Fotograf der bösen Orte
An den Architekturfotografen Robert Conrad erinnert eine Retrospektive in der Berliner Galerie Parterre
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Fotograf der bösen Orte
An den Architekturfotografen Robert Conrad erinnert eine Retrospektive in der Berliner Galerie Parterre
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
In den 1970er Jahren zog ein langhaariger Bursche mit seiner Fotokamera durch Greifswald, wie viele seiner Freunde getrieben von Wut und Verzweiflung über den beklagenswerten Zustand ihrer Stadt. Vom Weltkrieg durch kampflose Übergabe an die Rote Armee verschont, waren die alten Häuser später dem Verfall überlassen worden und nun sichtlich zum Abriss bestimmt. Auch deshalb hatte in der pommerschen Hanse- und Universitätsstadt eine aufmüpfige Jugendszene zunehmend Zoff mit der Obrigkeit. Robert Conrad war einer ihrer Ideengeber. Um angesichts des geplanten Stadtverfalls sich der eigenen Machtlosigkeit produktiv zu erwehren, begann er, die Altstadtstraßen systematisch durchzufotografieren, anfangs als empörtes Lamento der Anklage und Trauer, später im zornigen Willen, den Zeugnissen vergangener Jahrhunderte auch nach ihrem Verschwinden ein mahnendes Andenken zu bewahren.
Wie die meisten „Provinzrebellen“ jener Jahre landete der Dokumentarist des alten Greifswald 1987 in Ostberlin. Auch der Prenzlauer Berg, das Sammelquartier der Andersdenkenden, war von Abrissplanungen bedroht. Die „Erneuerung“ der Mietskasernenstadt durch Plattenbauten war angekündigt und trieb die hiesige Szene um, bis sich schließlich Widerstand formierte. Weil er auch hier immense Verluste althergebrachter Stadtkultur kommen sah, begann Conrad die verwitterten Straßen und Hinterhöfe der nachkriegsgrauen Arbeiterviertel planmäßig zu erkunden, stets auf der Suche nach verblichenen Inschriften und anderen Zeitspuren an abgeblätterten Fassaden und in abgelatschten Treppenhäusern. Dem Bilderschatz von Alt-Greifswald vergleichbar, entstand so eines der umfassendsten Dokumente vom Zustand des Prenzlauer Bergs kurz vor dem Mauerfall.
Kaum war der 1989 geschehen, war Robert Conrad wochenlang mit der Kamera im gerade geöffneten Todesstreifen unterwegs, um in annähernd 5000 Bildern das Verschwinden eines dramatischen historischen Zustandes zu bannen. Monate zuvor war es ihm gelungen, illegal in die Bunker der ehemaligen Reichskanzlei zu gelangen und deren Reste zu fotografieren, bevor sie für das darüber entstehende Wohnviertel Wilhelmstraße unwiederbringlich gesprengt und verfüllt wurden. Ein weiteres Unterwelten-Projekt galt den bis 1990 unzugänglichen „Geisterbahnhöfen“, also Stationen unter dem Pflaster Ostberlins, die von Westberliner U-Bahnen dreißig Jahre lang ohne Halt durchfahren wurden und in denen, einer Zeitkapsel gleich, der Alltagszustand des Jahrs 1961 wie eingefroren war.
Vormals geheime oder historisch verrufene Orte wie aufgelassene Kasernen, Stasi-Gefängnisse oder versteckte Refugien der Macht blieben Conrads Leidenschaft. Sein Architekturstudium nach der Wende beschloss er mit einer Arbeit über die Konversion eines ehemaligen Militärflugplatzes im südlichen Brandenburg. Eine seiner wichtigsten Bildserien galt der Wolfsschanze, Hitlers gespenstischem Bunkerquartier in Ostpreußens Wäldern und Schauplatz des missglückten Stauffenberg-Attentats (1999 als Buch erschienen). Weniger martialisch, trotzdem reichlich düster gerieten seine fotografischen Exkursionen durch stillgelegte Fabriken und DDR-Kulturbauten, die dann unter dem Begriff „Lost Places“ als neue Gruselattraktion regelrecht in Mode kamen. Auch als seine Neugier sich später gen Westen wandte, waren es eher schwierige Orte, die ihn faszinierten – Mussolinis Planstädte in den Pontinischen Sümpfen, in Südfrankreich das einstige Internierungscamp Rivesaltes bei Perpignan, in der Bretagne die immer wieder attraktiv in Szene gesetzten Bunkerskulpturen des Atlantikwalls.
Nach Robert Conrads überraschendem Tod 2023 wurde sein 45.000 Aufnahmen umfassender Nachlass von der Robert-Havemann-Gesellschaft für ihr Archiv der DDR-Opposition übernommen. Eine der traditionsreichsten Galerien Ostberlins würdigt nun die Lebensarbeit des „politischen Fotografen“ und rebellischen Denkmalfreundes, wobei die gezeigte Auswahl sich auf sieben thematische Bilderzyklen beschränkt. Was an der mit großer Sorgfalt eingerichteten Retrospektive aber vor allem besticht, ist die hohe ästhetische Qualität dieser Fotografie. Vom tolldreisten Aktivisten hat es Robert Conrad zum Architekturfotografen von Rang gebracht, der rings um die Objekte seines Interesses nicht nur mit denkmalkundlicher Akribie recherchierte, sondern seinen Bildgegenständen stets ein entscheidendes Maß an Würde gewährte. Dieses historisch reflektierte Taktgefühl überrascht besonders bei der mit Abstand sprödesten Bilderserie „Plattensterben“, bei der die toten Wohnblöcke verlassener Orte wie Mahnmale einer vorzeitlich gescheiterten Kultur in archaisch stiller Landschaft übrig bleiben.
Angst + Wut. Robert Conrad
Galerie Parterre, Danziger Str. 101, 10405 Berlin
Bis 2. Februar