Patchwork-Lösungen
In der Berliner Ausstellung „urbainable – stadthaltig“ wird die Stadt zum Ort der Antworten. Kommen eine Vielzahl einzelner Initiativen und Projekte – gebündelt – mit den Herausforderungen unserer Zeit zurande?
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Patchwork-Lösungen
In der Berliner Ausstellung „urbainable – stadthaltig“ wird die Stadt zum Ort der Antworten. Kommen eine Vielzahl einzelner Initiativen und Projekte – gebündelt – mit den Herausforderungen unserer Zeit zurande?
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Brennt das Haus? Ja, es brennt, hat Greta Thunberg, die Jeanne d’Arc der Klimapolitik, 2018 der Weltöffentlichkeit an den Kopf geworfen. Und anders, als fast ein halbes Jahrhundert zuvor beim Bericht des „Club of Rome“, hat die Weltöffentlichkeit oder zumindest deren westlich-industrialisierter Teil die Mahnung mit ehrlicher Bestürzung aufgenommen. Die Ressourcen werden knapp, der Planet steht vor dem Kollaps: Das ist kein Schreckensruf überspannter Außenseiter mehr, sondern eine Erkenntnis aus der Mitte der Gesellschaft. Nur – was folgt daraus?
Wenn die Stadt derjenige Ort ist, an dem sich die Menschheit über die bloße Nahrungsproduktion und -verwertung hinausgehoben hat, dann muss die Stadt auch der Ort der Antwor-ten sein. Dann muss die Stadt selbst zum Gegenstand der Veränderung werden. Architekten und Stadtplaner sind gefordert, Veränderungen in Gang zu setzen – hier und jetzt. Die Sektion Baukunst der Berliner Akademie der Künste hat ihre Mitglieder aufgerufen, zu dokumentieren, „mit welchen Vorschlägen sie in den letzten Jahren oder auch ganz aktuell auf den Zustand der europäischen Stadt reagiert haben oder reagieren und wie sie aus ihrer Tätigkeit eine Vorstellung für die Zukunft ableiten“. So schreibt es Abteilungsdirektor Matthias Sauerbruch im Katalog der von ihm eingerichteten Ausstellung mit dem etwas gewollten Titel „urbainable – stadthaltig“, der die enge und unabdingbare Nachbarschaft von „Stadt“ und „Nachhaltigkeit“ zum Ausdruck bringen soll. „Es gibt keine Siedlungsform“, stimmt Ko-Organisator Tim Rieniets ein, Professor für Stadt- und Raumentwicklung an der Uni Hannover, „die besser geeignet ist, diese Probleme zu lösen, als die städtische.“
In den übrigen Katalogbeiträgen wird mit dem großen Theoriebesteck hantiert, wird. den gegenwärtigen Trends der Wissenschaft folgend, die Entwicklung der Stadt mal auf den Klimawandel, mal auf die Bedrohung durch Seuchen geschoben. Sauerbruch hingegen sieht in der Ausstellung der Einreichungen von 33 Akademiemitgliedern und ihren Mitarbeitern „ein Interesse an einer Politik der kleinen Schritte“ dokumentiert – „auf die Gefahr einer gewissen Unübersichtlichkeit hin, aber in der Gewissheit, dass auch in der Vergangenheit die Stadt letztlich aus einem unübersehbaren Flickenteppich einzelner Initiativen und Projekte entstanden ist“.
Das ist von sympathischer Bescheidenheit, und so lässt sich denn aus der Ausstellung in den drei Hallen des schönen Düttmann-Baus der Akademie kein generelles Fazit gewinnen. Zusammengehalten wird die Übersicht durch die Gestaltung von Tim Rieniets, der mit Schalungsplatten abwechslungsreiche Stände gebaut hat, mal als Koje, mal als Plattform, mit Modellen und Fotos und einmal sogar mit Vitrinen für Kunstwerke. Dasergibt in der Summe den heiteren Grundton einer gemeinschaftlichen, aber je individuellen Anstrengung, mit den Problemen wenn schon nicht fertig zu werden, so doch ausschnitthaft zurande zu kommen.
Da ist zum einen die Herangehensweise von Bauprojekt zu Bauprojekt, für die das Schweizer Duo Annette Gigon und Mike Guyer steht. Schon bei ihrem aufsehenerregenden Frühwerk von 1992, dem Kirchner Museum Davos, wählten sie einen Dachbelag aus Abfallglas. Mit Glas haben sie seither Nachhaltigkeit demonstriert, überhaupt gern mit „Abfall“ gearbeitet. Sauerbruch Hutton beschäftigen sich zunehmend mit Holz als Baumaterial; es berge, heißt es erläuternd, „das Potenzial der Verringerung der CO2-Emissionen im Hochbausektor von bis zu einem Maximum von achtzig Prozent.“ Doch auch das kann nur ein Zwischenschritt sein zu der energetisch noch besseren Bilanz, „wenn die Stadt selbst zur erneuerbaren Rohstoffquelle wird“.
Diesen Ansatz zeigen Projekte von Grüntuch Ernst (Berlin), die ein seit Jahrzehnten leer stehendes, ehemaliges Frauengefängnis in Berlin zu einem Hotel umbauen – von Zelle zu Zelle, gewissermaßen -, oder Lacaton & Vassal (Paris), die aus drei Wohnmaschinen im Quartier du Grand Parc von Bordeaux lebenswerte Wohnungen gemacht haben, insbesondere durch einen „Vorhang“ aus Wintergärten.
Peter Haimerl (München) hat gleich die „längst überfällige Transformation der europäischen Städte“ im Blick, der er mit seinem Projekt „Zoomtown“ als „offener Entwicklungsplattform“ näherkommen will. Von der „europäischen Stadt“ sprechen auch Michael Bräuer (Rostock) und Hathumar Drost, doch meinen sie die denkmalgerechte Restaurierung und Umnutzung historischer Substanz, vorgeführt an Regensburg und Güstrow.
Der ehemalige Oberbaudirektor der Hansestadt Hamburg Jörn Walter stellt das Leuchtturmprojekt der Hafencity vor, verbunden mit einem eindringlichen Plädoyer für Stadt, „Vielfalt braucht Dichte“. Eine ganze Reihe von Projekten befasst sich mit großmaßstäblichen Umnutzungen; Häfen und Hafenbecken haben sich in den zurückliegenden Jahren als besonders attraktiv erwiesen.
Auch Helmut C. Schulitz (Braunschweig) redet der „Nachverdichtung der europäischen Stadt“ das Wort; zentrumsnahe, aber eben nicht im Zentrum selbst angesiedelte Angebote für Verwaltung und Kommerz sollen – Beispiel Gent – „die Innenstadt vor Investoren schützen“.
Kees Christiaanse (Rotterdam) hat überall in der Welt schon geplant, weshalb er denn auch gemeinsam mit Naomi Hanakata (Singapur) „urbane Großprojekte in Asien und Europa“ vorstellt – ohne jede Wertung. Die aber schwingt bei Jörn Walter mit, der in seinem Textbeitrag den Unterschied kenntlich macht: „Wir leben in Europa und nicht in Asien oder Amerika. Charakteristikum der europäischen Stadt ist, dass sie hohe Dichte vor allem in ,Mid-rise‘-Typologien realisiert hat, während sich auf anderen Kontinenten [...] fast nur ,High-rise‘-Konzepte durchgesetzt haben.“ Nein, die europäische Stad bleibt überschaubar. Umgekehrt formuliert: Für die Probleme der ausufernden Megacitys dieser Welt bietet die Akademie-Ausstellung keine Ansatzpunkte.
Es sei denn, man denkt noch größer: Jörg Schlaich (Berlin/Stuttgart) verweist auf Solartechnik zur Energieumwandlung, überschüttet doch die Sonne unseren kleinen Planeten mit dem „Zehntausendfachen des heutigen Primärenergieverbrauchs der Welt“. Bei den angeführten Zahlen kann einem nur schwindlig werden. Da ist von „Stadt“ schon nicht mehr die Rede, da geht es nur noch um die Energie, die alles Leben benötigt, ob in der Stadt oder auf dem Lande.
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