? Die Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ beleuchtet kollektive Wohnformen und hinterfragt herkömmliche Raumkonfigurationen.

Text: Mijatović, Maja, Hamburg

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    Gemeinschaftlich genutzter Raum im Jahr 1890: Überdachter Innenhof im Familistère von Guise.
    Foto: Collection Familistère de Guise

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    Gemeinschaftlich genutzter Raum im Jahr 1890: Überdachter Innenhof im Familistère von Guise.

    Foto: Collection Familistère de Guise

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    Zwischenhof im Moriyama House von Ryue Nishizawa in Tokio, 2005.
    Foto: Dean Kaufman

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    Zwischenhof im Moriyama House von Ryue Nishizawa in Tokio, 2005.

    Foto: Dean Kaufman

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    Gemeinschaftlich genutzter Raum im Jahr 2018: Die selbst organisierte, kollektive Wohngenossenschaft La Borda
    Foto: Lacol/Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona

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    Gemeinschaftlich genutzter Raum im Jahr 2018: Die selbst organisierte, kollektive Wohngenossenschaft La Borda

    Foto: Lacol/Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona

Von öffentlichen Wohnzimmern und Gemeinschaften

Wie zeitgemäß sind unsere Wohngrundrisse noch? Und wie öffentlich sollen wir wohnen? Die Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ beleuchtet kollektive Wohnformen und hinterfragt herkömmliche Raumkonfigurationen.

Text: Mijatović, Maja, Hamburg

Das mit dem Wohnen ist so eine Sache. Die einen erfüllen sich ihren Traum im Einfamilienhaus am Stadtrand, während andere die Anonymität der Großstadt genießen. Jeder Mensch wohnt anders und doch sind es die immer gleichen Raumtypologien, in denen individuelle Lebensvorstellungen ihren Ausdruck finden. Dies liegt unter anderem an den heteropatriarchalen Strukturen, die bis heute die Gestaltung der Wohngrund­risse prägen. Im Vordergrund stehen stereotype Rollenbilder, wie die glückliche Kleinfamilie mit Kindern oder der ambitionierte, unabhängige Single. Doch sind diese Ansichten überhaupt noch zeitgemäß? Wie wollen beispielsweise Patchwork-Familien, Alleinerziehende oder Senioren leben?
Während konventionell gedachte Wohnbauten unsere Städte weiter nachverdichten, sprießen in dieser städtebaulichen Ödnis kleine selbstini­tiierte Bauoasen auf, die ein neues Verständnis von Wohnen und Gemeinschaft, von privat und öffentlich formulieren. Diese Vielfalt ist so groß, dass sie als Grundlage für die Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg diente. Die beiden Architekten und Publizisten Ilka und Andreas Ruby kuratierten mit EM2N die Wanderausstellung, die ihren Auftakt im Vitra Design Museum hatte und sich in fünf Räumen den Facetten kollektiven Wohnens widmet.
Der Wunsch nach gemeinschaftlichem Wohnen ist nicht erst in den letzten Jahrzehnten aufgekommen: Erste Konzepte und Projekte zeigen sich zu Beginn der Industrialisierung, wie die frühsozialistische Werkssiedlung New Lanark in der Nähe von Glasgow von Robert Owen (1800). Aber auch feministische Ansätze und Projekte wurden schon damals formuliert: So sollen das Co-Operative Housekeeping von Melusina Fay Peirce (1884) oder das Einküchenhaus von Lily Braun (1901) Frauen von der Hausarbeit entlasten. Ebenso abgebildet werden Gartenstädte aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. In den 1950er Jahren wurden überdies verschiedene Gesellschaftsschichten in einem Gebäude vereint, wie im Wohnhochhaus Edifício Copan in São Paolo von Oscar Niemeyer (1952-1966).
Und auch heute scheinen alternative Wohnformen einen neuen Stellenwert in Großstädten einzunehmen. In imposanten 1:24-Modellen würfeln die Kuratoren 21 zeitgenössische Projekte aus Europa, Asien und den USA zusammen. Die Bauten ergeben dabei eine fiktive Stadtszenerie. Es gehe nicht nur um das einzelne Gebäude, so Ilka Ruby, sondern vielmehr darum, den Austausch mit der Stadt zu suchen. Daher werden die verschiedenen öffentlichen Funktionen und Räume innen und außen in unterschiedlichen Farben dargestellt. Präsentiert werden Projekte wie etwa das Yokohama Apartment in Japan von Osamu Nishida, ON Design Partners und Erika Nakagawa, bei dem die Übergänge zwischen öffentlichen und halböffentlichen Räumen fließend sind. Oder das Wohnexperiment Vinzirast-Mittendrin aus Wien von Gaupenraub +/-, in dem ehemals Obdachlose mit Studierenden in Clusterwohnungen zusammenleben. Eine kritische Betrachtung der Entwicklung fehlt allerdings bei allen Projekten – sicherlich lief dabei nicht immer alles rund.
Die gehobene Form der WG, die sogenannte Clusterwohnung, gibt als 1:1-Modell ein Gefühl für private Rückzugsräume, die sich jederzeit in den öffentlichen Gemeinschaftsbereich erweitern lassen. Im angrenzenden Coworking-Space können sich Besucher und Besucherinnen über die teils jahrelangen und komplexen Prozesse in der Entwicklung der Gebäude informieren. Dabei stellt man fest: So divers die Mieterschaft nach Fertigstellung ist, so homogen ist die Zusammensetzung der Planer und Planerinnen. Welche Akteure besitzen die finanziellen und zeitlichen Kapazitäten, um – meist ehrenamtlich – solche umfangreichen Projekte zu entwickeln?
Dass neue Wohnformen auch im Bestand möglich sind, zeigt die Ausstellungsergänzung, in der die Ergebnisse aus dem Hamburger Konzeptfindungsverfahren „Wohnen – und was noch?“ vorgestellt werden. Dabei ging es darum, zeitgemäße Lösungen für genossenschaftliche Siedlungen aus den 1950er bis 1970er Jahren zu finden.
Die Schau zeigt auf, dass gemeinschaftliches Wohnen einen großen Mehrwert sowohl für die Bewohner, als auch für die Nachbarschaft über die architektonische Ebene hinaus erzeugen kann. Das Potenzial, dieses Format als Standardmodell für den allgemeinen Wohnungsmarkt zu etablieren, ist vorhanden. Und die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist insbesondere in dieser außergewöhnlichen Zeit sehr groß.

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