Bauwelt

Zuhause in Skid Row

Not und Elend, dafür stehen die Blöcke von Skid Row in der Central City East von Los Angeles. Das Viertel wurde über Jahrzehnte durch „Containment“ immer tiefer in eine Spirale der Armut getrieben. Lange Zeit gab es hier noch erschwinglichen, wenn auch miserablen Wohnraum. Skid Row liefert schaurige Bilder von Obdachlosig-keit – doch es beheimatet schätzungsweise viereinhalbtausend Menschen. Sie setzen sich dafür ein – und finden dabei zunehmende Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen –, dass Skid Row ihr Quartier bleibt; denn die Entwicklung von Downtown frisst sich bereits in die Ränder.

Text: Wurzbacher, Oliver, Jena

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    Seit 2014 schmückt das Skid Row City Limit Mural eine Fassade auf der San Julian Street. Es weist darauf
    hin, dass die Grenzen Skid Rows in einem Gerichtsurteil von 2006 erneut bestätigt wurden.
    Foto: Los Angeles Poverty Department

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    Seit 2014 schmückt das Skid Row City Limit Mural eine Fassade auf der San Julian Street. Es weist darauf
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    Die Skid Row Now & 2040 Koalition mit ihren Forderungen and die Stadtplanung.
    Foto: Los Angeles Poverty Department

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    Santee Court an der 7th Street, Südgrenze von Skid Row. Unter den Obdachlosen in L.A. sind etliche Veteranen oder stammen aus anderen Gegenden der USA, auf einer der Decken das Emblem der Picatinny Fire Rescue aus New Jersey.
    Foto: Iwan Baan

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    Santee Court an der 7th Street, Südgrenze von Skid Row. Unter den Obdachlosen in L.A. sind etliche Veteranen oder stammen aus anderen Gegenden der USA, auf einer der Decken das Emblem der Picatinny Fire Rescue aus New Jersey.

    Foto: Iwan Baan

Zuhause in Skid Row

Not und Elend, dafür stehen die Blöcke von Skid Row in der Central City East von Los Angeles. Das Viertel wurde über Jahrzehnte durch „Containment“ immer tiefer in eine Spirale der Armut getrieben. Lange Zeit gab es hier noch erschwinglichen, wenn auch miserablen Wohnraum. Skid Row liefert schaurige Bilder von Obdachlosig-keit – doch es beheimatet schätzungsweise viereinhalbtausend Menschen. Sie setzen sich dafür ein – und finden dabei zunehmende Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen –, dass Skid Row ihr Quartier bleibt; denn die Entwicklung von Downtown frisst sich bereits in die Ränder.

Text: Wurzbacher, Oliver, Jena

Wenn man auf den einschlägigen social media-Plattformen nach der berüchtigten Nachbarschaft Skid Row in Downtown Los Angeles sucht, bekommt man schnell eine Flut von „Armutspornografie“ zu sehen. Bilder von psychotischen Menschen, die auf der Straße umherirren, werden mit Zombiefilmen verglichen. Ein vermeintlicher Netflix-Dokumentarfilm will gar eine Spukgeschichte in einem der dortigen Sozialwohnungshäuser, dem Cecil Hotel, verkaufen. Die okkulte Metaphorik verschleiert allzu schnell, dass Armut, Obdachlosigkeit und Suchterkrankungen die Folgen von ökonomischer Ungleichheit und Diskriminierung sind.
Auch meine Vorstellung von Skid Row war von diesen Bildern geprägt, als ich 2023 zum ersten Mal in Kontakt mit dem „Skid Row History Muse-um and Archive“ kam. Im Stadtteil fand ich jedoch keine Untoten, sondern ganz im Gegenteil eine lebendige Nachbarschaft, deren Aktivismus und Zusammenhalt ich mir in meinem ruhigen Wohngebiet nur wünschen konnte. Dennoch: Skid Row ist voll von Not und Elend – und es könnte mit den aktuellen Stadtentwicklungsplanungen für die nächsten Jahrzehnte verschwinden. Warum das kein Grund für Optimismus in der Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit ist, sondern Bewohner und Aktivisten Alarm schlagen, will dieser Artikel beleuchten. Besonders möchte ich dafür die Konzepte des „containment“ (Begrenzung, Eingrenzung) und der Zonierung der Innenstadt erläutern.
Skid Rows fünfzig Blocks liegen zwischen Main Street und Alameda Street, 3rd und 7th Street. Es grenzt an die Hochglanz-Skyline des Zentrums im Westen und den gentrifizierten Arts District im Osten. Klare Grenzen, ohne die der Stadtteil wahrscheinlich in dieser Form nicht mehr existieren würde. Skid Rows Geschichte ist daher eine besondere unter den Armenvierteln der USA. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwanden US-weit vie-le solcher Stadtteile wieder, die meist im ausgehenden 19. Jahrhundert durch die Ansiedlung billiger Hotels und Wohnungen für Tagelöhner und Arbeiter entstanden waren. Auch in Los Angeles kam ein solcher Prozess Mitte der 1960er Jahre in Gang, da der Bürgermeister der Stadt gemeinsam mit Immobilieninvestoren und lokalen Unternehmern eine massive Stadtsanierung voran bringen wollte, in der Skid Row keinen Platz mehr hatte. 1972 wurde deren Vision als „Central City Los Angeles – 1972/1990“ veröffentlicht. Aufgrund seines Einbands wurde das Buch als „Silver Book“ bekannt.
Aktivisten gemeinnütziger Organisationen in Skid Row waren bald alarmiert, denn der Sanierungsplan behandelte nicht, was mit den Obdachlo-sen und Haushalten mit niedrigem Einkommen vor Ort geschehen sollte. Fürsie war Skid Row der einzige Ort, der günstigen Wohnraum, Suppenküchen oder ähnliche Dienstleistungen bot. Um den Stadtteil zu erhalten, gingen die Aktivisten eine ungewöhnliche Koalition ein. Sie argumentierten, wenn man Skid Row zerstöre, die Menschen aus ihrem sozialen Umfeld reiße und auch alternativ keinen günstigen Wohnraum anbiete, würden tausende Menschen ihrer Lebensgrundlage am Existenzminimum beraubt. Daswürde dazu führen, dass sich diese Menschen wohnungslos auf das gesamte Stadtgebiet verteilen. Auch Grundstücksbesitzer aus wohlhabenderen Stadtteilen an der Grenze zu Skid Row entwickelten die Sorge, dass Menschen in Armut plötzlich in ihren Nachbarschaften auftauchen könnten. Beide Gruppen hatten also das Anliegen, arme Menschen nicht aus Skid Row zu verdrängen, sondern eine Lösung für deren Verbleib zu finden.
Sie veröffentlichen 1976 einen Gegenentwurf zum Silver Book unter dem Titel „Report of the Citizens Advisory Committee on the Los Angeles City Central Business District Redevelopment Plan“. Der Bericht wurde aufgrund seines blauen Einbandes als „Blue Book“ bekannt. Vor allem eine Idee aus dem Bericht sollte die Zukunft von Skid Row maßgeblich bestimmten. Die Aktivisten schlugen einen „containment plan“ für Skid Row vor, um die Armut mit dem gesamten Stadtteil gewissermaßen einzugrenzen und damit aber bezahlbares Wohnen (affordable housing) für seine Bewohner innerhalb der Grenzen zu erhalten. Zum Vorschlag gehörte, dass alle entsprechenden Sozialhilfeeinrichtungen wie Missionen und Suppenküchen innerhalb der Stadtteilgrenzen agieren, womit Obdachlose und Arme den Anreiz zum Verbleib in Skid Row hätten. An den Stadtteilrändern sollte eine Pufferzone installiert werden, durch die unter anderem mittels Defensiver Architektur und erhöhter Polizeikontrollen das Verlassen von Skid Row unattraktiv würde. Die negative Konnotation von „containment“ in Bezug auf eine ganze Bevölkerungsgruppe nahmen die Aktivisten in Kauf, um aber pragmatisch ein viel wichtigeres Ziel zu erreichen, nämlich den Erhalt von günstigem Wohnraum und einem Stadtteil, in dem jeder Zuflucht findet, der andernorts nicht geduldet wird. Der Vorschlag fand schließlich Zustimmung, und Skid Rows Grenzen waren gesetzt.
Skid Rows bezahlbarer Wohnraum hatte seither an mangelnden Investi-tionen und unzuverlässigen Eigentümern zu leiden. Dennoch wurde der generelle Status Quo der Abgrenzung nicht in Frage gestellt, bis die Stadt im Jahr 2015 neue Pläne zur weiteren Stadtentwicklung veröffentlichte. Zunächst sollte mit dem Projekt „re:code L.A.“ der veraltete städtische Zonierungscode von 1946 überarbeitet werden, sollten also neue Zonentypen für die Regulierung von Landnutzung eingeführt werden. Darauf aufbauend soll unter dem Titel „DTLA2040“ ein neues Stadtplanungskonzept (Community Plan) erarbeitet werden, dass auch Skid Row betrifft. 70.000 neue Wohnungen für 125.000 Einwohner sollen in Downtown bis 2040 entstehen. Obwohl dies nach einer ersehnten Entspannung des Wohnungsmarktes klingt, stellt sich die Frage, für wen diese Wohnungen erschwinglich sein werden. Ein erster Entwurf von DTLA2040 rief in Skid Row erneut große Sorge vor Verdrängung und Gentrifizierung hervor. Die Planungen sahen offenbar vor, die Hauptkorridore Skid Rows von Ost nach West mit Wohnraum nach Marktkonditionen (market-rate housing) zu bebauen, was ein Ende des „containment plans“ bedeuten würde. Unklar blieb, ob überhaupt bezahlbarer Wohnraum im Konzept eingeplant wurde.
Es gründete sich die Koalition „Skid Row Now and 2040“ aus verschiedenen gemeinnützigen Organisationen, Einwohnerinnen und Repräsentanten Skid Rows, die Menschen vor Verdrängung schützen und deren Recht auf Wohnen durchsetzen möchte. Mit Bezug auf den „containment plan“ schlugen sie eine inkludierende Zonierung für Skid Row vor, mittels der reguliert wird, dass bei der Bebauung immer auch bezahlbarer Wohnraum entstehen muss. Das Department of City Planning reagierte 2021 mit einem Update des Sanierungsplans, in dem eine IX1-Zone vorgeschlagen wird, die 100 Prozent bezahlbaren Wohnraum schaffen – in Skid Row aber lediglich auf einem Drittel der Fläche angewendet werden soll. Die Koali-tion reagierte 2022 mit der Veröffentlichung des „Green Papers“ unter dem Titel „Containment and Community: The History of Skid Row and its Role in the Downtown Community Plan“. Der Text begrüßt die IX1-Zone, fordert aber eine Ausweitung auf den gesamten Stadtteil. Und er geht von einer spezifischen Fehlwahrnehmung aus, die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit in Bezug auf Skid Row oft reproduzierten.
Einige Beobachter und Akteure, die Skid Rows Sanierung vorantreiben wollen, sehen die IX1-Zone als einen Fehler, wie es auch der „Containment Plan“ gewesen sei. Er habe die Armut konzentriert, sei unmenschlich und Schuld an der Wohnungslosigkeit. Im Gegenzug könne der Einzug von Bewohnern mit höherem Einkommen Skid Row beflügeln. Laut dem Green Paper bleibe aber unklar, wie gerade der private Wohnungsbau nach Marktpreisen die Wohnungslosigkeit beenden soll. Keines der Einkommen von Obdachlosen oder sehr armen Haushalte würde steigen. Ähnlich wie in den 70ern würde der Einzug von Marktmietpreisen in Skid Row für tausende Menschen mehr Obdachlosigkeit im Stadtgebiet von Los Angeles bedeuten. Sie würden ihrem sozialen Gefüge in Skid Row entrissen und fänden sich damit in einer noch prekäreren Lage. Schuld an der Wohnungslosigkeit ist schließlich nicht der „Containment Plan“, sondern die mangelnde Verfügbarkeit von Wohnungen sowie das Missverhältnis von Einkommen und Miete. Die Idee der Abgrenzung Skid Rows hat laut dem Green Paper hierin ihre relevanten historischen Gründe: Trotz aller Härten konnte sich in Skid Row gemeinschaftliches Engagement und nachbarschaftliche Unterstützung entwickeln. Die Geschichte Skid Rows muss daher zuerst als die einer Nachbarschaft gesehen werden und nicht als die eines Elendsviertels. Solange es keine garantierte Alternative für bezahlbaren Wohnraum in Los Angeles gibt, könnte man hier auch fragen: Ist die hiesige Konzentration der armer Bevölkerungsteile eine so schlechte Idee, wenn sich ein maßgeblicher Teil eben dieser Nachbarschaft für deren Erhalt ausspricht?
Selbstverständlich möchte niemand, dass weiterhin Zelte in Skid Row und darüber hinaus stehen müssen. Der Weg dahin ist jedoch umstritten. Der Stadtteil wird aus der Außenperspektive oft nicht als eine Nachbar- und als Gemeinschaft erkannt, sondern entmenschlicht und lediglich als Pro-blem behandelt. Dieser Wahrnehmung im DTLA2040 Plan stellt sich die Skid Row Now & 2040 Koalition entgegen und betont das Zusammenspiel der Abgrenzung von Skid Row und dem sozialen Gefüge, dass dadurch entstehen konnte. In welcher Form DTLA2040 schließlich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Im November 2024 wurde Ysabel Jurado für den zuständigen Stadtbezirk 14 als neue Stadtratsabgeordnete gewählt. Jurado hat sich im Vorfeld stark für Zonierungsstrategien ausgesprochen, die nicht auf Kosten von marginalisierten Gruppen gehen, sowie sie auch Sozialwohnungen unterstützt, die nicht in der Hand privater Unternehmen liegen. DTLA2040 könnte jedoch Anfang 2025 in Kraft treten, wenn ihn der Stadtrat in Bälde beschließt und die zuständigen Kommittees ihre Zustimmung geben.

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