Bauwelt

Kronsberg Süd in Hannover


An Hannovers Stadtrand entsteht ein Quartier für 8000 Menschen. Mit seiner Dichte, Stringenz und gebauten Kante zur offenen Landschaft weckt es Erinnerungen an Stadterweiterungen der Vergangenheit.


Text: Crone, Benedikt, Berlin


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    Baustand des Quartiersbogen im Mai 2023
    Foto: Olaf Mahlstedt

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    Baustand des Quartiersbogen im Mai 2023

    Foto: Olaf Mahlstedt

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    Blick auf den Quartiersbogen. Die Baumallee wurde zur Expo 2000 gepflanzt. Den Stadtpark planen Lohaus Carl Köhlmos.
    Visualisierung: Astoc, West 8, SHP, Stadt Hannover

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    Blick auf den Quartiersbogen. Die Baumallee wurde zur Expo 2000 gepflanzt. Den Stadtpark planen Lohaus Carl Köhlmos.

    Visualisierung: Astoc, West 8, SHP, Stadt Hannover

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    Masterplan
    Entwurfsverfasser: Astoc, West 8, SHP, Stadt Hannover

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    Masterplan

    Entwurfsverfasser: Astoc, West 8, SHP, Stadt Hannover

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    Eine für Hannover beeindruckende Topografie: Wohnbebauung an der Bahntrasse.
    Foto: Olaf Mahlstedt

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    Eine für Hannover beeindruckende Topografie: Wohnbebauung an der Bahntrasse.

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    Baufeder auf der Quartiersseite, hinter der Trasse.
    Foto: Olaf Mahlstedt

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    Baufeder auf der Quartiersseite, hinter der Trasse.

    Foto: Olaf Mahlstedt

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    Foto: Olaf Mahlstedt

Wie viel Regelfreude verträgt ein Quartier – und wie viel Freiheit? Die Frage stellt sich, wenn man von der alten Expo-Siedlung am Stadtrand Hannovers gen Süden schlendert. Dutzende Kräne tänzeln dort am Himmel, als würden sie ein Wunderwerk der Baukunst erschaffen. Dabei ist hier am Kronsberg „nur“ ein Wohnquartier geplant, in der Einwohnerzahl aber immerhin das größte Neubauviertel Niedersachsens. Bis zu 8000 Menschen sollen an dem in die offene Landschaft mündende Ort einmal leben. Die ersten Bauabschnitte entlang der Stadtbahn sind hinter Lärmschutzwänden bereits bezogen. Die Häuserwand türmt sich entlang der Trasse wie ein Schutzwall, dessen festungsartige Imposanz durch den Anstieg des Kronsbergs noch verstärkt wird. Was innerhalb des Quartiers wiederum durch seine für die Stadt typischen Klinkergebäude, kubischen Bauformen, Solarzellen bedeckte Flachdächer und eine Heckeneinfriedung der Erdgeschos­-se wie konventioneller Wohnungsbau der Gegenwart anmutet, ist das Ergebnis eines durchdachten wie regulierten Städtebaus. So ist es weniger das Außergewöhnliche, dass das Quartier Kronsberg Süd einmal prägen könnte, als die Detailausführung im Gewöhnlichen: Offensichtlich ist das Ziel weder eine hohe Rendite – 25 bis 30 Prozent der Mietwohnungen sind preisgebunden, ein wesentlicher Teil der 4000 Wohnungen wird durch kommunale und städtische Gesellschaften realisiert. Noch handelt es sich um eine pragmatische Unterbringung im Massenwohnungsbau – es geht schlicht um die Bedarfserfüllung der Bewohner, ohne dabei den öffentlichenRaum zu vernachlässigen. Den 2017 aufgestellten Masterplan entwickelte die Büros ASTOC (Städtebau), West 8 (Landschaftsplanung) und SHP Ingenieure (Verkehrsplanung).
Auffällig ist die geschlossene Bebauung, die zwischen 1910er-Blockrand und 1920er-Wohnsiedlung changiert. Die Liste der beteiligten Architekturbüros liest sich dem Städtebau entsprechend: Stefan Forster Architekten, Mäckler Architekten, BKSP, Lorenzen Mayer Architekten, Meck Architekten und weitere. Eine Bauform, die dem Quartier im Gegensatz zu anderen heutigen Neubauvierteln eine erkennbare Identität beschert, ist der städtebauliche Bogen am Park im Osten. Vor allem die dort vom Büro jabusch+schneider auf bogenförmigem Grundriss geplante Wohnanlage vergönnt durch die Dehnung möglichst vielen Bewohnern einen Blick in die Weite. Bemerkenswert ist auch die Höhe der Häuser – viergeschossig entlang der größeren Straßen und zur Landschaft, was eine „klare Raumkante“ bewirken soll, wie es die Stadt Hannover in einer „Gebrauchsanweisung“ für die weitere Umsetzung bezeichnet. Auf den als Quartierszentrum deklarierten Baufeldern an der Stadtbahnhaltestelle Messe/Ost sind gar fünf- bis siebengeschossige Gewerbe- und Wohnbauten geplant. Dreigeschossige Reihenhäuser entstehen dafür in den Nebenstraßen, wohl um beim ehrlichen Blick auf die Nachfrage in dieser Randlage nicht nur große Mehrfamilienhäuser anzubieten. Mischnutzung durch Gastronomie, Bäcker, Kiosk, Kita und eine Schule erfolgt konzen­triert an den drei „Quartiersplätzen“ im Norden, in der Mitte und im Süden. Wobei die Quartiersplätze eher gestaltete Rasenflächen sind als gepflasterte Stadtplätze.
Das Quartier gliedert sich in drei Zonen und 38 Baufelder. Für jedes Baufeld wurde von den Bauträgern ein Wettbewerb durchgeführt – eine Vorgabe der Stadt, die dank einer Flächenbevorratung der 1950er Jahre den Großteil der Grundstücke besaß und bei der Vergabe ihre Ansprüche gel­ten machen konnte. Dass sich dennoch viele der mit Preisen gewürdigten Entwürfe ähneln, ist gewollt: Architektonische und städtebauliche Vorgaben zielten auf eine Varianz im Rahmen. So war es gefordert, dass zu Landschafts- und Parkräumen, an den „Quartiersplätzen“ und der Hauptstraße Kattenbrookstrift die Gebäude in Vollstein-Klinkerfassade ausgeführt werden (und die Steine wiederum in einem festen Farbspektrum und mit fester Farbsättigung). Jeder Geschosswohnungsbau soll maximal 30 Meter lang und je Haus mit einem Eingang versehen sein. Um den heute üblichen Balkonexzessen im Wohnungsbau vorzubeugen, werden zum öffentlichen Raum nur Loggien oder maximal einen halben Meter auskragende Balkone zugelassen. Im Blockinnern ist – bei Materialwahl wie den Balkonen – wiederum mehr Freiheit geboten. Allerdings ist auch die dortige Freiraumgestaltung durch die eingefriedeten Privatgärten begrenzt und durch den Anspruch bestimmt, dass durch alle Höfe eine zusammenhängende Struktur zu erkennen ist und sie mit möglichst viel Versickerungsflächen versehen sind.
Ist all das nun zu streng, gar starr oder reaktionär? Für eine abschließende Bewertung ist es zu früh, viele Baufelder werden erst 2025 befüllt. Doch das bisher Realisierte lässt nicht das Gefühl aufkommen, dass hier ein Regelwahn gewütet hätte. Durch die geradlinigen Klinker-Lochfassaden ist zwar eine Einheitlichkeit zu spüren, die aber im Vergleich zu anderen Neubauquartieren angenehm geerdet und beständig wirkt. Der Straßenraum ist auf den Fuß- und Radverkehr ausgerichtet – allerdings schlägt die Verkehrsrealität durch Tiefgarageneinfahrten wieder versteckte Löcher in den Blockrand. Ob das optimistische Verkehrskonzept aufgeht, bleibt abzuwarten, ebenso die Erfüllung des frommen Wunsches nach Urbanität am Stadtrand. Baulich sind die Rahmenbedingungen für ein Quartier geschaffen, das als Stadterweiterung bezeichnet werden kann. Ein Quartier, dass – so die Hoffnung – nicht nur Sonntagnachmittag vor die Tür und dann ins Auto lädt, sondern auch an grauen Tagen auf die Straße, in die Parks und hinauf zum Kronsberg lockt.



Fakten
Architekten Büros ASTOC (Städtebau), West 8 (Landschaftsplanung) und SHP Ingenieure (Verkehrsplanung)
Adresse 8RFH+R3 Hannover


aus Bauwelt 13.2023
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