Bauwelt

Wuppertal und das Circular Valley Rhein-Ruhr

Eine Bürgerinitiative, die enkelfähig denkt

Text: Escher, Gudrun, Xanten

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    Die Nordbahntrasse ist ein etwa 22 km langer Fuß- und Radweg auf einer ehemaligen Hochbahntrasse.
    Foto: Allard Schager/Alamy

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    Die Nordbahntrasse ist ein etwa 22 km langer Fuß- und Radweg auf einer ehemaligen Hochbahntrasse.

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    Die Initiative Wuppertalbewegung hat das Projekt Circular Valley ins Leben gerufen, um Wuppertal zu einem Hotspot der Kreislaufwirtschaft zu machen und die Stadt als Industrie- und Wissenschaftsstandort zu stärken.
    Foto: philipus/Alamy; Grafik: Circular Valley®

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    Die Initiative Wuppertalbewegung hat das Projekt Circular Valley ins Leben gerufen, um Wuppertal zu einem Hotspot der Kreislaufwirtschaft zu machen und die Stadt als Industrie- und Wissenschaftsstandort zu stärken.

    Foto: philipus/Alamy; Grafik: Circular Valley®

Wuppertal und das Circular Valley Rhein-Ruhr

Eine Bürgerinitiative, die enkelfähig denkt

Text: Escher, Gudrun, Xanten

Warum den Schwung einer Bürgerbewegung nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten Projekte im Sande verlaufen lassen? Warum nicht neue, weiter ausgreifende Ziele formulieren? Im Jahr 2006, als in New York die Umwandlung einer still gelegten Güterbahnstrecke zum weltweit bewunderten High Line Park startete, fing in Wuppertal der gemeinnützige Verein „Wuppertal Bewegung e.V.“ damit an, zwei seit 1991 brachliegende Eisenbahnstrecken als „Nordbahntrasse“ für Radfahrer und Fußgängerinnen zu adaptieren. Da die Strecke eine der frühen, für Dampfloks geeig-neten Eisenbahntrassen war, überwindet sie im engen Wuppertaler Land größere Steigungen durch Brücken, Viadukte und Tunnel und bietet heutigen Nutzern bequem mit Muskelkraft zu bewältigende, kreuzungsfreie und kurze Verbindungen in der Stadt und ins Umland. 2008 war die Finanzierung mit 3,3 Millionen Euro an erforderlichen Eigenmitteln gesichert undein Jahr später übertrug die Stadt die Verantwortung für die Nordbahntrasse an den Verein. 2014 wurde sie eröffnet und seither in ein weiter gespanntes Netz von Radwegen auf Bahntrassen eingebunden, insgesamt ein raumordnendes und mobilitätsförderndes Großprojekt des „Re-Cyclings“: der Überführung von Infrastrukturen des ersten Industriezeitalters in neue Nutzungen.
Vor fünf Jahren startete der Verein einen Ideenwettbewerb. Er wollte seinen Schwerpunkt neu ausrichten, weg von Infrastrukturvorhaben, die eigentlich in die Zuständigkeit der Gemeinde fallen. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft kristallisierten sich aus der Ideensammlung als nächstes Tätigkeitsfeld heraus. Wie kann aus der Stadt und der Region ein internationales Zentrum der Circular Economy werden? Von dem Kreis, der sich damals zusammenfand, um als Bürger in ihrer Stadt etwas zu bewegen, sind die meisten immer noch dabei, allen voran der Spiritus rector Carsten Gerhardt. In seiner Funktion als Unternehmensberater in weltweit tätigen Agenturen dürften seine Beziehungen wesentlich zum finanziellen Gelingen beigetragen haben. Und er nutzt seine Netzwerke weiter zugunsten des neuen Projektes, das weit über das gesellschaftliche Engagement in einer Stadt hinausgeht, beziehungsweise ein solches neu definiert: „Circular Valley Rhein-Ruhr“ bindet das Tal der Wupper in ein Wirkungsdreieck mit der Rheinschiene und dem Ruhrgebiet ein und umfasst solchermaßen aktuell rund 300 Unternehmen mit Weltmarktführerschaft, von denen eine ganze Anzahl sich als Förderer in dem Netzwerk engagieren.
Die Namensgebung entstand in Anlehnung an das für die Informations- und Kommunikationstechnologie global prägende Cluster im Silicon Val-ley. Unternehmen müssen angesichts schwindender Primärressourcen in Kreisläufen handeln, um überleben zu können, davon ist Andreas Mucke überzeugt, Geschäftsführer der als GmbH organisierten Stiftung Circular Valley und früherer Oberbürgermeister von Wuppertal. Insbesondere Familienunternehmen denken „enkelfähig“, also langfristig. Dafür müsse man sich auf alte Stärken besinnen, das bedeutet die Kapazitäten der siebzig Universitäten und Forschungseinrichtungen der Region nutzen, darunter das Wuppertal Institut und die Bergische Universität.
Ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit bezieht sich darauf, nach dem Silicon-Valley-Vorbild die Region zum Inkubationsraum für innovative Geschäftsmodelle und Start-Ups im Zeichen der Kreislaufwirtschaft zu formen. Ergebnis der um 2020 gestarteten Überlegungen ist im ersten Schritt der „Circular Economy Accelerator“ mit englischsprachigem Internetauftritt der Stiftung, denn man will damit Start-ups weltweit erreichen. 150 kamen im ersten Anlauf 2023 beim „Forum“ in Wuppertal zusammen zum Austausch mit Unternehmen und Politik über konkrete Produkte und Verfahren. Circular Valley berät und hilft, gemeinsame Projekte mit interessierten Unternehmen anzustoßen.
Ein Feld mit viel Potenzial ist die Umwandlung von Abfallstoffen in neue Werkstoffe: Bausteine aus Plastikmüll von Ecoplastile aus Uganda, elastische Bodenplatten aus Abfällen der Schuhindustrie der Gescol aus Kolumbien oder Bodenfliesen aus Bauschutt der Shards GmbH, die 2025 ihre erste Produktionsanlage in Deutschland anfahren will. Auch Polycare ist in Deutschland aktiv und realisiert in Düsseldorf das erste deutsche Bauprojekt unter Verwendung von SEMBLA. Dieser Baustein aus Geopolymeren braucht bei der Herstellung weniger Energie als Zement, kann ohne Mörtel stabil verfugt werden und ist bei Bedarf demontierbar.
Neuartige Baustoffe und Methoden sind geeignet, die „R-Strategien“ zu unterstützen, die in der Nachhaltigkeitsrangordnung ganz oben stehen wie „Repair“ und „Reuse“. „Recycling“ sollte erst die letzte Möglichkeit der Weiterverwertung sein. Darauf aber setzt bisher die deutsche Abfallwirtschaft mit dem Prinzip der Restmüllverbrennung. In Wuppertal entschied man sich 2002 in der Entsorgungskooperation EKOCity mit meh-reren Städten sowie dem Regionalverband Ruhr für die thermische Verwertung. Das Müllheizkraftwerk der AWG Wuppertal sichert seither einen Teil der Strom- und Fernwärmeversorgung in Wuppertal und ermöglicht künftig die Gewinnung von Wasserstoff. Mit Circular Valley verbin-det die AWG zugleich das übergeordnete Ziel der Abfallvermeidung in Wertstoffkreisläufen.
Circular Valley Rhein-Ruhr will mehr. Mit hoher intrinsischer Motivation will das Netzwerk den Weg ebnen weg von der linearen Wirtschaft hin zu zirkulären Prozessen, die das „5. Industriezeitalter“ prägen werden. Carsten Gerhard geht es wie bei der Nordbahntrasse um die konkrete Umsetzung, weshalb die Einbindung von Wirtschaft und Politik ebenso wichtig sei wie die öffentliche Sichtbarkeit. Das nächste Forum mit Start-ups fin-det dieses Jahr im Herbst wieder in Wuppertal statt. Gleichzeitig wird die internationale Kooperation vorangetrieben. Seit Ende 2023 besteht ein Abkommen mit „Circular Flandern“, und erste Kontakte wurden mit den Niederlanden geknüpft. Dort beträgt der Anteil der Kreislaufwirtschaft bereits circa dreißig Prozent, während in Deutschland bisher nur dreizehn Prozent der Wertstoffe in den Kreislauf zurückgeführt werden. Ein Beispiel: die Rückgewinnung von Phosphor aus Abwasser, einem Rohstoff, der in Deutschland nicht verfügbar ist. Dafür richtet die Emschergenossenschaft EGLV derzeit eine großtechnische Versuchsanlage ein. „Kreislaufwirtschaft ist auch vor dem Hintergrund der notwendigen Sicherung kritischer Infrastrukturen wichtig: Möglichst viele Rohstoffe wieder nutzen zu können, sichert die Unabhängigkeit von Dritten, führt zu mehr Standortsouveränität,“ gibt der Vorsitzende der EGLV, Uli Paetzel, zu bedenken.
Bevölkerung
293.218 (Stand 2022)
Zero-Waste-Status
Kein Mitglied
Recyclingrate
51,3 Prozent

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