Geheimnisse des Gewöhnlichen
William Eggleston im C/O Berlin
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Geheimnisse des Gewöhnlichen
William Eggleston im C/O Berlin
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Ein gelbes Coupé rauscht durchs Bild, ein blaues folgt, ist schon zur Hälfte im Bildraum, im Vordergrund links ragt die Motorhaube eines dritten Straßenkreuzers ins Bild, der vielleicht gleich die Verfolgung aufnimmt. Ein einzelner Mann will die Kreuzung überqueren, hinüber zum Methodist Publishing House; sein linker Fuß ist knapp überm Bordstein. Das ultrakonservative Verlagshaus leuchtet rot in der Abendsonne, steht mit seinen vermauerten Fenstern da als ein Bollwerk des christlichen Fundamentalismus. Oberleitungsdrähte spannen kreuz und quer über die Kreuzung und konterkarieren die strengen Vertikalen der Masten und des Regenfallrohrs des Backsteinbaus auf der linken Seite.
Licht, Farbe, Bewegung, Zeit also, und der amerikanische Süden mit seinen in den 1960er Jahren in vielen Alltagssituationen aufbrechenden politischen Abgründen – in einem Bild wie diesem, in der Serie „The Outlands“ derzeit im C/O Berlin ausgestellt, kommt manches zusammen, was die (Farb-)Fotografien des amerikanischen Fotografen William Eggleston charakterisiert: Etliche seiner in den letzten sechzig Jahren entstandenen Bilder wirken wie Aufnahmen am Rand eines Geschehens, entstanden unmittelbar vor oder direkt nach einem entscheidenden Moment, was die in ihnen dargestellte Situation geheimnisvoll, mitunter auch etwas unheimlich erscheinen lässt. Könnten sich all die Alltagsgegenstände, die in diesen amerikanischen Szenerien dargestellt sind, nicht im nächsten Augenblick in tödliche Apparaturen verwandeln?
Die in manchen Bildern schwingende Bedrohung, die sich immer mehr aufbaut, je länger man diese Vorstadtstraßen, Imbissbuden, Tankstellen und Parkplätze und die Menschen darin betrachtet, wird greifbarer vor dem Hintergrund der Rassenkonflikte jener Jahre, in denen Eggleston sie aufgenommen hat. Auch wenn es keine explizit politischen Bilder sein mögen, wirken manche doch als Kommentare zum Zeitgeschehen und zur Verfasstheit der amerikanischen Gesellschaft: besonders stark in einer Aufnahme, in der ein weißer und ein schwarzer Mann mit ähnlicher Körperhaltung an einer in einem Wald abgestellten Limousine stehen – identische Figuren, die sich in Hautfarbe und Kleidung ineinander spiegeln –; unterschwellig im Fall einer Aufnahme, die Eggleston 1972 bei der Beerdigung des schwarzen Musikers Fred McDowell aufgenommen hat, in der sich eine junge Frau fragend nach dem weißen Mann umsieht, der wie ein Eindringling in ihre Community gewirkt haben muss; kaum erschließbar schließlich in dem daneben hängenden Foto eines Mittagslokals, in dem Schwarze damals nicht Platz nehmen durften.
Die Bilder der vom Kurator Felix Hoffmann, der nach 17 Jahren die Institution am Berliner Bahnhof Zoo gen Wien verlässt, konzipierten Schau beziehen sich inhaltlich, aber auch formal immer wieder aufeinander, und die letzteren Fälle sind zweifelsfrei die für den Betrachter leichtere Kost. Der Besuch ist aber vor allem deshalb ein Muss bei einem Berlin-Besuch, da noch nie so unterschiedliche Werkreihen von Eggleston gleichzeitig in einer Ausstellung versammelt waren – von den frühen, noch in Schwarz-weiß aufgenommenen Bildern bis zu den jüngst neu abgezogenen Großformaten der „Outlands“, die erstmalig in Europa gezeigt werden, nachdem sie 2020 im New Yorker MoMA hingen. Dort hatte Eggleston 1976 seine erste Ausstellung. Dass die Fotos nun im ehemaligen Amerika-Haus in der Hardenbergstraße gezeigt werden, ist eine schöne Volte der Geschichte: startete Eggleston in den frühen 80er Jahren doch von hier aus zu seinen Streifzügen durch das geteilte Berlin und zu einem Austausch mit hiesigen Fotografen, etwa in Michael Schmidts Kreuzberger „Werkstatt für Photographie“ – ein Austausch, der auch in der alten Welt die Farbfotografie als legitimes künstlerisches Ausdrucksmittel etablieren sollte. Für das C/O schließt sich mit der Eggleston-Schau zudem der Reigen zur Geschichte der Farbfotografie, der 2005 mit einer Ausstellung zu Evelyn Hofer begann. Wie gesagt: ein Must-see in diesem Winter, allein schon, um dem allgegenwärtigen Berliner Grau wenigstens für ein paar Stunden zu entfliehen.
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