Bauwelt

Zusammentun

Das Bedürfnis wächst, die bestehende Art der Architekturproduktion kritisch zu hinterfragen und sich in Gewerkschaften zu organisieren. Dabei geht es um das Einbeziehen aller, die an der Produktion von Architektur beteiligt sind, vom Modellbauer über die Reinigungskraft bis zum Verwaltungspersonal.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Architekt und Fotograf Leonhard Clemens portraitiert in seiner Fotoserie ...
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    Architekt und Fotograf Leonhard Clemens portraitiert in seiner Fotoserie ...

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    ... „The Workers’s Project“ seit 2021 Bauarbeiter einer Berliner Baustelle.
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    ... „The Workers’s Project“ seit 2021 Bauarbeiter einer Berliner Baustelle.

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die Bauarbeiter bleiben anonym – ...
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    Die Bauarbeiter bleiben anonym – ...

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    ... eine Vorkehrung des Fotografen angesichts ihrer prekären ...
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    ... eine Vorkehrung des Fotografen angesichts ihrer prekären ...

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    ... Arbeitsbedingungen ...
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    ... Arbeitsbedingungen ...

    Foto: Leonhard Clemens

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    ... und ihres Aufenthaltsstatusʼ.
    Foto: Leonhard Clemens

    • Social Media Items Social Media Items
    ... und ihres Aufenthaltsstatusʼ.

    Foto: Leonhard Clemens

Zusammentun

Das Bedürfnis wächst, die bestehende Art der Architekturproduktion kritisch zu hinterfragen und sich in Gewerkschaften zu organisieren. Dabei geht es um das Einbeziehen aller, die an der Produktion von Architektur beteiligt sind, vom Modellbauer über die Reinigungskraft bis zum Verwaltungspersonal.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

Auf Instagram findet man derzeit ein Video von Norman Foster, in dem er der jungen Genera­tion erklärt, dass Leidenschaft und Hingabe das Wichtigste in der Architektur seien. Wenn man bereit ist, alles dafür zu geben, hätte man die richtige Wahl getroffen. Obwohl der Beruf der Architektin zuweilen ein technischer und bürokratischer ist, legt die Berufung, die Foster hier meint, nahe, dass die Profession in einem ideo-logischen, sozialen oder sogar spirituellen Sinne ausgeübt wird. Der Arbeitsalltag bringt ein Maß an kreativer Befriedigung, das den finanziellen Kompromiss lohnend macht. Schließlich ist es keine Arbeit, wenn man das tut, was man liebt. Diese Arbeitsweise beginnt bereits im Architekturstudium, wenn Studierende in endlosen Nächten an ihren Projekten arbeiten. Nichts rechtfertigt Selbstausbeutung besser als die Berufung zur Architektur. Wenn man nicht dazu bestimmt ist, wie sonst kann man die menta-
len und physischen Belastungen rationalisieren?
Der Beruf hat sich aber in den letzten Jahrzehnten verändert und Architekten sehen sich mit einer Vielzahl von administrativen Aufgaben und der Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen konfrontiert. Die fortschreitende Technolo-gie hat den Beruf weiter beeinflusst, weg von der traditionellen Gestaltung. Die zunehmende Komplexität von Bauprojekten, kombiniert mit dem Druck, Deadlines und Budgets einzuhalten, führt nicht nur zu Stress, sondern auch zu einem wachsenden Unmut unter Architektinnen. In der Branche gibt es ein immer größeres Bewusstsein über das teilweise rücksichtslose Arbeitsumfeld. Ein Großteil kämpft mit langen Arbeitszeiten und geringer Bezahlung. Angesichts einer Baukonjunkturkrise, Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheiten gibt es Bestrebungen, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Durch die Gewerkschaftsbildung erhalten Mitglieder bestimmte gesetzliche Rechte, die einem als Einzelperson nicht zustehen, und es entsteht ein Machtgleichgewicht zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern. Gewerkschaftsmitglieder haben das Recht, mit ihrem Arbeitgeber einen Tarifvertrag über Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen auszuhandeln.
Gewerkschaften weltweit
Eine Gruppe von Freunden und Kolleginnen startete vor fünf Jahren in Großbritannien eine Reihe von Workshops und Sitzungen, um sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen in Architekturbüros im Vereinigten Königreich zu machen. Ihre Arbeit mündete in einer 18-monatigen Arbeitnehmerbefragung. Zu den Antworten gehörte: Sechs Wochenenden hintereinander arbeiten – jeweils acht Stunden am Samstag und am Sonntag – und danach nur einen Tag Ausgleich erhalten. Vor allem in Wettbewerbszeiten gehört diese Art von Überstunden zur Norm und wird von Büroinhabern für das Funktionieren des Unternehmens vorausgesetzt. Es kam bei den Befragungen auch ans Licht, dass Menschen dazu ermutigt wurden, die EU-Arbeitszeitrichtlinie in ihren Arbeitsverträgen abzulehnen. Die Richtlinie, die erstmals 1998 eingeführt und 2003 verlängert wurde, sieht das Recht vor, nicht mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten, vier Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr zu gewähren und die Nachtarbeit zu beschränken. Es ist jedoch möglich, die Richtlinie durch Unterzeichnung einer Erklärung abzulehnen, die, wie die Gruppe feststellte, häufig als zusätzliche Seite in die Arbeitsverträge vieler Architekturbüros aufgenommen wurde. Etlichen wurde gesagt, dass sie die Stelle nicht bekommen würden, wenn sie die Klausel nicht unterschreiben. Dieses Vorgehen verdeutlicht den Druck, der auf potenziellen Arbeitnehmerinnen ausgeübt wird und unterstreicht die Bedeutung einer fairen und transparenten Arbeitspraxis.
Dieselbe Gruppe gründete 2020 die erste Architekturgewerkschaft in Großbritannien. Sie firmiert unter „UVW-SAW“, Section of Architectural Workers als Sektion der „United Voices of the World (UVW). Die UVW ist eine Art von Basisgewerkschaft, die Arbeitnehmerinnen unterstützen, die bisher als „nicht gewerkschaftlich organisierbar“ galten: darunter Reinigungskräfte, Sicherheitspersonal und Sexarbeiter. Die Mitgliedschaft kostet je nach Einkommen zwischen sechs und zehn Pfund pro Monat. Dabei gilt: „Wir versuchen nicht, die Bosse über den Tisch zu ziehen“, so ein Vertreter der SAW. „Es geht darum, einen nachhaltigeren Beruf zu schaffen, der vielleicht noch fünfzig Jahre überdauern kann. Wenn die Arbeitskräfte gewerkschaftlich organisiert wären, würde dies den Wert der architek-tonischen Arbeit insgesamt erhöhen.“
Die FNV (Federatie Nederlandse Vakbeweging) ist die größte Gewerkschaft in den Niederlanden und ihre Sektion Bouwen betreut Architektinnen sowie Bauarbeiter und andere in der niederländischen Bauindustrie tätige Personen. Die Direktorin der Bouwen-Sektion Zamaney Menso versuchte 2023 gemeinsam mit Architekturjournalist Charlie Clemoes mit der Gruppe „NAA!“ die über 10.000 Architekten der Niederlande gewerkschaftlich zu organisieren. Nicht das Gehalt und weniger Arbeitsstunden stehen für Menso dabei im Vordergrund, sondern die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen in einer Branche mit „harter Arbeitskultur“. Sie verhandelte dennoch einen Tarifvertrag mit einer Gehaltssteigerung von vier Prozent.
Auch in Deutschland gibt es mit der „Archi-tekt*innengewerkschaft“ eine Initiative im Aufbau. Die aktive Kerngruppe besteht aus zwanzig bis dreißig Architekturschaffenden, die an der Gründung einer Gewerkschaft für Mitarbeiter in der Architekturbranche arbeiten. Bis jetzt stoßen sie auf positive Resonanz. Eine erste öffentliche Veranstaltung ist noch für dieses Jahr geplant.
Die Arbeit der Nicht-Architekten
Trotzdem steht den Organisationen die erwähnte Berufung zur Architektur im Weg. Die Vorteile einer kollektiven Organisation zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen werden nicht erkannt. Architektinnen gelten als privilegierte Kreative. Sie haben ein gewisses soziales Ansehen aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung von ihnen als Gestalterinnen. Der praktische Charakter des Berufs und die täglichen Aufgaben werden heruntergespielt. Viele Architekten haben sich lange Zeit geweigert, sich als Arbeitnehmer zu identifizieren.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Chris Beck, Architekt, Autor und Lehrer an der New School in New York, den Text „Architects Are Starting to See Themselves as Workers – and Organizing Unions“. Beck argumentiert, dass Architekten ihre Klassenposition neu überdenken müssen und sich mit den Bauarbeiterinnen solidarisieren sollten, die schließlich ihre Entwürfe realisieren. Dies könnte der Beginn einer neuen Form der Solidarität und des kollektiven Handelns sein, um die Herausforderungen in der gesamten Branche anzugehen und eine gerechtere und nachhaltigere Architekturpraxis zu schaffen. Es braucht ein Miteinander statt eines Gegeneinanders.
Auch Marisa Cortright, Architektin in Zagreb und Autorin des Buchs „ʼCan This Be? Surely This Cannot Be?‘ Architectural Workers Organizing in Europe“, argumentiert, dass Architekturschaffende gut daran täten, sich selbst als Arbeiterinnen zu erkennen. Sie benutzt in ihren Texten den Begriff des „Architekturarbeiters“. „Architectural Worker“ ist eine Bezeichnung, die in englischsprachigen Ländern verwendet wird, um den Unterschied zwischen Architektinnen in der Rolle der Arbeitgeberinnen und Architekten als Angestellte zu verdeutlichen. Cortright nimmt den Gedanken einer Solidarisierung der gesamten Baubranche auf und stellt heraus, dass selbst das Architekturbüro aus viel mehr Berufen besteht als nur aus Architekten. Mittelgroße bis große Büros beschäftigen Fachleute für Verwaltung, IT, Finanzen, Recht und Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit dieser Nicht-Architektinnen ist für das Geschäft der Architektur von entscheidender Bedeutung. Cortright weist darauf hin, dass Architekturbüros oft ein Bild von ihren Unternehmen als Studio, Atelier oder Kollektiv zeichnen. Architekturbüros werden selten öffentlich als Unternehmen oder Firmen bezeichnet, und noch seltener wird das Team als „Angestellte“ oder „Arbeiter“ benannt. Die gleichzeitige Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Architektinnen und Nicht-Architekten hindert die Mitarbeiter daran, sich als Ganzes zu sehen und sich in Solidarität für eine angemessene Anerkennung ihrer Arbeit zusammenzuschließen.
Den Organisatorinnen stehen weiterhin einige Herausforderungen bevor: Dazu gehören die langen Arbeitszeiten vieler Architekten, die es erschweren, Zeit für gewerkschaftliche Aktivitäten zu finden, sowie gewerkschaftsablehnende Tendenzen, die versuchen, alternative Ansätze wie „Mitarbeiterunternehmen“ zu fördern, um die traditionelle gewerkschaftliche Organisation zu umgehen. Im Vereinigten Königreich und in den USA gibt es einen Aufschwung dieser sogenannten Mitarbeiterunternehmen, die versuchen, den Angestellten ein gewisses Buy-in, Anteile oder finanzielle Beteiligungen an den Firmen zu gewähren, ohne dass sich das Machtgleichgewicht wesentlich verändert und die Mitarbeiterinnen irgendeine Kontrolle über das Unternehmen hätten. Das Management weist dann darauf hin, dass es ein demokratisches Unternehmen ist und somit keine gewerkschaftliche Organisierung oder Tarife notwendig seien. Trotz solcher Unwägbarkeiten: Die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung in der Architektur gewinnt an Fahrt.

0 Kommentare


loading
x
loading

24.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.