Wiederverwendung
Abriss oder nachhaltige Substanzerneuerung? Tchoban Voss zeigen im Aedes, wie würdige Revitalisierungen aussehen können.
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Wiederverwendung
Abriss oder nachhaltige Substanzerneuerung? Tchoban Voss zeigen im Aedes, wie würdige Revitalisierungen aussehen können.
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Sergei Tchoban ist ein Feingeist, ein Künstler mit dem Zeichenstift, ein Sammler und sogar ein Museumsgründer – und nicht zuletzt ist er der Autor zahlreicher architektonischer Werke, wobei er sich nicht zu schade für profane Umbauprojekte ist, im Gegenteil: Die Revitalisierung von Bestandsbauten steht schon lange oben auf der Agenda des Büros Tchoban Voss Architekten, das in Hamburg, Berlin und Dresden Standorte hat.
Das Aedes Architekturforum in Berlin widmet dem Büro mit „Re-Use“ nun eine kleine Werkschau von Umnutzungs- und Neugestaltungsprojekten seit 2006, mit der gewissermaßen an die erste Aedes-Ausstellung von Tchoban Voss Architekten angeknüpft wird („Der Java-Turm“, 1997). Mit acht Beispielen aus Berlin, Hamburg und SanktPetersburg spannen die Architekten einen weiten Möglichkeitsraum auf, insbesondere hinsichtlich eines behutsamen Umgangs mit den oft durch industriell vorgefertigte Konstruktionen und Fassaden geprägten Bauwerken der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Sergei Tchoban und Ekkehard Voss legen Wert darauf, die konstruktive Struktur und das Volumen eines Bestandsgebäudes weitgehend zu bewahren – zum einen, damit so viel „graue Energie“ (die zur Errichtung eines Bauwerks aufgewendet wurde) erhalten bleibt und zum anderen, damit es – selbst wenn ihm ein neues „Kleid“ übergeworfen wurde – dauerhaft als Werk etwa der 1960er-Jahre erkennbar bleibt.
Diese Entwurfshaltung kommt in zwei Beispielen aus jüngerer Zeit in Berlin besonders zur Geltung: Mit den neuen, in der Struktur jeweils am ursprünglichen Erscheinungsbild orientierten Fassaden aus pulverbeschichteten weißen Aluminiumblechkassetten erscheinen sowohl das ehemalige Finanzamt Wilmersdorf in der Blissestraße, jetzt ein Büro- und Geschäftshaus (1971/2020) als auch das ehemalige Hauptpostamt 2, jetzt ein Bürogebäude am Ernst-Reuter-Platz (1974/2021) noch immer als Monumente ihrer Erbauungszeit, denen lediglich eine neue Schicht hinzugefügt wurde. Dass auch Industriebauten ein enormes Revitalisierungspotenzial bieten, belegt ein Beispiel aus Sankt Petersburg: Dort bauten das Architekturbüro einen viergeschossigen Stahlbetonskelett-Rohbau von 1965 zum sechsgeschossigen Geschäfts- und Wohnhaus Langenzipen (2006) aus, das mit seinen großen Glasflächen immer noch die Anmutung eines Industriebaus hat.
Ein echter Makel der Ausstellung ist, dass sich die Fotografien fast ausschließlich auf die Fassaden und den stadträumlichen Kontext – überwiegend im Vorher/Nachher-Vergleich – beschränken, aber kaum Einblicke in das Innere der revitalisierten Bauwerke gewähren. Eine rühmliche Ausnahme ist das Kaiser-Wilhelm-Kontor in Hamburg (1957–58/2008), wo sich hinter den neuen großen Holz-Aluminium-Glasfenstern jeweils zwei Geschosse verbergen; von einem Büro aus betrachtet, erscheint ein – hier: halbes –Fassadenelement dagegen als geschosshohes Fenster. Einblicke ganz anderer Art gewähren in der Ausstellung zwei großformatige Grafiken in Sepia und Aquarell auf Papier zum Thema „Re-Use“, mit denen Sergei Tchoban einmal mehr seine zeichnerische Meisterschaft unter Beweis stellt.
Zur Aedes-Ausstellung ist kein Katalog erschienen. Stattdessen ist im Architekturforum das von Aedes-Direktorin Kristin Feireiss herausgegebene Buch „Sergei Tchoban – Lines and volumes“ mit vier Interviews, die sie mit Sergei Tchoban geführt hat, und einem Essay von Deyan Sudjic erhältlich (Park Books). Die vier Begegnungen mit dem Architekten, dem Künstler, dem Sammler und dem Museumsgründer geben einenguten Einblick in die vielschichtige Persönlichkeit Tchobans.
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