Eigenheime in Reih und Glied
Das CCCB Barcelona seziert den Traum von „Suburbia“
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Eigenheime in Reih und Glied
Das CCCB Barcelona seziert den Traum von „Suburbia“
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Im Juni 1947 – da ist der Krieg für die USA noch nicht einmal zwei Jahre vorbei – widmet sich die Zeitschrift „Life“ der Arbeit der Frau im Haushalt. „Ein reizender Ehemann und drei wunderbare Kinder halten sie 100 Stunden pro Woche auf Trab“, lautet die Überschrift zu einem Text. Darauf sind in einer geradezu albtraumhaften Anhäufung all die Berge von Geschirr, die Kartons voller Milch und die zu beziehenden Betten zu sehen, die besagte Durchschnittshausfrau binnen einer Woche zu bewältigen hat – sie selbst steht, im praktischen Kittel und mit dem Besen in der Hand, in der Mitte des Bildes, aber doch weit hinter den Lebens- und sonstigen Mitteln, die vor ihr aufgereiht daliegen.
Eines greift ins andere: Nachkriegszeit, günstige Hypotheken, gute Bauwirtschaft und nicht zuletzt eine Hausgeräteindustrie, die sich zwar schon seit Jahrzehnten entwickelt hatte, nun aber unter idealen Bedingungen all das bereitstellen konnte, was in Anzeigen, Zeitschriften und dem aufkommenden Fernsehen als Nonplusultra einer Mittelstandsexistenz angepriesen wurde. Denn dieser rasch sich ausbreitende und die frühere Arbeiterklasse weitgehend absorbierende Mittelstand war es, der in die Suburbs, die Vorstädte, zog – Haus an Haus mit seinesgleichen, samstags den Rasen mähend und sonntags reihum zum Barbecue einladend – ehe der Mann montags wieder mit dem Auto zu seinem Arbeitsplatz fährt, sei es im Büro oder in den führenden Industriebetrieben. Denn auch die Vorarbeiter und Schichtführer zählten zu den neuen Eigenheimbesitzern. Man muss nur einmal die Schlafstädte rings um eine Stadt wie Detroit und andere Zentren der Großindustrie gesehen haben.
„Die Konstruktion des amerikanischen Traums“ lautet der Untertitel der Ausstellung „Suburbia“, die das Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) zu seinem 30-jährigen Bestehen veranstaltet. Konzipiert wurde sie von Philipp Engel, einem Kulturjournalisten und studierten Literaturwissenschaftler, der „Suburbia“ als „ebenso ein mentales Bild wie eine sich wandelnde Landschaft“ beschreibt. Es sei diese „doppelte, zweideutige und sogar paradoxe Natur zwischen Fiktion und Realität, die sie so faszinierend“ mache. Und faszinierend ist denn auch diese Ausstellung, die das ganze Ausstellungsgeschoss des CCCB in den einstigen Klostergebäuden gleich hinter Richard Meiers Museum für zeitgenössische Kunst füllt. Engel hat die Gelegenheit genutzt, in die Vollen zu gehen, sowohl was die Weite der Themen als auch die Fülle der Ausstellungsobjekte angeht.
Die Ausstellung hält die Balance zwischen den nüchternen Fakten – der Geschichte der Suburbs, ihren frühen Ausformungen und der Bauindustrie – und der mentalen Verarbeitung. Suburbia als seelischer Zustand, das ist ein roter Faden, der sich durch die Ausstellung zieht. Und da kann es nicht anders sein, als dass der Traum zum Albtraum wird, sei es in den zahllosen fiktionalen Texten über Vereinsamung, Ehebruch bis hin zum Mord, und ebenso in den grellfarbigen Fotografien von Joel Meyerowitz oder den Kompositionen von Gregory Crewdson, die die gebaute Wirklichkeit als Fassaden der Verzweiflung entschlüsseln.
Was die Fakten angeht, so sind sie hinlänglich bekannt; so lange, wie Aufstieg und Niedergang der US-amerikanischen Suburbs schon andauern, so lange sind auch die entsprechenden Kritiken auf dem Markt. Die Massenfertigung des Automobils machte die weiten Wege passabel, die mit dem Umzug ins Vorstädtische verbunden waren. Bald kauften die einschlägigen Konzerne die anfangs so weiträumigen, dann bis zum Zweiten Weltkrieg immer eingeschränkter funktionierenden Schienenverkehrsbetriebe auf und ersetzten Gleise durch mehrspurige Freeways.
Schon vor der Heimkehr aus dem Krieg träumten die GIs vom Eigenheim, ermöglicht durch die günstigen Kredite für Veteranen. Innerhalb weniger Jahre standen elf Millionen Einfamilienhäuser auf der sprichwörtlichen grünen Wiese, gleichförmig durch ihre halb-industrielle Fertigung. Der Entrepreneur William Levitt schuf mit der vom Vater übernommenen Baufirma die nach ihm selbst benannte „Levittown“, die erste Fertighaussiedlung der USA auf Long Island. 1947 stellten sich Interessenten bereits des Nachts an, um bei Verkaufsbeginn eines der hoch bezuschussten Häuser zu erwerben. „Levittown“ – bald gab es mehrere – wurde zum Synonym für standardisiertes Vorstadtwohnen; homogen auch in der sozialen Zusammensetzung der Bewohnerinnen.
Eine wunderbare Abteilung der Ausstellung präsentiert all die Haushaltsgeräte und die aufkommende Unterhaltungselektronik, die Mr. und Mrs. Jones oder Smith nunmehr haben mussten, ununterscheidbar von den Nachbarn, mit denen beständig auf gleichem Konsumniveau zu bleiben der Ehrgeiz der Hausfrauen war, angestachelt von all den Magazinen, die sie zwischen der Hausarbeit durchblätterten. Und sie macht deutlich, dass der Normendruck ganz wesentlich von solchen Medien befördert wurde, der Druck hin zur rein weißen Mittelstandsgemeinschaft. „Vom Staat gefördert, wurde Suburbia ein Paradies, das rassische Minderheiten ausschloss“, heißt es im Katalog.
Was ein bisschen zu kurz gekommen ist, ist die stadt- und raumplanerische Seite des Vorstadt-Booms. Zur Architektur gibt es ein verstörendes Kapitel über die Auswüchse der Postmoderne zur Reagan-Zeit, als private Bauherren sich mit Säulen und Zinnen schmückten – und ihre auch flächenmäßig wuchernden Häuser dennoch nur billig daherkommen. Aber die planerische, politische Seite, wie nämlich mit den vielfach dysfunktional gewordenen Vorstädten umgegangen wird, kommt in dem eher kulturhistorischen Ansatz der Ausstellung ein wenig zu kurz. Oder scheint es nur so, weil Statistiken und Schaubilder nicht gleichermaßen fesseln wie all das überreich gebotene Bildmaterial?
Ein Kapitel zu Barcelona, der Küste und dem Landesinneren rundet die Ausstellung ab und ist für die lokalen und regionalen Besucher gedacht. Denn es ist eben nicht allein das ferne Nordamerika, von dem die Rede ist, sondern die Probleme liegen auch in Katalonien buchstäblich vor der Haustür. An die Stelle der genormten „Suburbs“ ist hier wie dort der „urban sprawl“ getreten, das Wuchern des planlosen Bauens und Autoverkehrs. Immerhin ist der amerikanische Traum an sein Ende gekommen.
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