Bauwelt

Von der Nationalen Tradition zur Nachkriegsmoderne

Eine Ausstellung im thüringischen Nordhausen widmet sich dem Wiederaufbau der schwer zerstörten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Ecke Lutherplatz/Engelsburg, im Vorder­grund das Nordhausener Rathaus
    Abb.: Archiv des BOA

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    Ecke Lutherplatz/Engelsburg, im Vorder­grund das Nordhausener Rathaus

    Abb.: Archiv des BOA

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    Blick in die Rautenstraße
    Abb.: W. Schmidt

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    Blick in die Rautenstraße

    Abb.: W. Schmidt

Von der Nationalen Tradition zur Nachkriegsmoderne

Eine Ausstellung im thüringischen Nordhausen widmet sich dem Wiederaufbau der schwer zerstörten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Unweit von Nordhausen wurden in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs in unterirdischen Stollenanlagen V2-Raketen produziert. Nach schweren Luftangriffen im April 1945 war die thüringische Stadt nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Lediglich rund um den Dom blieb ein wenig Substanz des mittelalterlichen Stadtkerns erhalten. Nach dem Krieg wurde, wie vielerorts, debattiert, ob das überlieferte Stadtbild wiederherzustellen oder eine neue Stadt zu errichten sei. Die engen, sich malerisch an den Hang schmiegenden Straßen Nordhausens hatten bis zu ihrer Zerstörung in Heimatschutz-Kreisen als Musterbeispiel eines „künstlerischen Städtebaus“ im Sinne Camillo Sittes gegolten.
In Thüringen waren bereits kurz nach Kriegsende erste Gesetze zur Enteignung privater Grundbesitzer erlassen worden. Nordhausen wurde unverzüglich als „Aufbaustadt“ eingestuft und eine lokale Kommission zur Koordination des Wiederaufbaus gegründet. Der kam wegen verschiedener konkurrierender Planungen allerdings erst zu Beginn der 50er Jahre richtig in Gang. Einer der zentralen Akteure war Friedrich Wilhelm August Stabe (1912–2000). Stabe hatte in Königsberg studiert und in mehreren größeren Büros als Architekt gearbeitet, u.a. bei Werner March in Berlin. Nach der Kriegsgefangenschaft kam er nach Thüringen. Ab 1948 war Stabe durchgängig in Nordhausen tätig, zunächst als Stadtplaner im Hochbauamt, ab 1951 im volkseigenen Hochbauprojektierungsbetrieb: als Entwurfsarchitekt, als Chefarchitekt und später als Gruppenleiter eines zwischen 40 und 50 Mitarbeiter großen Entwurfsbüros für Hochbau.
Eine von der Architektenkammer Thüringen, der Stadt Nordhausen und der Familie Stabe organisierte Ausstellung im Nordhäuser Bürgerhaus beleuchtet die Rolle des von Friedrich Stabe geleiteten Entwurfsbüros beim Wiederaufbau der Stadt. Sie präsentiert neben Zeichnungen, Fotos und Modellen auch Zeitzeugenberichte und vermittelt auf diese Weise interessante Hintergrund-Informationen. Meist wird Stabes Name mit Einzelprojekten in Verbindung gebracht. Zusammen mit Ladislaus Goutier baute er das Renaissance-Rathaus wieder auf und ergänzte es mit einem Übergang zum Stadthaus. Aufsehen erregte damals das Filmtheater „Neue Zeit“ (1953–55), ein hinter einem Wohn- und Geschäftshaus gelegener Saalbau mit 800 Plätzen und aufwendigen Interieurs inklusive Bühne und Orchestergraben – die nach der Wende völlig umgestaltet wurden. Später realisierte Stabe gemeinsam mit dem Architekten Walter Schmidt mit der „Stadtterras­-se“ (1960–62) eine beliebte Gaststätte mit Tanzcafé. Die Ausstellung fokussiert jedoch die wich­tige Rolle von Stabes Entwurfsabteilung bei der Neugestaltung der zerstörten Stadt durch die Errichtung von mehreren großen Ensembles an prominenten Orten in Nordhausen.
Im Zuge der neuen sozialistischen, aus der Sowjetunion stammenden Leitlinien schrieb der Rat der Stadt 1953 einen städtebaulichen Architektenwettbewerb für den gesamten, durch die Stadtmauer begrenzten Stadtkern aus. Statt des ehemals dichten, verwinkelten Gefüges sollten dort großzügige Magistralen und Plätze mit repräsentativen Blockstrukturen entstehen. Stabes Entwurfskollektiv setzte dies bei den ersten Bauten um Engelsburg und Lutherplatz (1953–56) noch mit gestalterischen Rückgriffen auf traditionelle Vorbilder um: Hauseingänge wurden mit Naturstein eingefasst, Brüstungen, Konsolen und Fensterlaibungen plastisch de­koriert. Wenig später, 1957/58, entstand an der Westseite der Rautenstraße, die zur Hauptverkehrsachse aufgeweitet wurde, bereits ein moderat modernes Ensemble mit Läden in der Erdgeschosszone; in die Häusergruppe, die dem abfallenden Straßenverlauf folgend gestaffelt ist, wurden im Bereich der „Stadtterrasse“ Teile der historischen Stadtmauer integriert. Mit den verschiedenen industriellen Bauweisen, die die folgenden Jahre prägten, verließen die Planer die überlieferte Stadtstruktur immer weiter.
Die unter Stabes Leitung entstanden Bauten prägen das Stadtbild von Nordhausen bis heute. Darüber hinaus veranschaulichen sie beispielhaft den damals von der ostdeutschen Bauakademie republikweit vorgegebenen Wandel der Leitbilder von den „Nationalen Traditionen“ der frühen 50er Jahre zur sich stetig versachlichenden Nachkriegsmoderne. Die größtenteils als Werksschau konzipierte Ausstellung soll daher anschließend an weiteren Orten in Thüringen gezeigt werden.
Fakten
Architekten Stabe, Friedrich W. A. (1912–2000)
aus Bauwelt 16.2017
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