Wunschkonzert
Transformation des Areals um den ehemaligen Kaufhof in Nürnberg
Text: Rost, Sandra, Berlin
Wunschkonzert
Transformation des Areals um den ehemaligen Kaufhof in Nürnberg
Text: Rost, Sandra, Berlin
In Nürnberg gibt es laut der Tourismuswebsite der Stadt die größte und älteste Fußgängerzone Europas. Eingerahmt von der historischen Stadtmauer, spannt sie sich zwischen einem Allerlei an Sehenswürdigkeiten auf. Durchgezogen von der Pegnitz trifft hier Fachwerk auf Nachkriegsmoderne. Kleine Gassen münden in großen Straßen, gesäumt von Ladenfronten mit „Zu vermieten“-Schildern. Denn der Leerstand hat nicht nur hier, sondern vielerorts die Innenstädte fest im Griff. Das Problem ist lange bekannt und wurde durch diverse Kaufhof- und Einkaufcenterpleiten postpandemisch befeuert. Gleichzeitig liegt hier viel Potenzial für die Städte, welches in Nürnberg nun genutzt werden soll: Im Juli 2024 gab die Stadt den Kauf des leer stehenden Kaufhofs in bester Lage des zukünftigen Stadterneuerungsgebiets Altstadt Mitte bekannt. Mit dem neuen Projekt „Zukunftsmusik“ des Projektbüros Kultur geht es nun um nichts Geringeres als die Zukunft der Innenstadt mithilfe der Partizipation der Bürgerinnen.
Noch bis Mai dieses Jahres soll nicht nur ein Zeichen für mehr mutige Veränderung gesetzt werden, sondern auch für ein anderes Leben in der Innenstadt. Hierfür konnten Gestalter aus unterschiedlichen Disziplinen Projektideen im Zuge einer Ausschreibung einreichen, die nun zusammen mit Akteurinnen aus Kunst und Musik, Architektur und Stadtplanung, Wirtschaft und Wissenschaft und Politik und Stadtgesellschaft umgesetzt werden. Spielerisch werden so Themen der Stadtentwicklung, des Konsumverhaltens und der Transformation von Leerständen durch Kunst und Kultur angegangen. Geplant sind für die kommenden Monate kleine und große Ereignisse zu den zentralen Fragen: Welche Angebote halten eine Innenstadt lebendig?
Welche Art von Konsum ist für das historische Zentrum Nürnbergs nachhaltig? Wie könnte das ehemalige Kaufhaus wieder funktionsfähig werden? Die Probleme sind groß, die Herausforderungen sind größer.
Welche Art von Konsum ist für das historische Zentrum Nürnbergs nachhaltig? Wie könnte das ehemalige Kaufhaus wieder funktionsfähig werden? Die Probleme sind groß, die Herausforderungen sind größer.
Um das ganze Projekt zu verorten, entwickelte das Architekturbüro Raumlabor Berlin zwei temporäre Installationen, die nun zum Bild der Altstadt gehören und welche sich direkt an den ehemaligen Kaufhof angliedern. Besonders ins Auge sticht der „Förderturm“ als ein „Zwitter aus Werkstatt, Beobachtungsstation, Kiosk, Informationsträger und Bauhütte“. Bekleidet ist er von einer durch den Künstler Raul Walch entworfenen und in Zusammenarbeit mit Bürgerinnen weiterentwickelten, saisonal wechselnden textilen Fassade. Sie setzt sich aus den Stoffen der in Massen verkauften Kleidungsstücke der Kaufhäuser zusammen. Der Turm ermöglicht neue Perspektiven auf die Geschehnisse, leitet mit einem wechselnden Gewand die verschiedenen Jahreszeiten des Projekts ein und wirkt dabei wie ein urbaner Leuchtturm.
Der im Erdgeschoss dessen befindliche Kiosk samt davorliegendem Freiraum war am Eröffnungswochenende Ende September besonders im Fokus. Hier fanden Tanzperformances, Gespräche mit Politikerinnen oder Theateraufführungen statt. An den langen Schaufenstern des aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens geschlossenen Kaufhofs visualisiert ein Graphic-Recording-Team die Ideen der Bürgerinnen für die Zukunft; von kreativ über pragmatisch bis längst überfällig ist alles dabei: Rollschuhbahn und Streichelzoo, Markthalle und Raum für Begegnung und mehr Grünflächen und mehr Barrierefreiheit. Gegenüber der illustrierten Gedankenexperimente eröffnete zudem das Amt für Ideen des lokal ansässigen Urban Lab, um in umfangreichen Gesprächen mit Bürgern zahlreiche Ideen zu sammeln. An Pinnwänden war es für gesprächsscheue Menschen möglich, die eigenen Wünsche niederzuschreiben und Erinnerungen an die Innenstadt festzuhalten.
Außerdem gab es die Möglichkeit, sich in fünf Themenfeldern zu positionieren: Gesundheit und Bildung, Klima und Grün, Mobilität und Verkehr, Kunst und Kultur oder Wohnen und Soziales. Auf der möglichst bayerischen Skala von „subba“ über „passd scho“ bis „mir worschd“ platzierten Interessierte ihre Klebepunkte und auf der großformatigen Leinwand daneben ihre Wünsche: Öffnungszeiten nach 20 Uhr, bezahlbarer Wohnraum, mehr Kindertagesstätten, schattenspendende Bäume und logische Radwege bilden nur einen winzigen Ausschnitt. Übrigens: Für einen Abriss des Kaufhofs plädiert hier im Gegensatz zu den Überlegungen von Markus Söder und Oberbürgermeister Marcus König (beide CSU) niemand – das 1950 errichtete Gebäude wurde sowieso erst 2023 vom Landesamt für Denkmalpflege als „höchst anschaulicher“ Bauzeuge des fränkischen Wirtschaftswunders auf die Denkmalliste gesetzt.
Welche Auswirkungen das Projekt auf die Innenstadt haben wird, kann man zwar erst in einigen Monaten bis Jahren sagen, jedoch gesellt es sich in eine Reihe an erfolgreichen Großveranstaltungen des Projektbüros Kultur der Stadt Nürnberg ein. Dieses ist in der Kulturlandschaft nicht wegzudenken. Es ist für die niedrigschwelligen und kostenlosen Events eines jeden Jahres verantwortlich, darunter das jährliche Bardentreffen, welches die Altstadt mit rund 200.000 Besuchern an drei Tagen in ein Musikfestival verwandelt. Das gibt einen vielversprechenden Ausblick, wenngleich der zentrale Unterschied hier in der intensiven Beteiligungen durch die Bürgerinnen und Bürger liegt. Das Projekt beweist erneut, dass Partizipation das beste Mittel ist, um herauszufinden, was die Menschen für ihre Innenstadt wollen. Bevor diese in Nürnberg nur zur Inszenierung der historischen Burg, zur Befriedigung von Konsum oder für die Scharen an Touristen während des Weihnachtsmarktes herhält, gilt es nun mit anzupacken.
Informationen zum Programm:
www.zukunftsmusik.nuernberg.de
www.zukunftsmusik.nuernberg.de
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