Bauwelt

Erinnerungen an Wolfgang Döring 1934–2020

Text: Ingenhoven, Christoph, Düsseldorf

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Wolfgang Doering ist am 4. November in Düsseldorf verstorben.
Foto: Martin Steffen

  • Social Media Items Social Media Items
Wolfgang Doering ist am 4. November in Düsseldorf verstorben.

Foto: Martin Steffen


Erinnerungen an Wolfgang Döring 1934–2020

Text: Ingenhoven, Christoph, Düsseldorf

Gelernt habe ich von ihm vor allem, dass Häuser bis ins Detail hinein gut, das hieß für ihn verständlich und angemessen, konstruiert sein müssen, dass man die Dinge zu Ende denken muss. 1978 habe ich mein Architekturstudium an der RWTH Aachen bei Wolfgang Döring begonnen. Da war er gerade 44 Jahre alt und bereits seit 1972 Professor. 1979 reisten wir mit ihm nach New York zu Philip Johnson, nach Washington zum gerade eröffneten East Wing der National Gallery von I. M. Pei und zu SOM nach Chicago. Er war cool, hatte diese gewisse Weltläufigkeit, war sehr gut angezogen, perfekt sitzende Anzüge, und er fuhr einen weißen 450 SEL!
Wolfgang Döring wurde 1934 in Berlin geboren. Nach dem Grundstudium an der TU München, unter anderen bei Hans Döllgast, folgte 1958 das Diplom bei Egon Eiermann. Im Anschluss Mitarbeit in Eiermanns Büro, zwischendurch bei Max Bill, 1960 Büroleiter bei Paul Schneider-Essleben in Düsseldorf. Das waren mindestens drei gute Vorbilder in Lässigkeit und Chuzpe, davon wird noch die Rede sein. Von 1964 an führte er sein eigenes Büro und war zugleich Teil der Künstler- und Galeristenszene im Rheinland, befreundet mit Günther Uecker, Gerhard Richter, Bernd und Hilla Becher. Ich erinnere mich an einen beeindruckend großen Yves Klein in seiner Wohnung in Oberkassel, die er zusammen mit seiner zweiten Frau Cornelia, Inhaberin der damals angesagten Architektur- und Kunstbuchhandlung Düsseldorfs, und der gemeinsamen Tochter Paula bewohnte.
Man darf Wolfgang Döring mit Recht einen überzeugten Modernen nennen, Zeitgenossenschaft, das Leben im Jetzt und die Teilhabe an der intellektuellen Debatte waren ihm selbstverständliche und tägliche Vergewisserung der eigenen Position. Die offene, sehr neugierige, absolut moderne Haltung spiegeln auch seine frühen Werke, in der Rückschau noch deutlicher, wider. Er beschäftigte sich intensiv mit Präfabrikation, mit neuen Materialien, den Konstruktionen Konrad Wachsmanns, Moshe Safdies Habitat 67, den russischen Konstruktivisten und so vielem anderen mehr. Kritik an der seiner Meinung nach rückständigen, konventionellen Bauweise legte er auch in dem Suhrkamp-Taschenbuch „Perspektiven einer Architektur“ dar. In Erinnerung bleiben werden ebenso die sehr schönen Modelle seiner Raumstrukturen und das seiner Zeit weit vorauseilende Modell eines Experimental-Theaters. Es wurde 1964 auf der Antwerpener Kunstausstellung „Integratie“ neben Kunstwerken der Gruppe Zero, Lucio Fontanas und Yves Kleins präsentiert. Das Modell zeigt den Querschnitt durch die rote Außenhülle und die organisch geformte Innenhaut, die die „Blobs“ der digital erzeugten Architektur der Jahrtausendwende vorwegnimmt.
Dörings bekanntestes Projekt, das Haus Mayer-Kuckuk von 1967, ein Einfamilienhaus in Systembauweise mit einem Tragwerk aus Leimholzbalken, das er für den Atomphysiker Theo Mayer-Kuckuk entwarf, kostete nur 80.000 DM und wurde nach dem Gießen der Betonfundamente in nur fünf Tagen errichtet. Dabei habe ihn das Aussehen des Hauses „eigentlich überhaupt nicht interessiert“. In den folgenden Jahren schlossen sich Engagements im Ausland mit Bau-Büros in Mailand, Riad und Istanbul an. 1988 erhielt er den etwas nebulösen Auftrag zur Renovierung des Melnikow-Hauses in Moskau, der jedoch so nicht ausgeführt wurde. 1992 folgte eine Gastprofessur an der Universität in Tokio sowie nach seiner Emeritierung in Aachen 2011 eine Gastprofessur an der Universidad Tecnológica Equinoccial in Quito, Ecuador.
Bekannt für seine außerordentliche Chuzpe, verband Döring Berliner Humor mit dem herzlichen Jargon des Rheinischen. Langweilig wurde es mit ihm nie, Political Correctness war noch kein Thema. Gelegentlich löste das in mir und anderen eine gewisse Widerständigkeit aus. Nach einem frustrationsbedingten Exkurs 1980–82 an die Düsseldorfer Kunstakademie zu Hans Hollein kehrte ich für mein Diplom nach Aachen und zu Döring zurück. Allerdings war die Szene unübersichtlicher geworden. Wir waren mehr an Neuer Prächtigkeit und exquisit unverständlichen Isometrien interessiert als an Verständlichkeit und Miesianischem. Seit 1978 war der Ratinger Hof zur Heimat von Punk und Elektronischer Musik geworden, von Kraftwerk, der einglischen Punkband Wire und später ZK, der Vorgängerband der Toten Hosen, an der Kunstakademie lehrten James Stirling und Hans Hollein. Mit klassischer Moderne hatte das nicht viel zu tun. Wie viele fühlte Wolfgang Döring sich herausgefordert und reagierte auch schon mal verunsichert, später aber interessiert und experimentierfreudig.
Er hatte eine große Geschicklichkeit darin, besonders talentierte Pragmatiker frisch von der Uni in Aachen, wo sie meist bereits als Studenten für ihn gearbeitet hatten, in sein Büro zu holen: Siegfried Wernik, Jürgen Overdiek, Michael Krieger, später Michael Dahmen und Elmar Joeressen, die mit ihm 1996 das gemeinsame Büro DDJ gründeten und ihm bis kurz vor seinem Tod andauernde Mitwirkung an vielen weiteren Projekten ermöglichten. Man sagt oft, Typen wie er werden nicht mehr hergestellt. Hier stimmt es ausnahmsweise. Ich hoffe, er findet, wo er jetzt ist, ebenso geistreiche Gesprächspartner wie er selber uns einer war.
Fakten
Architekten Döring, Wolfgang (1934–2020)
aus Bauwelt 25.2020
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.