Vorsichtig auf die Weltbühne
Umwelt und Klimaschutz in Indien
Text: Lindner, Walter J.
Vorsichtig auf die Weltbühne
Umwelt und Klimaschutz in Indien
Text: Lindner, Walter J.
Ebenso auf der gemeinsamen Werteliste zwischen Indien und Deutschland: Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Schließlich ist Indien eines der Länder, deren momentaner ökologischer Fußabdruck pro Person noch sehr klein ist und deutlich unter dem globalen Durchschnitt liegt, das aber auf dem Sprung ist, mehr Ressourcen zu verbrauchen, da Bevölkerung, Produktion und Konsum stark zunehmen. Derzeit ist Indien mit sei-nen 1,4 Milliarden Menschen einer der größten CO2-Produzenten der Welt. Dabei kann Indien argumentieren, der Westen möge doch bitte nicht im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen, denn er sei es gewesen, der für Industrialisierung, Wohlstand und Wachstum globale Umweltzerstörungen billigend in Kauf nahm. Jetzt aber wolle der Westen dem Globalen Süden vorschreiben, was er zu tun hätte, um die Erde zu retten. Dies sei nicht als Freibrief für Umweltsünden von Schwellen- oder Entwicklungsländern zu verstehen, mache aber deutlich, dass westliche Überheblichkeit fehl am Platze sei.
Ein Beispiel kann die Problematik erhellen: Im Norden Indiens liegen die größten Kohlefördergebiete des Landes. In Jharkhand, wo die viertgrößten Kohlereserven der Erde lagern, besuche ich einmal ein riesiges Tagebaugebiet in der Region um Churchu. Was ich sehe, wirkt wie ein Ausschnitt aus einem Endzeit-Movie: Über der Szenerie liegt Staub, der Smog verklebt einem die Lungen und macht das Atmen schwer. Man fragt sich, wie Menschen unter diesen Bedingungen leben und arbeiten können. Auf einer endlos scheinenden Straße reihen sich 60, 70, 80 Lastwagen hinter-einander. Alle randvoll beladen mit grob gehauenen Kohlebrocken. In den gigantischen Kohlegruben, die wie riesige Wunden in der Erde klaffen, schrauben sich Lastwagen dicht gedrängt die Serpentinen bis zur Talsohle hinunter, wo Arbeiter und Arbeiterinnen manuell die Kohle abbauen, manchmal unterstützt durch Bagger. Ich spreche mit mehreren Fahrern, setze mich auch in die Fahrerhäuser. Als Lkw-Fahrer in Jugendjahren bin ich mit den Kolossen vertraut. Ich lasse mir Technik, Arbeitsalltag, Sorgen und Nöte schildern. Auch hier wird klar: Es gibt keine Arbeitsalternative, die Menschen müssen ihre Familien versorgen. Dass Lungenkrankheiten verbreitet sind, wundert mich nicht. Aber auch hier wird berichtet: Vieles sei besser geworden, es gebe mittlerweile eine gewisse medizinische Grundversorgung und meist festen Lohn.
Angesichts dieser Zustände kann ich die deutsche Rigorosität nicht nachvollziehen, in keinem Land der Erde Projekte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu fördern, die – für die Übergangszeit zum tatsächlichen Kohleausstieg – dem Kohleabbau zugutekommen oder die Nutzung der Kohle durch ein Land verlängern würden. Es wäre doch sinnvoll, ausgeklügelte leistungsstarke Filter auf die Kohleschlote zu setzen, Lkw mit Partikelfiltern auszustatten, umweltschonende Entlüftungsanlagen einzubauen. Für Deutschland, das selbst mitten im Kohleausstieg ist, ist die eigene Haltung zwar konsequent, denn sie soll dabei helfen, dass die Ziele der globalen Emissionsbegrenzung erreicht werden. Allerdings: Europa hat seit der Industriellen Revolution Geld und Wohlstand auf der Basis der umweltschädlichen Kohle erwirtschaftet. Auch deshalb hat es jetzt das Wissen um verheerende Folgen und um alternative Möglichkeiten. Andere Staaten vor den eigenen Fehlern der Vergangenheit bewahren zu wollen ist legitim, ja geboten – der Ton, in dem das geschieht, sollte allerdings ein anderer sein. Und auf die besonderen Herausforderungen des Partners einzugehen ist mindestens genauso wichtig.
Indien, das zum wirtschaftlichen Schwergewicht aufsteigende Schwellenland, hat enormen Energiebedarf. Als bevölkerungsreichstes Land der Erde mit ambitionierten Entwicklungszielen braucht es Energie: für seine steigende Produktion angesichts einer konsumfreudigen wachsenden Mittelschicht, für die wachsende Industrie, für seinen Modernisierungs- und Investitionsbedarf in Infrastruktur, Gesundheit, Bildung und IT, um weitere Millenniumsziele zu erreichen. Indien ist auf hohe Raten des Wirtschaftswachstums angewiesen, gegenwärtig sind sie die höchsten weltweit. Die Nachfrage nach Energieträgern steigt also ständig. Dabei wird der Ausbau erneuerbarer Energie stark forciert. Das Land hat ein ehrgei-ziges Programm aufgelegt, um bis 2070 CO2-neutral zu sein. Aber: Für die 46 Jahre bis dahin, so die indische Regierung, wird eine Brückenversorgung aus einem Energiemix benötigt. Dieser enthält zwar immer mehr erneuerbare Energien, aber zu einem erheblichen, wenn auch schrumpfenden Teil auch Kohle. Es geht nicht um Wachstum oder Klimapolitik, sondern um Klimapolitik und Wachstum.
Die beiden Beiträge sind gekürzte Auszüge aus dem Buch des Autors „Der alte Westen und der neue Süden. Was wir von Indien lernen sollten, bevor es zu spät ist“
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